Das Wetter war in der zweiten Hälfte des October grossentheils schön gewesen; im November wechselten sonnige Tage mit Regen und Wind; am 26. trat der erste leichte Nachtfrost ein und in den folgenden Wochen verloren die Bäume merklich ihr Laub. Nun wurde der grosse Reichthum an immergrünen Laub- und Nadel- hölzern recht auffallend; die Landschaft blieb grün und gewann neuen Reiz, da sich auf unseren vielfach durch dichtes Gebüsch führenden Reitwegen Aussichten öffneten, die man früher dort nicht ahnte. Die liebgewonnenen Puncte wurden wieder und wieder besucht; man entdeckte neue Schönheiten und freute sich des Empfanges der Bewohner, die unserem Führer Heusken überall sehr gewogen waren. Bald gewann sich auch Graf Eulenburg, der immer die Taschen voll blanker Metallknöpfe, Tuchnadeln mit Glasknöpfen und dergleichen Kleinigkeiten hatte, durch sein mit- theilendes scherzendes Wesen die allgemeine Zuneigung: wo man ihn kannte, wurde unsere Cavalcade mit Jubel begrüsst. Der Japaner ist für jede Gemüthsäusserung empfänglich, und die "Pleussen" standen in grosser Gunst.
Bei einem Besuche in Odsi trafen wir im dortigen Theehause einen Falkonier des Taikun, der in dem benachbarten Jagdrevier seinen Vogel geübt hatte. Der Falke sass auf seiner Faust, mit Kappe und Fessel, ganz nach Art der vormals bei uns gebräuchlichen; die Reiherbeize scheint auch ähnlich betrieben zu werden wie im Westen und ist vielleicht durch die Portugiesen oder Holländer in Japan eingeführt worden. Der Falkonier wollte anfänglich dem die Gesellschaft begleitenden Photographen durchaus nicht sitzen, "weil der Falke dem Taikun gehöre", entschloss sich aber dazu auf die Mittheilung, dass das Bild für einen hohen Herrn bestimmt sei.
VII. YEDDO. VOM 1. NOVEMBER BIS 7. DECEMBER 1860.
Das Wetter war in der zweiten Hälfte des October grossentheils schön gewesen; im November wechselten sonnige Tage mit Regen und Wind; am 26. trat der erste leichte Nachtfrost ein und in den folgenden Wochen verloren die Bäume merklich ihr Laub. Nun wurde der grosse Reichthum an immergrünen Laub- und Nadel- hölzern recht auffallend; die Landschaft blieb grün und gewann neuen Reiz, da sich auf unseren vielfach durch dichtes Gebüsch führenden Reitwegen Aussichten öffneten, die man früher dort nicht ahnte. Die liebgewonnenen Puncte wurden wieder und wieder besucht; man entdeckte neue Schönheiten und freute sich des Empfanges der Bewohner, die unserem Führer Heusken überall sehr gewogen waren. Bald gewann sich auch Graf Eulenburg, der immer die Taschen voll blanker Metallknöpfe, Tuchnadeln mit Glasknöpfen und dergleichen Kleinigkeiten hatte, durch sein mit- theilendes scherzendes Wesen die allgemeine Zuneigung: wo man ihn kannte, wurde unsere Cavalcade mit Jubel begrüsst. Der Japaner ist für jede Gemüthsäusserung empfänglich, und die »Pleussen« standen in grosser Gunst.
