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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Lokasaburo. Dzu-ni-so. VII.

Auf dem Rückwege führte Heusken uns nach dem Theehause
von Lokasaburo, das, von Baumschulen und Treibereien umgeben,
in einer feld- und gartenreichen Gegend des nördlichen Yeddo liegt.
In seinem ausgedehnten Garten sind Fischteiche verschiedener Grösse
ausgegraben, wo die Gäste für ein Eintrittsgeld angeln dürfen; sie
sassen dort in Menge auf kleinen Bänkchen, jeder mit einem thönernen
Kohlenbecken zum Anzünden der Pfeife, einige auch mit dampfenden
Theekannen neben sich, und tief in die Betrachtung ihrer Angel-
schnüre versunken, mit sehr ernsthaften Gesichtern, in voller Ver-
gessenheit der Aussenwelt. Die meisten schienen den wohlhabenden
Ständen anzugehören; sie erhoben kaum den Blick als wir vorüber-
gingen. Die Teiche enthalten Fische von mancherlei Art und Grösse
und haben danach verschiedene Angelpreise, von einem bis zu zehn
Tempo für halbtägige Benutzung, wofür man seine Beute mit nach
Hause nimmt. -- Der Pariser Nimrod schiesst Ratten für einen Sous
das Stück; sollte sich auf die Angler europäischer Hauptstädte nicht
ähnlich speculiren lassen? --

Die den Garten begränzende Höhe bietet eine herrliche
Aussicht 1); man wird sich hier ganz besonders der ungeheuren
Ausdehnung der Hauptstadt bewusst. Denn im Rücken des Beschauers
streckt sie volkreiche Quartiere noch fern nach Norden und Westen
hinaus, und vor ihm liegt eine weite grüne Landschaft, die nichts-
destoweniger ganz von zusammenhängenden Stadtvierteln umschlossen
ist: im Mittelgrunde ein grosser Buddatempel, dann ein Höhenzug
mit herrlichen Bäumen, der im vorigen Abschnitt erwähnte nördliche
Begräbnissplatz der Taikun-Familie. Der See von Benteng ist
dahinter versteckt; jenseit aber verliert sich die Häusermasse des
gewerblichen Yeddo in den fernen Horizont.

10. Nov.Am 10. November bewirthete Graf Eulenburg die Mitglieder
der englischen Legation in Dzu-ni-so. Man schien dem Feste
von japanischer Seite Anfangs Hindernisse bereiten zu wollen: "alle
Pferde in Yeddo", hiess es, "seien krank". Der Gesandte wollte
diesmal mit Koch und Kegel ausrücken, auch das Musikcorps der
Arkona sollte mit, und wir waren in grosser Verlegenheit. Nach
stundenlangem Parlamentiren liessen die Yakunine sich endlich
bedeuten; die Pferde erschienen, darunter einige, die niemals einen
Europäer getragen hatten; es gab beim Aufsteigen von links, das
die meisten sehr übel nahmen, einige halsbrecherische Purzelbäume,

1) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. III. 17.
Lokasaburo. Džu-ni-so. VII.

Auf dem Rückwege führte Heusken uns nach dem Theehause
von Lokasaburo, das, von Baumschulen und Treibereien umgeben,
in einer feld- und gartenreichen Gegend des nördlichen Yeddo liegt.
In seinem ausgedehnten Garten sind Fischteiche verschiedener Grösse
ausgegraben, wo die Gäste für ein Eintrittsgeld angeln dürfen; sie
sassen dort in Menge auf kleinen Bänkchen, jeder mit einem thönernen
Kohlenbecken zum Anzünden der Pfeife, einige auch mit dampfenden
Theekannen neben sich, und tief in die Betrachtung ihrer Angel-
schnüre versunken, mit sehr ernsthaften Gesichtern, in voller Ver-
gessenheit der Aussenwelt. Die meisten schienen den wohlhabenden
Ständen anzugehören; sie erhoben kaum den Blick als wir vorüber-
gingen. Die Teiche enthalten Fische von mancherlei Art und Grösse
und haben danach verschiedene Angelpreise, von einem bis zu zehn
Tempo für halbtägige Benutzung, wofür man seine Beute mit nach
Hause nimmt. — Der Pariser Nimrod schiesst Ratten für einen Sous
das Stück; sollte sich auf die Angler europäischer Hauptstädte nicht
ähnlich speculiren lassen? —

