Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Anh. II. Die bei den Loninen gefundene Schrift.
ungeschickt aufschlitzte, fiel lebend in deren Hände. Nachher sollen
noch zwei entdeckt worden sein, die sich gleichfalls entleibt hatten.
Zwei verwundete Lonine wurden bald darauf in einem Dorfe bei
Kanagava gesehen, entkamen jedoch. -- Von der Gesandtschafts-
wache blieb ein Leibgardist des Taikun auf dem Platze; ein zweiter
und ein Daimio-Soldat wurden schwer, sieben Leibgardisten und
zwei Daimio-Soldaten leicht verwundet. Im Ganzen belief sich die
Zahl der in To-dzen-dzi Getödteten und Blessirten, Europäer
und japanische Dienstleute mitgerechnet, auf dreiundzwanzig.

Die bei den Loninen gefundene Schrift war in einem für ge-
bildete Japaner kaum verständlichen Gebirgsdialect abgefasst und
lautete ungefähr so:

Obwohl von geringer Herkunft kann ich doch nicht ge-
duldig zusehen, wie das heilige Reich von den Fremden
beschimpft wird. Ich will, obgleich so niedriger Geburt,
eine Waffenthat vollbringen, welche die Tapferkeit meiner
Landsleute weithin berühmt machen soll. Die Unterneh-
mung ist schwer für einen Geringen; aber mit Muth und
Vertrauen kann auch der Geringe sie ausführen. Das
Gelingen meines Anschlages würde mir zu hohem Ruhme
gereichen, wenn ich dadurch die Gemüther des Mikado
und des Taikun (oder die Manen der Erbkaiser und des
Gongen-sama 8) nur etwas beruhigen könnte. Ich achte
nicht mein Leben und bin entschlossen es zu opfern.

Im Original sind Ausdruck und Fügung schwülstig, pleonastisch,
unklar, und lassen auf den niedrigsten Bildungsgrad des Verfassers
schliessen. Die vier auf Herrn Alcock's Veranlassung durch Ver-
schiedene davon gemachten Uebersetzungen stimmen nicht genau
überein; aus einer derselben scheint hervorzugehen, dass die Ver-
schworenen den Willen ihres Gebieters erfüllten. Die Regierungs-
beamten behaupteten, dass sie zur niedrigsten Classe gesetzloser
Banditen gehörten, doch lässt der Inhalt jenes Zettels eher auf ver-
kommene Samrai schliessen, welche aus Verzweiflung und fanati-
schem Patriotismus mordeten. Der Gefangene stiess, obgleich ver-
wundet und gebunden, in Gegenwart der Engländer die grässlich-
sten Verwünschungen gegen die Fremden aus und schäumte vor
Wuth über den misslungenen Anschlag.

8) Der göttliche Titel des Jyeyas als Kami nach seinem Tode.
II. 17

Anh. II. Die bei den Loninen gefundene Schrift.
ungeschickt aufschlitzte, fiel lebend in deren Hände. Nachher sollen
noch zwei entdeckt worden sein, die sich gleichfalls entleibt hatten.
Zwei verwundete Lonine wurden bald darauf in einem Dorfe bei
Kanagava gesehen, entkamen jedoch. — Von der Gesandtschafts-
wache blieb ein Leibgardist des Taïkūn auf dem Platze; ein zweiter
und ein Daïmio-Soldat wurden schwer, sieben Leibgardisten und
zwei Daïmio-Soldaten leicht verwundet. Im Ganzen belief sich die
Zahl der in To-džen-dži Getödteten und Blessirten, Europäer
und japanische Dienstleute mitgerechnet, auf dreiundzwanzig.

Die bei den Loninen gefundene Schrift war in einem für ge-
bildete Japaner kaum verständlichen Gebirgsdialect abgefasst und
lautete ungefähr so:

Obwohl von geringer Herkunft kann ich doch nicht ge-
duldig zusehen, wie das heilige Reich von den Fremden
beschimpft wird. Ich will, obgleich so niedriger Geburt,
eine Waffenthat vollbringen, welche die Tapferkeit meiner
Landsleute weithin berühmt machen soll. Die Unterneh-
mung ist schwer für einen Geringen; aber mit Muth und
Vertrauen kann auch der Geringe sie ausführen. Das
Gelingen meines Anschlages würde mir zu hohem Ruhme
gereichen, wenn ich dadurch die Gemüther des Mikado
und des Taïkūn (oder die Manen der Erbkaiser und des
Goṅgen-sama 8) nur etwas beruhigen könnte. Ich achte
nicht mein Leben und bin entschlossen es zu opfern.

