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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Gerüchte.
der fremden Regierungen nach den Bedürfnissen und Ansprüchen
der einzelnen Vertreter ausgeführt werden. Ob die Lage dem Zweck
entsprach, lässt sich bezweifeln. Die Gesandten liessen sich bis an
die äusserste Gränze der Vorstädte von Yeddo verdrängen, und die
Regierung konnte sie hier leichter isoliren, als irgendwo. Zur wirk-
lichen Niederlassung auf dem Goten-yama kam es aber niemals: das
Grundstück wurde abgesteckt und eingezäunt, der Raum an die
Vertragsmächte vertheilt und die ausgedehnten Wohngebäude
der englischen Gesandtschaft vollendet; die Häuser der anderen
Diplomaten kamen, erst später in Angriff genommen, kaum
über die Fundamente hinaus, wodurch sie vor Schaden bewahrt
wurden.

Den ganzen Juli und August hindurch coursirten in Yeddo
beunruhigende Gerüchte, welche nur auf Umwegen an die Fremden
gelangten, aber deutlich bewiesen dass die Gährung zunahm. Der
erste Minister Kudse Yamatto-no-kami hätte sich vor den Insulten
und Drohungen der Lonine auf sein Schloss zurückziehen müssen;
zwei andere Mitglieder des Reichsrathes wären, aus dem Palast
kommend, von zahlreichen Banden angegriffen und nur durch die
Tapferkeit ihrer Trabanten gerettet; der Gouverneur von Yeddo
durch die gegen die englische Legation Verschworenen oder deren
Verbündete aus Rache für seine energische Verfolgung im eigenen
Hause überfallen und gemordet worden. Dann hiess es wieder, er
habe auf Befehl des Reichsrathes Harakiru begangen, und zwar
wegen einer sehr richtigen, aber scharfen und unberufenen Meinungs-
äusserung: bei einer Berathung, ob der Taikun vor der Vermälung
mit der Schwester des Mikado diesem in Miako die Huldigung lei-
sten solle oder nicht, hätte der Gouverneur, die Befugnisse seiner
Stellung überschreitend, sich sehr energisch und bedeutsam dagegen
ausgesprochen. -- Diese Gerüchte sind bezeichnend für die Lage;
die Schwäche der Regierung und die Unsicherheit der Verhältnisse
trat überall zu Tage. In Kanagava wurde das englische Consulat
bedroht, Consul Vyse musste sich eine Schutzwache nehmen; die
Lonine trieben sich dort, den Behörden offenen Trotz bietend,
in hellen Haufen herum; man sprach sogar von Gefechten, die sie
den kaiserlichen Truppen geliefert hätten. -- Am 17. August wurde
an die Hausthür des Ministers Ando Tsus-sima-no-kami ein Placat
mit Drohungen geheftet, deren Ausführung nicht lange auf sich
warten liess.

Anh. II. Gerüchte.
der fremden Regierungen nach den Bedürfnissen und Ansprüchen
der einzelnen Vertreter ausgeführt werden. Ob die Lage dem Zweck
entsprach, lässt sich bezweifeln. Die Gesandten liessen sich bis an
die äusserste Gränze der Vorstädte von Yeddo verdrängen, und die
Regierung konnte sie hier leichter isoliren, als irgendwo. Zur wirk-
lichen Niederlassung auf dem Goten-yama kam es aber niemals: das
Grundstück wurde abgesteckt und eingezäunt, der Raum an die
Vertragsmächte vertheilt und die ausgedehnten Wohngebäude
der englischen Gesandtschaft vollendet; die Häuser der anderen
Diplomaten kamen, erst später in Angriff genommen, kaum
über die Fundamente hinaus, wodurch sie vor Schaden bewahrt
wurden.

