an das muschelförmige Gong über der Thür, -- oder klatscht dreimal in die Hände, -- um den Kami zu rufen; oft wiederholen die Priester durch Trommel- oder Glockenschlag diese Ankündigung. Der An- dächtige verrichtet dann am Eingang stehend oder niederknieend gesenkten Hauptes ein stilles Gebet und wirft beim Weggehen einige Kupfermünzen vor den Altar.
Eine Hauptvorschrift des Sinto-Dienstes ist das Wallfahrten. Kämpfer und Siebold nennen zweiundzwanzig Wallfahrtsorte, deren vornehmster der oft erwähnte Tempel des Ten-zio-dai-zin in der Landschaft Isye ist; dahin pilgern Anhänger fast aller japanischen Secten. Haupterforderniss der Wallfahrt ist Reinheit; auch dem Hause des Pilgers darf während seiner Reise nichts Unreines nahen, ein Strohseil hängt zur Abwehr böser Geister quer vor der Thür. Die beiden Tempel von Isye dürfen nur in Begleitung der Priester betreten werden, welche die Andachtsübungen der Pilger leiten und dafür Gebühren beziehen. Den älteren, inneren gründete nach den japanischen Annalen der Kaiser Sui-nin im Jahre 5 n. Chr., und weihete dort seine jüngste Tochter zur Oberpriesterin; den zweiten soll der Dairi Yuliak um 477 n. Chr. gebaut haben. Nach Klaproth würde bei der Thronbesteigung jedes Mikado ein an dessen Statur gemessenes Bambusrohr nach Isye gebracht und während seines Lebens im äusseren Tempel bewahrt, bei seinem Verscheiden aber mit der Namens-Inschrift versehen und in den inneren Tempel ver- setzt; diese Stäbe dienten als Sinnbilder der mit ihrem Tode in die Zahl der Kami tretenden Erbkaiser. Im inneren Tempel sollen ausserdem ein Strohhut, ein Strohmantel und ein Grabscheit -- Embleme des Ackerbaues, der als Grundlage der japanischen Cultur gilt -- hinter einem geheimnissvollen Vorhang bewahrt werden, welcher nach dem Volksglauben das Bild der Gottheit verhüllt. -- Die Pilger empfangen in Isye gegen eine Geldgebühr das Ofarrai, ein Holzkästchen mit dem Ablassschein, der nachher sorgfältig am besten Orte des Hauses aufbewahrt wird. Der Ablass dauert aber nur ein Jahr; die Ofarrai-Kästchen werden daher in Massen durch das ganze Land verschickt, und zu Neujahr, dem Feste der Reinigung, mit den Kalendern aller Orten um ein Geringes verkauft. Nach Isye ziehen Pilger aller Stände; nur die Budda-Priester sollen, als unrein durch die Leichenbestattung, den Tempeln nicht nahen dürfen. Eine Tafel mit der Chiffer des Sonnengottes findet sich in fast allen japanischen Häusern, ausser denen der Secte Ikosyo, welche die
VI. Kami-Dienst. Wallfahrten. Ablass.
an das muschelförmige Gong über der Thür, — oder klatscht dreimal in die Hände, — um den Kami zu rufen; oft wiederholen die Priester durch Trommel- oder Glockenschlag diese Ankündigung. Der An- dächtige verrichtet dann am Eingang stehend oder niederknieend gesenkten Hauptes ein stilles Gebet und wirft beim Weggehen einige Kupfermünzen vor den Altar.
