wohnende Gesellschaft alle Abend um die Insel spazieren, und zwar immer in derselben Richtung wie seit vielleicht zweihundert Jahren, und niemals in der entgegengesetzten.
November, December, Januar waren die stillsten Monate. Am Neujahrstage erschienen die Ober-Banyosen als Deputirte des Statthalters, der Ottona und die Ober-Dolmetscher in Gala zur Gratulation bei dem Handelsvorsteher, der sie regelmässig zum Essen einlud. Wie lange die Sitzung des schwelgerischen Males gewöhnlich dauerte ist uns nicht aufbewahrt; man trank aber nach- her noch die ganze Nacht durch und trennte sich erst gegen fünf Uhr Morgens. Der Handelsvorsteher liess zur Aufwartung die schönsten Mädchen aus den Dzoro-ya von Nangasaki kommen, welche nachher den Gästen die Nacht durch Musik und Tanz ver- kürzen mussten. Die Japaner sollen bei diesen Schmäusen immer sehr mässig gegessen, aber jeder von jedem Gericht einen ganzen Teller an ihre Familien in die Stadt geschickt haben; es muss also vollauf gewesen sein.
Anfang Februar schickte man sich zur Hofreise an, auf wel- cher gewöhnlich der Secretär und der Arzt den Handelsvorsteher begleiteten. Man erwies den Holländern auf dem Wege ähnliche Ehren wie den einheimischen Fürsten, bewachte sie aber dabei wie Gefangene und verhinderte jeden Verkehr mit den Landesbewohnern. Zu Kämpfer's Zeit wurde nur der Handelsvorsteher in Norimon be- fördert, sein Assistent und der Arzt mussten auf Packpferden reiten; Thunberg dagegen reiste wie sein Chef in einer Sänfte und weiss deren Bequemlichkeit nicht genug zu rühmen. Der Aufenthalt in Yeddo war nicht der angenehmste Theil des Ausfluges; die Hollän- der mussten oft Wochen lang auf die Audienz warten und durften vorher weder ausgehen, noch, der Regel nach, Besuche empfangen. Die Audienz, zu der nur von dem excentrischen Tsuna-yosi neben dem Handelsvorsteher auch der Arzt berufen wurde, war eine blosse Formalität: der Vorsteher kniete nach Landessitte vor dem Siogun nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Seine Begleiter warteten unterdessen im Vorgemach und liessen sich von vorneh- men Staatsbeamten geduldig begaffen und ausfragen. Bei der Ab- schiedsaudienz war es wenig anders. -- Auf der Rückreise pflegte man den Holländern freiere Bewegung zu gestatten; -- der Handels- vorsteher war ja durch den Anblick des Siogun gewürdigt. Thun- berg durfte in Miako die merkwürdigsten Tempel, darunter den
Neujahr auf Desima. Die Hofreise. XI.
wohnende Gesellschaft alle Abend um die Insel spazieren, und zwar immer in derselben Richtung wie seit vielleicht zweihundert Jahren, und niemals in der entgegengesetzten.
November, December, Januar waren die stillsten Monate. Am Neujahrstage erschienen die Ober-Banyosen als Deputirte des Statthalters, der Ottona und die Ober-Dolmetscher in Gala zur Gratulation bei dem Handelsvorsteher, der sie regelmässig zum Essen einlud. Wie lange die Sitzung des schwelgerischen Males gewöhnlich dauerte ist uns nicht aufbewahrt; man trank aber nach- her noch die ganze Nacht durch und trennte sich erst gegen fünf Uhr Morgens. Der Handelsvorsteher liess zur Aufwartung die schönsten Mädchen aus den Džoro-ya von Naṅgasaki kommen, welche nachher den Gästen die Nacht durch Musik und Tanz ver- kürzen mussten. Die Japaner sollen bei diesen Schmäusen immer sehr mässig gegessen, aber jeder von jedem Gericht einen ganzen Teller an ihre Familien in die Stadt geschickt haben; es muss also vollauf gewesen sein.