Den ganzen Juli und August hindurch coursirten in Yeddo
beunruhigende Gerüchte, welche nur auf Umwegen an die Fremden
gelangten, aber deutlich bewiesen dass die Gährung zunahm. Der
erste Minister Kudse Yamatto-no-kami hätte sich vor den Insulten
und Drohungen der Lonine auf sein Schloss zurückziehen müssen;
zwei andere Mitglieder des Reichsrathes wären, aus dem Palast
kommend, von zahlreichen Banden angegriffen und nur durch die
Tapferkeit ihrer Trabanten gerettet; der Gouverneur von Yeddo
durch die gegen die englische Legation Verschworenen oder deren
Verbündete aus Rache für seine energische Verfolgung im eigenen
Hause überfallen und gemordet worden. Dann hiess es wieder, er
habe auf Befehl des Reichsrathes Harakiru begangen, und zwar
wegen einer sehr richtigen, aber scharfen und unberufenen Meinungs-
äusserung: bei einer Berathung, ob der Taïkūn vor der Vermälung
mit der Schwester des Mikado diesem in Miako die Huldigung lei-
sten solle oder nicht, hätte der Gouverneur, die Befugnisse seiner
Stellung überschreitend, sich sehr energisch und bedeutsam dagegen
ausgesprochen. — Diese Gerüchte sind bezeichnend für die Lage;
die Schwäche der Regierung und die Unsicherheit der Verhältnisse
trat überall zu Tage. In Kanagava wurde das englische Consulat
bedroht, Consul Vyse musste sich eine Schutzwache nehmen; die
Lonine trieben sich dort, den Behörden offenen Trotz bietend,
in hellen Haufen herum; man sprach sogar von Gefechten, die sie
den kaiserlichen Truppen geliefert hätten. — Am 17. August wurde
an die Hausthür des Ministers Ando Tsus-sima-no-kami ein Placat
mit Drohungen geheftet, deren Ausführung nicht lange auf sich
warten liess.

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[261/0281] Anh. II. Gerüchte. der fremden Regierungen nach den Bedürfnissen und Ansprüchen der einzelnen Vertreter ausgeführt werden. Ob die Lage dem Zweck entsprach, lässt sich bezweifeln. Die Gesandten liessen sich bis an die äusserste Gränze der Vorstädte von Yeddo verdrängen, und die Regierung konnte sie hier leichter isoliren, als irgendwo. Zur wirk- lichen Niederlassung auf dem Goten-yama kam es aber niemals: das Grundstück wurde abgesteckt und eingezäunt, der Raum an die Vertragsmächte vertheilt und die ausgedehnten Wohngebäude der englischen Gesandtschaft vollendet; die Häuser der anderen Diplomaten kamen, erst später in Angriff genommen, kaum über die Fundamente hinaus, wodurch sie vor Schaden bewahrt wurden. Den ganzen Juli und August hindurch coursirten in Yeddo beunruhigende Gerüchte, welche nur auf Umwegen an die Fremden gelangten, aber deutlich bewiesen dass die Gährung zunahm. Der erste Minister Kudse Yamatto-no-kami hätte sich vor den Insulten und Drohungen der Lonine auf sein Schloss zurückziehen müssen; zwei andere Mitglieder des Reichsrathes wären, aus dem Palast kommend, von zahlreichen Banden angegriffen und nur durch die Tapferkeit ihrer Trabanten gerettet; der Gouverneur von Yeddo durch die gegen die englische Legation Verschworenen oder deren Verbündete aus Rache für seine energische Verfolgung im eigenen Hause überfallen und gemordet worden. Dann hiess es wieder, er habe auf Befehl des Reichsrathes Harakiru begangen, und zwar wegen einer sehr richtigen, aber scharfen und unberufenen Meinungs- äusserung: bei einer Berathung, ob der Taïkūn vor der Vermälung mit der Schwester des Mikado diesem in Miako die Huldigung lei- sten solle oder nicht, hätte der Gouverneur, die Befugnisse seiner Stellung überschreitend, sich sehr energisch und bedeutsam dagegen ausgesprochen. — Diese Gerüchte sind bezeichnend für die Lage; die Schwäche der Regierung und die Unsicherheit der Verhältnisse trat überall zu Tage. In Kanagava wurde das englische Consulat bedroht, Consul Vyse musste sich eine Schutzwache nehmen; die Lonine trieben sich dort, den Behörden offenen Trotz bietend, in hellen Haufen herum; man sprach sogar von Gefechten, die sie den kaiserlichen Truppen geliefert hätten. — Am 17. August wurde an die Hausthür des Ministers Ando Tsus-sima-no-kami ein Placat mit Drohungen geheftet, deren Ausführung nicht lange auf sich warten liess.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/281>, abgerufen am 11.05.2024.