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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Auswanderung von Yokuhama. Anh. II.
reissen, indem er die Interessen der fremden Nationen für solidarisch
erklärte, und brachte es durch seine vermittelnden Bemühungen
wenigstens dahin, dass Herr Neale noch kurz vor Ablauf der Frist
eine Verlängerung derselben bis zum 11. Mai bewilligte.

Die Aussichten der Niederlassung für den Kriegsfall blieben
trostlos, bis am 26. April der Obercommandant des französischen
Geschwaders in diesen Gewässern, Contre-Admiral Jaures, auf der
Fregatte Semiramis vor Yokuhama erschien. Er bot dem englischen
Vice-Admiral seine Unterstützung an, erklärte für alle Eventualitäten
Yokuhama nach Kräften vertheidigen zu wollen und flösste durch
sein energisches Auftreten den geängsteten Ansiedlern neues Vertrauen
ein. Die Nachrichten aus Miako wurden immer bedenklicher: die
Daimio's hätten beim Mikado die Verbannung der Ausländer durch-
gesetzt, der Taikun müsse nachgeben und sei nun zur Ausführung
des Decretes verpflichtet. -- Am 4. Mai gerieth urplötzlich die ganze
japanische Bewohnerschaft von Yokuhama in Bewegung: die Kauf-
leute und Handwerker wanderten mit Weib und Kind, mit Hab
und Gut nach Kanagava aus; die Diener und Arbeiter forderten von
den Fremden ihren rückständigen Lohn, drangen, als man sich
dessen um sie festzuhalten weigerte, zu starken Rotten in die Häuser,
misshandelten die Bewohner und verübten gewaltsamen Diebstahl.
Dieser Unfug wiederholte sich am 5. und 6., bis ein Franzose einen
japanischen Arbeiter niederschoss. Es blieb zweifelhaft, ob die
Auswanderung nur von Yeddo aus angeordnet wäre um einen Druck
auf die Engländer zu üben, oder von Miako, als Vorspiel der ge-
waltsamen Vertreibung aller Fremden. Man erwartete zunächst
die Abschneidung der Lebensmittel und trug sich mit den tollsten
Gerüchten von Vergiftung und Ueberfall. Die japanischen Behör-
den erklärten, ihren Unterthanen die Auswanderung angesichts der
zu erwartenden Feindseligkeiten der Engländer nur erlaubt zu
haben; doch ging aus den Aussagen Jener deutlich hervor, dass sie
die Räumung befohlen hatten. Die Bevölkerung gehorchte ohne
Murren. In den nächsten Tagen dauerte die Auswanderung der
Kaufleute und Handwerker noch fort, während eine Menge Arbeiter
und Tagelöhner sich wieder einstellten, darunter viele ganz fremde,
mit denen die treu gebliebenen Japaner nicht zusammen dienen
wollten. Es hiess, die Regierung habe eine Schaar Verbrecher aus
den Gefängnissen auf die Ansiedlung losgelassen. Die Aufregung
stieg auf das höchste; die europäischen Kaufleute brachten ihre

Auswanderung von Yokuhama. Anh. II.
reissen, indem er die Interessen der fremden Nationen für solidarisch
erklärte, und brachte es durch seine vermittelnden Bemühungen
wenigstens dahin, dass Herr Neale noch kurz vor Ablauf der Frist
eine Verlängerung derselben bis zum 11. Mai bewilligte.

