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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Eko-dzin. Puppentheater. VI.
ergötzen 18); von weitem hört man die rauschende Cascade des
oberen Giessbachs. Dieser soll von munteren Zechern, die sich
versemachend beim Gelage erhitzt haben, oft zur Erfrischung der
umnebelten Sinne benutzt werden; sie stecken das schwere Haupt
in die eisige Traufe um eiligst nüchtern und neuer Genüsse fähig
zu werden. Dzu-ni-so gilt als Rendezvous der städtischen Schön-
geister; die Lage ist überaus lieblich und wohl geeignet, poetische
Ergüsse hervorzurufen. -- Der Rückweg führte uns die kühle Sen-
kung hinab; helle Sonnenblicke spielten, das grüne Dunkel durch-
brechend, auf den moosigen Rändern des Bächleins, das murmelnd
wie still vergnügt durch die holde Einöde fliesst. Unten öffnet sich
ein Gatter auf das freie Feld; man erreicht westlich gewendet in
wenig Minuten eine belebte städtische Strasse, die in endloser Länge
bis in die centralen Theile von Yeddo führt. Die Waldeinsamkeit
des Kami-Hofes lässt die Nähe eines geräuschvollen Stadtviertels
gar nicht ahnen, man findet sich seltsam überrascht.

25. Octbr.Am folgenden Nachmittag führte Heusken uns nach dem am
Ufer des O-gava gelegenen Tempel Eko-dzin. Im Inneren brannten
bei unserer Ankunft viele Lichter; wir wollten eintreten, doch wurden
die Thüren verschlossen. Zu beiden Seiten des Tempels standen
Schau- und Krambuden; man feierte irgend ein Fest und im Tempel
war Gottesdienst. -- Wir ritten weiter nach einem Puppentheater
in der Nähe und fanden dort bessere Aufnahme. Das Gebäude war
aus Bambusstangen und Strohmatten zusammengeflickt, aussen hingen
grosse Bilder, Mord- und Greuelscenen, die Bühne lag im oberen
Geschoss; wir erhielten die Ehrenplätze und die Vorstellung begann.
Auf einer Estrade vor uns sass eine colossale Puppe, mit beiden
Händen eine am Boden stehende mächtige Glocke haltend. Die
Puppe beginnt Gesichter zu schneiden; plötzlich öffnet sich ihre
Brust und ein Orchester von vier lebenden Mädchen wird sichtbar,
die unter Lautenbegleitung einen schrillen Gesang anstimmen. Dazu
tanzt eine Marionette von drei Fuss Höhe unter der aufgehobenen
Glocke hervor; ein am Rande der Bühne sitzender Dirigent erklärt,
zwei Hölzer tactmässig aneinanderschlagend, mit lauter Stimme die
Vorstellung. -- Die grosse Puppe schliesst ihre Brust, die kleine
verschwindet, es folgt ein Zwischenact mit Musik; das verborgene
Orchester scheint aus einer Flöte, Pauke und Becken zu bestehen.
-- Der Riese hebt abermals die Glocke und darunter erscheint der

18) S. Ansichten aus Japan etc. III. 16.

Eko-džin. Puppentheater. VI.
ergötzen 18); von weitem hört man die rauschende Cascade des
oberen Giessbachs. Dieser soll von munteren Zechern, die sich
versemachend beim Gelage erhitzt haben, oft zur Erfrischung der
umnebelten Sinne benutzt werden; sie stecken das schwere Haupt
in die eisige Traufe um eiligst nüchtern und neuer Genüsse fähig
zu werden. Džu-ni-so gilt als Rendezvous der städtischen Schön-
geister; die Lage ist überaus lieblich und wohl geeignet, poëtische
Ergüsse hervorzurufen. — Der Rückweg führte uns die kühle Sen-
kung hinab; helle Sonnenblicke spielten, das grüne Dunkel durch-
brechend, auf den moosigen Rändern des Bächleins, das murmelnd
wie still vergnügt durch die holde Einöde fliesst. Unten öffnet sich
ein Gatter auf das freie Feld; man erreicht westlich gewendet in
wenig Minuten eine belebte städtische Strasse, die in endloser Länge
bis in die centralen Theile von Yeddo führt. Die Waldeinsamkeit
des Kami-Hofes lässt die Nähe eines geräuschvollen Stadtviertels
gar nicht ahnen, man findet sich seltsam überrascht.

