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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Die politische Lage.
Takemoto, sei zwischen dem Mikado und dem Taikun eine Span-
nung eingetreten, die zum grossen Theil von der Frage über
Zulassung der Fremden herrühre; der Taikun habe diese Angelegen-
heit freier aufgefasst als man am Hofe von Miako billige, dürfe sich
aber nicht verhehlen, dass der dadurch hervorgerufene Zwiespalt
für das Land die traurigsten Folgen haben könne, und wolle sich
nun, um Alles in das Gleiche zu bringen, der Schwester des Mikado
vermälen. Die Verhandlungen darüber schwebten noch, könnten
sich aber leicht zerschlagen, wenn Fremde, und sogar Fremde von
so hohem Range jetzt nach Miako kämen; ihre Anwesenheit würde
den dortigen Hof auf das neue erbittern. -- Auf diese Mittheilung
standen die Reisenden von ihrem Vorhaben ab und umgingen die
Residenz des Erbkaisers.

Hier wurde also die Autorität des Erbkaisers zum ersten
Male gegen Ausländer zur Sprache gebracht. Bisher war nur immer
von den "publiken Gevoelen", der öffentlichen Meinung als Feindin
der Fremden die Rede gewesen; jetzt setzte man den Mikado in
Scene, ohne jedoch der Daimio's, deren Anhang allein ihn furcht-
bar macht, mit einer Silbe zu erwähnen. Diesen hatte die alters-
schwache Siogun-Herrschaft in den letzten Jahrzehnten weit mehr
Spielraum gegönnt, als sich mit dem Systeme vertrug. Eine Parthei
reicher und angesehener Fürsten wollte das lästige Joch ganz ab-
schütteln, das ihnen zwei Jahrhunderte lang keinen Zollbreit freier
Bewegung liess; als Vorwand mussten die ohne Sanction des Mikado
geschlossenen Verträge dienen. Auf bleibende Vertreibung der
Fremden war es dabei nicht abgesehen. Im Gegentheil soll schon
1858 die Mehrzahl der Daimio's eine viel freisinnigere Politik, den
Abschluss von Verträgen gewünscht haben, welche Japan dem freie-
sten Verkehr der westlichen Völker öffneten. Auch auf diese Weise
war das System des Jyeyas zu stürzen, dessen Grundlagen ja die
hermetische Verschliessung nach aussen und despotische Ueber-
wachung im Inneren sind. Das wusste aber die Regierung von
Yeddo eben so gut. Sie hätte sich den Verträgen am liebsten ganz
entzogen und gab ihnen, als das nicht möglich war, eine Fassung,
welche ihr allein alle Vortheile bringen und die engste Beschränkung
des Verkehrs auf die geöffneten Häfen sichern sollte. Sie hatte
sich aber verrechnet und sowohl die Fremden als sich selbst ver-
kannt. Denn Jene liessen sich die Beschränkungen des Handels
nicht gefallen, und die Regierung hatte nicht die Kraft sie durch-

Anh. II. Die politische Lage.
Takemoto, sei zwischen dem Mikado und dem Taïkūn eine Span-
nung eingetreten, die zum grossen Theil von der Frage über
Zulassung der Fremden herrühre; der Taïkūn habe diese Angelegen-
heit freier aufgefasst als man am Hofe von Miako billige, dürfe sich
aber nicht verhehlen, dass der dadurch hervorgerufene Zwiespalt
für das Land die traurigsten Folgen haben könne, und wolle sich
nun, um Alles in das Gleiche zu bringen, der Schwester des Mikado
vermälen. Die Verhandlungen darüber schwebten noch, könnten
sich aber leicht zerschlagen, wenn Fremde, und sogar Fremde von
so hohem Range jetzt nach Miako kämen; ihre Anwesenheit würde
den dortigen Hof auf das neue erbittern. — Auf diese Mittheilung
standen die Reisenden von ihrem Vorhaben ab und umgingen die
Residenz des Erbkaisers.