Die Aussichten der Niederlassung für den Kriegsfall blieben
trostlos, bis am 26. April der Obercommandant des französischen
Geschwaders in diesen Gewässern, Contre-Admiral Jaurès, auf der
Fregatte Semiramis vor Yokuhama erschien. Er bot dem englischen
Vice-Admiral seine Unterstützung an, erklärte für alle Eventualitäten
Yokuhama nach Kräften vertheidigen zu wollen und flösste durch
sein energisches Auftreten den geängsteten Ansiedlern neues Vertrauen
ein. Die Nachrichten aus Miako wurden immer bedenklicher: die
Daïmio’s hätten beim Mikado die Verbannung der Ausländer durch-
gesetzt, der Taïkūn müsse nachgeben und sei nun zur Ausführung
des Decretes verpflichtet. — Am 4. Mai gerieth urplötzlich die ganze
japanische Bewohnerschaft von Yokuhama in Bewegung: die Kauf-
leute und Handwerker wanderten mit Weib und Kind, mit Hab
und Gut nach Kanagava aus; die Diener und Arbeiter forderten von
den Fremden ihren rückständigen Lohn, drangen, als man sich
dessen um sie festzuhalten weigerte, zu starken Rotten in die Häuser,
misshandelten die Bewohner und verübten gewaltsamen Diebstahl.
Dieser Unfug wiederholte sich am 5. und 6., bis ein Franzose einen
japanischen Arbeiter niederschoss. Es blieb zweifelhaft, ob die
Auswanderung nur von Yeddo aus angeordnet wäre um einen Druck
auf die Engländer zu üben, oder von Miako, als Vorspiel der ge-
waltsamen Vertreibung aller Fremden. Man erwartete zunächst
die Abschneidung der Lebensmittel und trug sich mit den tollsten
Gerüchten von Vergiftung und Ueberfall. Die japanischen Behör-
den erklärten, ihren Unterthanen die Auswanderung angesichts der
zu erwartenden Feindseligkeiten der Engländer nur erlaubt zu
haben; doch ging aus den Aussagen Jener deutlich hervor, dass sie
die Räumung befohlen hatten. Die Bevölkerung gehorchte ohne
Murren. In den nächsten Tagen dauerte die Auswanderung der
Kaufleute und Handwerker noch fort, während eine Menge Arbeiter
und Tagelöhner sich wieder einstellten, darunter viele ganz fremde,
mit denen die treu gebliebenen Japaner nicht zusammen dienen
wollten. Es hiess, die Regierung habe eine Schaar Verbrecher aus
den Gefängnissen auf die Ansiedlung losgelassen. Die Aufregung
stieg auf das höchste; die europäischen Kaufleute brachten ihre

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[278/0298] Auswanderung von Yokuhama. Anh. II. reissen, indem er die Interessen der fremden Nationen für solidarisch erklärte, und brachte es durch seine vermittelnden Bemühungen wenigstens dahin, dass Herr Neale noch kurz vor Ablauf der Frist eine Verlängerung derselben bis zum 11. Mai bewilligte. Die Aussichten der Niederlassung für den Kriegsfall blieben trostlos, bis am 26. April der Obercommandant des französischen Geschwaders in diesen Gewässern, Contre-Admiral Jaurès, auf der Fregatte Semiramis vor Yokuhama erschien. Er bot dem englischen Vice-Admiral seine Unterstützung an, erklärte für alle Eventualitäten Yokuhama nach Kräften vertheidigen zu wollen und flösste durch sein energisches Auftreten den geängsteten Ansiedlern neues Vertrauen ein. Die Nachrichten aus Miako wurden immer bedenklicher: die Daïmio’s hätten beim Mikado die Verbannung der Ausländer durch- gesetzt, der Taïkūn müsse nachgeben und sei nun zur Ausführung des Decretes verpflichtet. — Am 4. Mai gerieth urplötzlich die ganze japanische Bewohnerschaft von Yokuhama in Bewegung: die Kauf- leute und Handwerker wanderten mit Weib und Kind, mit Hab und Gut nach Kanagava aus; die Diener und Arbeiter forderten von den Fremden ihren rückständigen Lohn, drangen, als man sich dessen um sie festzuhalten weigerte, zu starken Rotten in die Häuser, misshandelten die Bewohner und verübten gewaltsamen Diebstahl. Dieser Unfug wiederholte sich am 5. und 6., bis ein Franzose einen japanischen Arbeiter niederschoss. Es blieb zweifelhaft, ob die Auswanderung nur von Yeddo aus angeordnet wäre um einen Druck auf die Engländer zu üben, oder von Miako, als Vorspiel der ge- waltsamen Vertreibung aller Fremden. Man erwartete zunächst die Abschneidung der Lebensmittel und trug sich mit den tollsten Gerüchten von Vergiftung und Ueberfall. Die japanischen Behör- den erklärten, ihren Unterthanen die Auswanderung angesichts der zu erwartenden Feindseligkeiten der Engländer nur erlaubt zu haben; doch ging aus den Aussagen Jener deutlich hervor, dass sie die Räumung befohlen hatten. Die Bevölkerung gehorchte ohne Murren. In den nächsten Tagen dauerte die Auswanderung der Kaufleute und Handwerker noch fort, während eine Menge Arbeiter und Tagelöhner sich wieder einstellten, darunter viele ganz fremde, mit denen die treu gebliebenen Japaner nicht zusammen dienen wollten. Es hiess, die Regierung habe eine Schaar Verbrecher aus den Gefängnissen auf die Ansiedlung losgelassen. Die Aufregung stieg auf das höchste; die europäischen Kaufleute brachten ihre

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/298>, abgerufen am 22.11.2024.