25. Octbr.Am folgenden Nachmittag führte Heusken uns nach dem am
Ufer des O-gava gelegenen Tempel Eko-džin. Im Inneren brannten
bei unserer Ankunft viele Lichter; wir wollten eintreten, doch wurden
die Thüren verschlossen. Zu beiden Seiten des Tempels standen
Schau- und Krambuden; man feierte irgend ein Fest und im Tempel
war Gottesdienst. — Wir ritten weiter nach einem Puppentheater
in der Nähe und fanden dort bessere Aufnahme. Das Gebäude war
aus Bambusstangen und Strohmatten zusammengeflickt, aussen hingen
grosse Bilder, Mord- und Greuelscenen, die Bühne lag im oberen
Geschoss; wir erhielten die Ehrenplätze und die Vorstellung begann.
Auf einer Estrade vor uns sass eine colossale Puppe, mit beiden
Händen eine am Boden stehende mächtige Glocke haltend. Die
Puppe beginnt Gesichter zu schneiden; plötzlich öffnet sich ihre
Brust und ein Orchester von vier lebenden Mädchen wird sichtbar,
die unter Lautenbegleitung einen schrillen Gesang anstimmen. Dazu
tanzt eine Marionette von drei Fuss Höhe unter der aufgehobenen
Glocke hervor; ein am Rande der Bühne sitzender Dirigent erklärt,
zwei Hölzer tactmässig aneinanderschlagend, mit lauter Stimme die
Vorstellung. — Die grosse Puppe schliesst ihre Brust, die kleine
verschwindet, es folgt ein Zwischenact mit Musik; das verborgene
Orchester scheint aus einer Flöte, Pauke und Becken zu bestehen.
— Der Riese hebt abermals die Glocke und darunter erscheint der

18) S. Ansichten aus Japan etc. III. 16.
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[40/0060] Eko-džin. Puppentheater. VI. ergötzen 18); von weitem hört man die rauschende Cascade des oberen Giessbachs. Dieser soll von munteren Zechern, die sich versemachend beim Gelage erhitzt haben, oft zur Erfrischung der umnebelten Sinne benutzt werden; sie stecken das schwere Haupt in die eisige Traufe um eiligst nüchtern und neuer Genüsse fähig zu werden. Džu-ni-so gilt als Rendezvous der städtischen Schön- geister; die Lage ist überaus lieblich und wohl geeignet, poëtische Ergüsse hervorzurufen. — Der Rückweg führte uns die kühle Sen- kung hinab; helle Sonnenblicke spielten, das grüne Dunkel durch- brechend, auf den moosigen Rändern des Bächleins, das murmelnd wie still vergnügt durch die holde Einöde fliesst. Unten öffnet sich ein Gatter auf das freie Feld; man erreicht westlich gewendet in wenig Minuten eine belebte städtische Strasse, die in endloser Länge bis in die centralen Theile von Yeddo führt. Die Waldeinsamkeit des Kami-Hofes lässt die Nähe eines geräuschvollen Stadtviertels gar nicht ahnen, man findet sich seltsam überrascht. Am folgenden Nachmittag führte Heusken uns nach dem am Ufer des O-gava gelegenen Tempel Eko-džin. Im Inneren brannten bei unserer Ankunft viele Lichter; wir wollten eintreten, doch wurden die Thüren verschlossen. Zu beiden Seiten des Tempels standen Schau- und Krambuden; man feierte irgend ein Fest und im Tempel war Gottesdienst. — Wir ritten weiter nach einem Puppentheater in der Nähe und fanden dort bessere Aufnahme. Das Gebäude war aus Bambusstangen und Strohmatten zusammengeflickt, aussen hingen grosse Bilder, Mord- und Greuelscenen, die Bühne lag im oberen Geschoss; wir erhielten die Ehrenplätze und die Vorstellung begann. Auf einer Estrade vor uns sass eine colossale Puppe, mit beiden Händen eine am Boden stehende mächtige Glocke haltend. Die Puppe beginnt Gesichter zu schneiden; plötzlich öffnet sich ihre Brust und ein Orchester von vier lebenden Mädchen wird sichtbar, die unter Lautenbegleitung einen schrillen Gesang anstimmen. Dazu tanzt eine Marionette von drei Fuss Höhe unter der aufgehobenen Glocke hervor; ein am Rande der Bühne sitzender Dirigent erklärt, zwei Hölzer tactmässig aneinanderschlagend, mit lauter Stimme die Vorstellung. — Die grosse Puppe schliesst ihre Brust, die kleine verschwindet, es folgt ein Zwischenact mit Musik; das verborgene Orchester scheint aus einer Flöte, Pauke und Becken zu bestehen. — Der Riese hebt abermals die Glocke und darunter erscheint der 25. Octbr. 18) S. Ansichten aus Japan etc. III. 16.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/60>, abgerufen am 28.04.2024.