Die den Garten begränzende Höhe bietet eine herrliche
Aussicht 1); man wird sich hier ganz besonders der ungeheuren
Ausdehnung der Hauptstadt bewusst. Denn im Rücken des Beschauers
streckt sie volkreiche Quartiere noch fern nach Norden und Westen
hinaus, und vor ihm liegt eine weite grüne Landschaft, die nichts-
destoweniger ganz von zusammenhängenden Stadtvierteln umschlossen
ist: im Mittelgrunde ein grosser Buddatempel, dann ein Höhenzug
mit herrlichen Bäumen, der im vorigen Abschnitt erwähnte nördliche
Begräbnissplatz der Taïkūn-Familie. Der See von Benteṅg ist
dahinter versteckt; jenseit aber verliert sich die Häusermasse des
gewerblichen Yeddo in den fernen Horizont.

10. Nov.Am 10. November bewirthete Graf Eulenburg die Mitglieder
der englischen Legation in Džu-ni-so. Man schien dem Feste
von japanischer Seite Anfangs Hindernisse bereiten zu wollen: »alle
Pferde in Yeddo«, hiess es, »seien krank«. Der Gesandte wollte
diesmal mit Koch und Kegel ausrücken, auch das Musikcorps der
Arkona sollte mit, und wir waren in grosser Verlegenheit. Nach
stundenlangem Parlamentiren liessen die Yakunine sich endlich
bedeuten; die Pferde erschienen, darunter einige, die niemals einen
Europäer getragen hatten; es gab beim Aufsteigen von links, das
die meisten sehr übel nahmen, einige halsbrecherische Purzelbäume,

1) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. III. 17.
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[60/0080] Lokasaburo. Džu-ni-so. VII. Auf dem Rückwege führte Heusken uns nach dem Theehause von Lokasaburo, das, von Baumschulen und Treibereien umgeben, in einer feld- und gartenreichen Gegend des nördlichen Yeddo liegt. In seinem ausgedehnten Garten sind Fischteiche verschiedener Grösse ausgegraben, wo die Gäste für ein Eintrittsgeld angeln dürfen; sie sassen dort in Menge auf kleinen Bänkchen, jeder mit einem thönernen Kohlenbecken zum Anzünden der Pfeife, einige auch mit dampfenden Theekannen neben sich, und tief in die Betrachtung ihrer Angel- schnüre versunken, mit sehr ernsthaften Gesichtern, in voller Ver- gessenheit der Aussenwelt. Die meisten schienen den wohlhabenden Ständen anzugehören; sie erhoben kaum den Blick als wir vorüber- gingen. Die Teiche enthalten Fische von mancherlei Art und Grösse und haben danach verschiedene Angelpreise, von einem bis zu zehn Tempo für halbtägige Benutzung, wofür man seine Beute mit nach Hause nimmt. — Der Pariser Nimrod schiesst Ratten für einen Sous das Stück; sollte sich auf die Angler europäischer Hauptstädte nicht ähnlich speculiren lassen? — Die den Garten begränzende Höhe bietet eine herrliche Aussicht 1); man wird sich hier ganz besonders der ungeheuren Ausdehnung der Hauptstadt bewusst. Denn im Rücken des Beschauers streckt sie volkreiche Quartiere noch fern nach Norden und Westen hinaus, und vor ihm liegt eine weite grüne Landschaft, die nichts- destoweniger ganz von zusammenhängenden Stadtvierteln umschlossen ist: im Mittelgrunde ein grosser Buddatempel, dann ein Höhenzug mit herrlichen Bäumen, der im vorigen Abschnitt erwähnte nördliche Begräbnissplatz der Taïkūn-Familie. Der See von Benteṅg ist dahinter versteckt; jenseit aber verliert sich die Häusermasse des gewerblichen Yeddo in den fernen Horizont. Am 10. November bewirthete Graf Eulenburg die Mitglieder der englischen Legation in Džu-ni-so. Man schien dem Feste von japanischer Seite Anfangs Hindernisse bereiten zu wollen: »alle Pferde in Yeddo«, hiess es, »seien krank«. Der Gesandte wollte diesmal mit Koch und Kegel ausrücken, auch das Musikcorps der Arkona sollte mit, und wir waren in grosser Verlegenheit. Nach stundenlangem Parlamentiren liessen die Yakunine sich endlich bedeuten; die Pferde erschienen, darunter einige, die niemals einen Europäer getragen hatten; es gab beim Aufsteigen von links, das die meisten sehr übel nahmen, einige halsbrecherische Purzelbäume, 10. Nov. 1) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. III. 17.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/80>, abgerufen am 22.11.2024.