Bei einem Besuche in Odsi trafen wir im dortigen Theehause einen Falkonier des Taïkūn, der in dem benachbarten Jagdrevier seinen Vogel geübt hatte. Der Falke sass auf seiner Faust, mit Kappe und Fessel, ganz nach Art der vormals bei uns gebräuchlichen; die Reiherbeize scheint auch ähnlich betrieben zu werden wie im Westen und ist vielleicht durch die Portugiesen oder Holländer in Japan eingeführt worden. Der Falkonier wollte anfänglich dem die Gesellschaft begleitenden Photographen durchaus nicht sitzen, »weil der Falke dem Taïkūn gehöre«, entschloss sich aber dazu auf die Mittheilung, dass das Bild für einen hohen Herrn bestimmt sei.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0079"n="[59]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">VII.<lb/><placeName>YEDDO</placeName>.</hi><lb/>
VOM 1. NOVEMBER BIS 7. DECEMBER 1860.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>as Wetter war in der zweiten Hälfte des October grossentheils<lb/>
schön gewesen; im November wechselten sonnige Tage mit Regen<lb/>
und Wind; am 26. trat der erste leichte Nachtfrost ein und in den<lb/>
folgenden Wochen verloren die Bäume merklich ihr Laub. Nun<lb/>
wurde der grosse Reichthum an immergrünen Laub- und Nadel-<lb/>
hölzern recht auffallend; die Landschaft blieb grün und gewann<lb/>
neuen Reiz, da sich auf unseren vielfach durch dichtes Gebüsch<lb/>
führenden Reitwegen Aussichten öffneten, die man früher dort nicht<lb/>
ahnte. Die liebgewonnenen Puncte wurden wieder und wieder<lb/>
besucht; man entdeckte neue Schönheiten und freute sich des<lb/>
Empfanges der Bewohner, die unserem Führer <persNameref="http://id.loc.gov/authorities/names/n85253625">Heusken</persName> überall<lb/>
sehr gewogen waren. Bald gewann sich auch Graf <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119178931">Eulenburg</persName>, der<lb/>
immer die Taschen voll blanker Metallknöpfe, Tuchnadeln mit<lb/>
Glasknöpfen und dergleichen Kleinigkeiten hatte, durch sein mit-<lb/>
theilendes scherzendes Wesen die allgemeine Zuneigung: wo man<lb/>
ihn kannte, wurde unsere Cavalcade mit Jubel begrüsst. Der Japaner<lb/>
ist für jede Gemüthsäusserung empfänglich, und die »Pleussen«<lb/>
standen in grosser Gunst.</p><lb/><p>Bei einem Besuche in <hirendition="#k"><placeName>Odsi</placeName></hi> trafen wir im dortigen Theehause<lb/>
einen Falkonier des <hirendition="#k">Taïkūn</hi>, der in dem benachbarten Jagdrevier<lb/>
seinen Vogel geübt hatte. Der Falke sass auf seiner Faust, mit<lb/>
Kappe und Fessel, ganz nach Art der vormals bei uns gebräuchlichen;<lb/>
die Reiherbeize scheint auch ähnlich betrieben zu werden wie im<lb/>
Westen und ist vielleicht durch die Portugiesen oder Holländer in<lb/><placeName>Japan</placeName> eingeführt worden. Der Falkonier wollte anfänglich dem die<lb/>
Gesellschaft begleitenden Photographen durchaus nicht sitzen, »weil<lb/>
der Falke dem <hirendition="#k">Taïkūn</hi> gehöre«, entschloss sich aber dazu auf die<lb/>
Mittheilung, dass das Bild für einen hohen Herrn bestimmt sei.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[[59]/0079]
VII.
YEDDO.
VOM 1. NOVEMBER BIS 7. DECEMBER 1860.
Das Wetter war in der zweiten Hälfte des October grossentheils
schön gewesen; im November wechselten sonnige Tage mit Regen
und Wind; am 26. trat der erste leichte Nachtfrost ein und in den
folgenden Wochen verloren die Bäume merklich ihr Laub. Nun
wurde der grosse Reichthum an immergrünen Laub- und Nadel-
hölzern recht auffallend; die Landschaft blieb grün und gewann
neuen Reiz, da sich auf unseren vielfach durch dichtes Gebüsch
führenden Reitwegen Aussichten öffneten, die man früher dort nicht
ahnte. Die liebgewonnenen Puncte wurden wieder und wieder
besucht; man entdeckte neue Schönheiten und freute sich des
Empfanges der Bewohner, die unserem Führer Heusken überall
sehr gewogen waren. Bald gewann sich auch Graf Eulenburg, der
immer die Taschen voll blanker Metallknöpfe, Tuchnadeln mit
Glasknöpfen und dergleichen Kleinigkeiten hatte, durch sein mit-
theilendes scherzendes Wesen die allgemeine Zuneigung: wo man
ihn kannte, wurde unsere Cavalcade mit Jubel begrüsst. Der Japaner
ist für jede Gemüthsäusserung empfänglich, und die »Pleussen«
standen in grosser Gunst.
Bei einem Besuche in Odsi trafen wir im dortigen Theehause
einen Falkonier des Taïkūn, der in dem benachbarten Jagdrevier
seinen Vogel geübt hatte. Der Falke sass auf seiner Faust, mit
Kappe und Fessel, ganz nach Art der vormals bei uns gebräuchlichen;
die Reiherbeize scheint auch ähnlich betrieben zu werden wie im
Westen und ist vielleicht durch die Portugiesen oder Holländer in
Japan eingeführt worden. Der Falkonier wollte anfänglich dem die
Gesellschaft begleitenden Photographen durchaus nicht sitzen, »weil
der Falke dem Taïkūn gehöre«, entschloss sich aber dazu auf die
Mittheilung, dass das Bild für einen hohen Herrn bestimmt sei.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. [59]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/79>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.