Hier wurde also die Autorität des Erbkaisers zum ersten
Male gegen Ausländer zur Sprache gebracht. Bisher war nur immer
von den »publiken Gevoelen«, der öffentlichen Meinung als Feindin
der Fremden die Rede gewesen; jetzt setzte man den Mikado in
Scene, ohne jedoch der Daïmio’s, deren Anhang allein ihn furcht-
bar macht, mit einer Silbe zu erwähnen. Diesen hatte die alters-
schwache Siogun-Herrschaft in den letzten Jahrzehnten weit mehr
Spielraum gegönnt, als sich mit dem Systeme vertrug. Eine Parthei
reicher und angesehener Fürsten wollte das lästige Joch ganz ab-
schütteln, das ihnen zwei Jahrhunderte lang keinen Zollbreit freier
Bewegung liess; als Vorwand mussten die ohne Sanction des Mikado
geschlossenen Verträge dienen. Auf bleibende Vertreibung der
Fremden war es dabei nicht abgesehen. Im Gegentheil soll schon
1858 die Mehrzahl der Daïmio’s eine viel freisinnigere Politik, den
Abschluss von Verträgen gewünscht haben, welche Japan dem freie-
sten Verkehr der westlichen Völker öffneten. Auch auf diese Weise
war das System des Jyeyas zu stürzen, dessen Grundlagen ja die
hermetische Verschliessung nach aussen und despotische Ueber-
wachung im Inneren sind. Das wusste aber die Regierung von
Yeddo eben so gut. Sie hätte sich den Verträgen am liebsten ganz
entzogen und gab ihnen, als das nicht möglich war, eine Fassung,
welche ihr allein alle Vortheile bringen und die engste Beschränkung
des Verkehrs auf die geöffneten Häfen sichern sollte. Sie hatte
sich aber verrechnet und sowohl die Fremden als sich selbst ver-
kannt. Denn Jene liessen sich die Beschränkungen des Handels
nicht gefallen, und die Regierung hatte nicht die Kraft sie durch-

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[251/0271] Anh. II. Die politische Lage. Takemoto, sei zwischen dem Mikado und dem Taïkūn eine Span- nung eingetreten, die zum grossen Theil von der Frage über Zulassung der Fremden herrühre; der Taïkūn habe diese Angelegen- heit freier aufgefasst als man am Hofe von Miako billige, dürfe sich aber nicht verhehlen, dass der dadurch hervorgerufene Zwiespalt für das Land die traurigsten Folgen haben könne, und wolle sich nun, um Alles in das Gleiche zu bringen, der Schwester des Mikado vermälen. Die Verhandlungen darüber schwebten noch, könnten sich aber leicht zerschlagen, wenn Fremde, und sogar Fremde von so hohem Range jetzt nach Miako kämen; ihre Anwesenheit würde den dortigen Hof auf das neue erbittern. — Auf diese Mittheilung standen die Reisenden von ihrem Vorhaben ab und umgingen die Residenz des Erbkaisers. Hier wurde also die Autorität des Erbkaisers zum ersten Male gegen Ausländer zur Sprache gebracht. Bisher war nur immer von den »publiken Gevoelen«, der öffentlichen Meinung als Feindin der Fremden die Rede gewesen; jetzt setzte man den Mikado in Scene, ohne jedoch der Daïmio’s, deren Anhang allein ihn furcht- bar macht, mit einer Silbe zu erwähnen. Diesen hatte die alters- schwache Siogun-Herrschaft in den letzten Jahrzehnten weit mehr Spielraum gegönnt, als sich mit dem Systeme vertrug. Eine Parthei reicher und angesehener Fürsten wollte das lästige Joch ganz ab- schütteln, das ihnen zwei Jahrhunderte lang keinen Zollbreit freier Bewegung liess; als Vorwand mussten die ohne Sanction des Mikado geschlossenen Verträge dienen. Auf bleibende Vertreibung der Fremden war es dabei nicht abgesehen. Im Gegentheil soll schon 1858 die Mehrzahl der Daïmio’s eine viel freisinnigere Politik, den Abschluss von Verträgen gewünscht haben, welche Japan dem freie- sten Verkehr der westlichen Völker öffneten. Auch auf diese Weise war das System des Jyeyas zu stürzen, dessen Grundlagen ja die hermetische Verschliessung nach aussen und despotische Ueber- wachung im Inneren sind. Das wusste aber die Regierung von Yeddo eben so gut. Sie hätte sich den Verträgen am liebsten ganz entzogen und gab ihnen, als das nicht möglich war, eine Fassung, welche ihr allein alle Vortheile bringen und die engste Beschränkung des Verkehrs auf die geöffneten Häfen sichern sollte. Sie hatte sich aber verrechnet und sowohl die Fremden als sich selbst ver- kannt. Denn Jene liessen sich die Beschränkungen des Handels nicht gefallen, und die Regierung hatte nicht die Kraft sie durch-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/271>, abgerufen am 22.11.2024.