Anfang Februar schickte man sich zur Hofreise an, auf wel- cher gewöhnlich der Secretär und der Arzt den Handelsvorsteher begleiteten. Man erwies den Holländern auf dem Wege ähnliche Ehren wie den einheimischen Fürsten, bewachte sie aber dabei wie Gefangene und verhinderte jeden Verkehr mit den Landesbewohnern. Zu Kämpfer’s Zeit wurde nur der Handelsvorsteher in Norimon be- fördert, sein Assistent und der Arzt mussten auf Packpferden reiten; Thunberg dagegen reiste wie sein Chef in einer Sänfte und weiss deren Bequemlichkeit nicht genug zu rühmen. Der Aufenthalt in Yeddo war nicht der angenehmste Theil des Ausfluges; die Hollän- der mussten oft Wochen lang auf die Audienz warten und durften vorher weder ausgehen, noch, der Regel nach, Besuche empfangen. Die Audienz, zu der nur von dem excentrischen Tsuna-yosi neben dem Handelsvorsteher auch der Arzt berufen wurde, war eine blosse Formalität: der Vorsteher kniete nach Landessitte vor dem Siogun nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Seine Begleiter warteten unterdessen im Vorgemach und liessen sich von vorneh- men Staatsbeamten geduldig begaffen und ausfragen. Bei der Ab- schiedsaudienz war es wenig anders. — Auf der Rückreise pflegte man den Holländern freiere Bewegung zu gestatten; — der Handels- vorsteher war ja durch den Anblick des Siogun gewürdigt. Thun- berg durfte in Miako die merkwürdigsten Tempel, darunter den
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Neujahr auf Desima. Die Hofreise. XI.
wohnende Gesellschaft alle Abend um die Insel spazieren, und
zwar immer in derselben Richtung wie seit vielleicht zweihundert
Jahren, und niemals in der entgegengesetzten.
November, December, Januar waren die stillsten Monate.
Am Neujahrstage erschienen die Ober-Banyosen als Deputirte des
Statthalters, der Ottona und die Ober-Dolmetscher in Gala zur
Gratulation bei dem Handelsvorsteher, der sie regelmässig zum
Essen einlud. Wie lange die Sitzung des schwelgerischen Males
gewöhnlich dauerte ist uns nicht aufbewahrt; man trank aber nach-
her noch die ganze Nacht durch und trennte sich erst gegen fünf
Uhr Morgens. Der Handelsvorsteher liess zur Aufwartung die
schönsten Mädchen aus den Džoro-ya von Naṅgasaki kommen,
welche nachher den Gästen die Nacht durch Musik und Tanz ver-
kürzen mussten. Die Japaner sollen bei diesen Schmäusen immer
sehr mässig gegessen, aber jeder von jedem Gericht einen ganzen
Teller an ihre Familien in die Stadt geschickt haben; es muss also
vollauf gewesen sein.
Anfang Februar schickte man sich zur Hofreise an, auf wel-
cher gewöhnlich der Secretär und der Arzt den Handelsvorsteher
begleiteten. Man erwies den Holländern auf dem Wege ähnliche
Ehren wie den einheimischen Fürsten, bewachte sie aber dabei wie
Gefangene und verhinderte jeden Verkehr mit den Landesbewohnern.
Zu Kämpfer’s Zeit wurde nur der Handelsvorsteher in Norimon be-
fördert, sein Assistent und der Arzt mussten auf Packpferden reiten;
Thunberg dagegen reiste wie sein Chef in einer Sänfte und weiss
deren Bequemlichkeit nicht genug zu rühmen. Der Aufenthalt in
Yeddo war nicht der angenehmste Theil des Ausfluges; die Hollän-
der mussten oft Wochen lang auf die Audienz warten und durften
vorher weder ausgehen, noch, der Regel nach, Besuche empfangen.
Die Audienz, zu der nur von dem excentrischen Tsuna-yosi neben
dem Handelsvorsteher auch der Arzt berufen wurde, war eine blosse
Formalität: der Vorsteher kniete nach Landessitte vor dem Siogun
nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Seine Begleiter
warteten unterdessen im Vorgemach und liessen sich von vorneh-
men Staatsbeamten geduldig begaffen und ausfragen. Bei der Ab-
schiedsaudienz war es wenig anders. — Auf der Rückreise pflegte
man den Holländern freiere Bewegung zu gestatten; — der Handels-
vorsteher war ja durch den Anblick des Siogun gewürdigt. Thun-
berg durfte in Miako die merkwürdigsten Tempel, darunter den
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/226>, abgerufen am 26.06.2024.
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