Eine Hauptvorschrift des Sinto-Dienstes ist das Wallfahrten. Kämpfer und Siebold nennen zweiundzwanzig Wallfahrtsorte, deren vornehmster der oft erwähnte Tempel des Ten-zio-daï-zin in der Landschaft Isye ist; dahin pilgern Anhänger fast aller japanischen Secten. Haupterforderniss der Wallfahrt ist Reinheit; auch dem Hause des Pilgers darf während seiner Reise nichts Unreines nahen, ein Strohseil hängt zur Abwehr böser Geister quer vor der Thür. Die beiden Tempel von Isye dürfen nur in Begleitung der Priester betreten werden, welche die Andachtsübungen der Pilger leiten und dafür Gebühren beziehen. Den älteren, inneren gründete nach den japanischen Annalen der Kaiser Sui-nin im Jahre 5 n. Chr., und weihete dort seine jüngste Tochter zur Oberpriesterin; den zweiten soll der Daïri Yuliak um 477 n. Chr. gebaut haben. Nach Klaproth würde bei der Thronbesteigung jedes Mikado ein an dessen Statur gemessenes Bambusrohr nach Isye gebracht und während seines Lebens im äusseren Tempel bewahrt, bei seinem Verscheiden aber mit der Namens-Inschrift versehen und in den inneren Tempel ver- setzt; diese Stäbe dienten als Sinnbilder der mit ihrem Tode in die Zahl der Kami tretenden Erbkaiser. Im inneren Tempel sollen ausserdem ein Strohhut, ein Strohmantel und ein Grabscheit — Embleme des Ackerbaues, der als Grundlage der japanischen Cultur gilt — hinter einem geheimnissvollen Vorhang bewahrt werden, welcher nach dem Volksglauben das Bild der Gottheit verhüllt. — Die Pilger empfangen in Isye gegen eine Geldgebühr das Ofarraï, ein Holzkästchen mit dem Ablassschein, der nachher sorgfältig am besten Orte des Hauses aufbewahrt wird. Der Ablass dauert aber nur ein Jahr; die Ofarraï-Kästchen werden daher in Massen durch das ganze Land verschickt, und zu Neujahr, dem Feste der Reinigung, mit den Kalendern aller Orten um ein Geringes verkauft. Nach Isye ziehen Pilger aller Stände; nur die Budda-Priester sollen, als unrein durch die Leichenbestattung, den Tempeln nicht nahen dürfen. Eine Tafel mit der Chiffer des Sonnengottes findet sich in fast allen japanischen Häusern, ausser denen der Secte Ikosyo, welche die
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VI. Kami-Dienst. Wallfahrten. Ablass.
an das muschelförmige Gong über der Thür, — oder klatscht dreimal
in die Hände, — um den Kami zu rufen; oft wiederholen die Priester
durch Trommel- oder Glockenschlag diese Ankündigung. Der An-
dächtige verrichtet dann am Eingang stehend oder niederknieend
gesenkten Hauptes ein stilles Gebet und wirft beim Weggehen einige
Kupfermünzen vor den Altar.
Eine Hauptvorschrift des Sinto-Dienstes ist das Wallfahrten.
Kämpfer und Siebold nennen zweiundzwanzig Wallfahrtsorte, deren
vornehmster der oft erwähnte Tempel des Ten-zio-daï-zin in der
Landschaft Isye ist; dahin pilgern Anhänger fast aller japanischen
Secten. Haupterforderniss der Wallfahrt ist Reinheit; auch dem
Hause des Pilgers darf während seiner Reise nichts Unreines nahen,
ein Strohseil hängt zur Abwehr böser Geister quer vor der Thür.
Die beiden Tempel von Isye dürfen nur in Begleitung der Priester
betreten werden, welche die Andachtsübungen der Pilger leiten und
dafür Gebühren beziehen. Den älteren, inneren gründete nach den
japanischen Annalen der Kaiser Sui-nin im Jahre 5 n. Chr., und
weihete dort seine jüngste Tochter zur Oberpriesterin; den zweiten
soll der Daïri Yuliak um 477 n. Chr. gebaut haben. Nach Klaproth
würde bei der Thronbesteigung jedes Mikado ein an dessen Statur
gemessenes Bambusrohr nach Isye gebracht und während seines
Lebens im äusseren Tempel bewahrt, bei seinem Verscheiden aber
mit der Namens-Inschrift versehen und in den inneren Tempel ver-
setzt; diese Stäbe dienten als Sinnbilder der mit ihrem Tode in die
Zahl der Kami tretenden Erbkaiser. Im inneren Tempel sollen
ausserdem ein Strohhut, ein Strohmantel und ein Grabscheit —
Embleme des Ackerbaues, der als Grundlage der japanischen Cultur
gilt — hinter einem geheimnissvollen Vorhang bewahrt werden,
welcher nach dem Volksglauben das Bild der Gottheit verhüllt. —
Die Pilger empfangen in Isye gegen eine Geldgebühr das Ofarraï,
ein Holzkästchen mit dem Ablassschein, der nachher sorgfältig am
besten Orte des Hauses aufbewahrt wird. Der Ablass dauert aber
nur ein Jahr; die Ofarraï-Kästchen werden daher in Massen durch
das ganze Land verschickt, und zu Neujahr, dem Feste der Reinigung,
mit den Kalendern aller Orten um ein Geringes verkauft. Nach Isye
ziehen Pilger aller Stände; nur die Budda-Priester sollen, als unrein
durch die Leichenbestattung, den Tempeln nicht nahen dürfen. Eine
Tafel mit der Chiffer des Sonnengottes findet sich in fast allen
japanischen Häusern, ausser denen der Secte Ikosyo, welche die
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/51>, abgerufen am 16.07.2024.
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