Im Original sind Ausdruck und Fügung schwülstig, pleonastisch,
unklar, und lassen auf den niedrigsten Bildungsgrad des Verfassers
schliessen. Die vier auf Herrn Alcock’s Veranlassung durch Ver-
schiedene davon gemachten Uebersetzungen stimmen nicht genau
überein; aus einer derselben scheint hervorzugehen, dass die Ver-
schworenen den Willen ihres Gebieters erfüllten. Die Regierungs-
beamten behaupteten, dass sie zur niedrigsten Classe gesetzloser
Banditen gehörten, doch lässt der Inhalt jenes Zettels eher auf ver-
kommene Samraï schliessen, welche aus Verzweiflung und fanati-
schem Patriotismus mordeten. Der Gefangene stiess, obgleich ver-
wundet und gebunden, in Gegenwart der Engländer die grässlich-
sten Verwünschungen gegen die Fremden aus und schäumte vor
Wuth über den misslungenen Anschlag.

8) Der göttliche Titel des Jyeyas als Kami nach seinem Tode.
II. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0277" n="257"/><fw place="top" type="header">Anh. II. Die bei den <hi rendition="#k">Lonin</hi>en gefundene Schrift.</fw><lb/>
ungeschickt aufschlitzte, fiel lebend in deren Hände. Nachher sollen<lb/>
noch zwei entdeckt worden sein, die sich gleichfalls entleibt hatten.<lb/>
Zwei verwundete <hi rendition="#k">Lonin</hi>e wurden bald darauf in einem Dorfe bei<lb/><hi rendition="#k"><placeName>Kanagava</placeName></hi> gesehen, entkamen jedoch. &#x2014; Von der Gesandtschafts-<lb/>
wache blieb ein Leibgardist des <hi rendition="#k">Taïk&#x016B;n</hi> auf dem Platze; ein zweiter<lb/>
und ein <hi rendition="#k">Daïmio</hi>-Soldat wurden schwer, sieben Leibgardisten und<lb/>
zwei <hi rendition="#k">Daïmio</hi>-Soldaten leicht verwundet. Im Ganzen belief sich die<lb/>
Zahl der in <hi rendition="#k"><placeName>To-d&#x017E;en-d&#x017E;i</placeName></hi> Getödteten und Blessirten, Europäer<lb/>
und japanische Dienstleute mitgerechnet, auf dreiundzwanzig.</p><lb/>
          <p>Die bei den <hi rendition="#k">Lonin</hi>en gefundene Schrift war in einem für ge-<lb/>
bildete Japaner kaum verständlichen Gebirgsdialect abgefasst und<lb/>
lautete ungefähr so:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Obwohl von geringer Herkunft kann ich doch nicht ge-<lb/>
duldig zusehen, wie das heilige Reich von den Fremden<lb/>
beschimpft wird. Ich will, obgleich so niedriger Geburt,<lb/>
eine Waffenthat vollbringen, welche die Tapferkeit meiner<lb/>
Landsleute weithin berühmt machen soll. Die Unterneh-<lb/>
mung ist schwer für einen Geringen; aber mit Muth und<lb/>
Vertrauen kann auch der Geringe sie ausführen. Das<lb/>
Gelingen meines Anschlages würde mir zu hohem Ruhme<lb/>
gereichen, wenn ich dadurch die Gemüther des <hi rendition="#k">Mikado</hi><lb/>
und des <hi rendition="#k">Taïk&#x016B;n</hi> (oder die Manen der Erbkaiser und des<lb/><hi rendition="#k">Go&#x1E45;gen-sama</hi> <note place="foot" n="8)">Der göttliche Titel des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11897453X">Jyeyas</persName></hi> als <hi rendition="#k">Kami</hi> nach seinem Tode.</note> nur etwas beruhigen könnte. Ich achte<lb/>
nicht mein Leben und bin entschlossen es zu opfern.</hi> </p><lb/>
          <p>Im Original sind Ausdruck und Fügung schwülstig, pleonastisch,<lb/>
unklar, und lassen auf den niedrigsten Bildungsgrad des Verfassers<lb/>
schliessen. Die vier auf Herrn <persName ref="http://d-nb.info/gnd/12472907X">Alcock&#x2019;s</persName> Veranlassung durch Ver-<lb/>
schiedene davon gemachten Uebersetzungen stimmen nicht genau<lb/>
überein; aus einer derselben scheint hervorzugehen, dass die Ver-<lb/>
schworenen den Willen ihres Gebieters erfüllten. Die Regierungs-<lb/>
beamten behaupteten, dass sie zur niedrigsten Classe gesetzloser<lb/>
Banditen gehörten, doch lässt der Inhalt jenes Zettels eher auf ver-<lb/>
kommene <hi rendition="#k">Samraï</hi> schliessen, welche aus Verzweiflung und fanati-<lb/>
schem Patriotismus mordeten. Der Gefangene stiess, obgleich ver-<lb/>
wundet und gebunden, in Gegenwart der Engländer die grässlich-<lb/>
sten Verwünschungen gegen die Fremden aus und schäumte vor<lb/>
Wuth über den misslungenen Anschlag.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">II. 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0277] Anh. II. Die bei den Loninen gefundene Schrift. ungeschickt aufschlitzte, fiel lebend in deren Hände. Nachher sollen noch zwei entdeckt worden sein, die sich gleichfalls entleibt hatten. Zwei verwundete Lonine wurden bald darauf in einem Dorfe bei Kanagava gesehen, entkamen jedoch. — Von der Gesandtschafts- wache blieb ein Leibgardist des Taïkūn auf dem Platze; ein zweiter und ein Daïmio-Soldat wurden schwer, sieben Leibgardisten und zwei Daïmio-Soldaten leicht verwundet. Im Ganzen belief sich die Zahl der in To-džen-dži Getödteten und Blessirten, Europäer und japanische Dienstleute mitgerechnet, auf dreiundzwanzig. Die bei den Loninen gefundene Schrift war in einem für ge- bildete Japaner kaum verständlichen Gebirgsdialect abgefasst und lautete ungefähr so: Obwohl von geringer Herkunft kann ich doch nicht ge- duldig zusehen, wie das heilige Reich von den Fremden beschimpft wird. Ich will, obgleich so niedriger Geburt, eine Waffenthat vollbringen, welche die Tapferkeit meiner Landsleute weithin berühmt machen soll. Die Unterneh- mung ist schwer für einen Geringen; aber mit Muth und Vertrauen kann auch der Geringe sie ausführen. Das Gelingen meines Anschlages würde mir zu hohem Ruhme gereichen, wenn ich dadurch die Gemüther des Mikado und des Taïkūn (oder die Manen der Erbkaiser und des Goṅgen-sama 8) nur etwas beruhigen könnte. Ich achte nicht mein Leben und bin entschlossen es zu opfern. Im Original sind Ausdruck und Fügung schwülstig, pleonastisch, unklar, und lassen auf den niedrigsten Bildungsgrad des Verfassers schliessen. Die vier auf Herrn Alcock’s Veranlassung durch Ver- schiedene davon gemachten Uebersetzungen stimmen nicht genau überein; aus einer derselben scheint hervorzugehen, dass die Ver- schworenen den Willen ihres Gebieters erfüllten. Die Regierungs- beamten behaupteten, dass sie zur niedrigsten Classe gesetzloser Banditen gehörten, doch lässt der Inhalt jenes Zettels eher auf ver- kommene Samraï schliessen, welche aus Verzweiflung und fanati- schem Patriotismus mordeten. Der Gefangene stiess, obgleich ver- wundet und gebunden, in Gegenwart der Engländer die grässlich- sten Verwünschungen gegen die Fremden aus und schäumte vor Wuth über den misslungenen Anschlag. 8) Der göttliche Titel des Jyeyas als Kami nach seinem Tode. II. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/277
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/277>, abgerufen am 12.05.2024.