diese Schmuggelbäuche, und die Bevölkerung von Nangasaki, wo man seit über hundert Jahren Corpulenz für ein nothwendiges Attribut des Schiffscommando's gehalten hatte, soll sehr erstaunt gewesen sein, als seitdem auch magere Capitäne kamen.
Mitte August pflegten die niederländischen Schiffe vor Nan- gasaki einzutreffen und Anfang November fuhren sie wieder ab. So lange gab es Leben und Bewegung genug auf der Insel, ihre Bewohner hatten Beschäftigung und Aufregung in Fülle, waren aber nachher der tödtlichsten Langeweile preisgegeben. Männern, die höheren Lebensgenusses und wissenschaftlichen Strebens fähig gewesen wären, begegnet man selten unter dem Personal der Factorei; unter den Aerzten des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen sich nur zwei, der Deutsche Kämpfer und der Schwede Thunberg um die Natur und den Zustand des Landes gekümmert zu haben. Einzelne holländische Aerzte haben auch meteorologische Beobach- tungen veröffentlicht, sonst aber nichts von Bedeutung. Auch unter den Handelsvorstehern jener Zeit können nur wenige genannt werden, die für etwas anderes als ihre Handelsgeschäfte Sinn gehabt und Beiträge zur Kenntniss des Landes geliefert hätten, wie Titsingh, der mit Eifer und Verständniss sammelte und mit Hülfe der Dol- metscher wichtige japanische Werke übersetzte. Die meisten führten, soweit das in solchem Gefängniss möglich ist, ein Schlaraffenleben. Man versah sich reichlich mit allen Luxusartikeln europäischer Schwelgerei und suchte sein Heil in den Freuden der Tafel. Wie noch heut in manchen chinesischen Häfen, so verschwanden auch auf Desima die Ausgaben des ausschweifendsten Lebens gegen den ungeheueren Gewinn, den der Handel abwarf; es war Ton, sich nichts Erreichbares zu versagen. Die höheren Beamten der Factorei assen bei dem Handelsvorsteher auf Kosten der Compagnie. Nachmittags machte sich die ganze Gesellschaft, einige Dutzend Mal um die Insel spazierend, die nöthige Leibesbewegung, und den Abend brachten die Meisten bei dem Handelsvorsteher zu. Hier scheinen die Herren einander meist gravitätisch gegenüber gesessen und aus mächtigen Pfeifen den Tabaksqualm in die Luft geblasen, dabei auch nicht allzuviel geredet zu haben. Thunberg wenigstens nennt seine Genossen auf Desima Automaten, deren einziger Genuss in ihrer Tabakspfeife stecke. -- Spuren der alten Gewohnheiten haben sich bis auf unsere Tage vererbt; man lebt noch heute auf Desima herrlich und in Freuden; noch heute geht die ganze dort
XI. Leben der Holländer auf Desima.
diese Schmuggelbäuche, und die Bevölkerung von Naṅgasaki, wo man seit über hundert Jahren Corpulenz für ein nothwendiges Attribut des Schiffscommando’s gehalten hatte, soll sehr erstaunt gewesen sein, als seitdem auch magere Capitäne kamen.
Mitte August pflegten die niederländischen Schiffe vor Naṅ- gasaki einzutreffen und Anfang November fuhren sie wieder ab. So lange gab es Leben und Bewegung genug auf der Insel, ihre Bewohner hatten Beschäftigung und Aufregung in Fülle, waren aber nachher der tödtlichsten Langeweile preisgegeben. Männern, die höheren Lebensgenusses und wissenschaftlichen Strebens fähig gewesen wären, begegnet man selten unter dem Personal der Factorei; unter den Aerzten des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen sich nur zwei, der Deutsche Kämpfer und der Schwede Thunberg um die Natur und den Zustand des Landes gekümmert zu haben. Einzelne holländische Aerzte haben auch meteorologische Beobach- tungen veröffentlicht, sonst aber nichts von Bedeutung. Auch unter den Handelsvorstehern jener Zeit können nur wenige genannt werden, die für etwas anderes als ihre Handelsgeschäfte Sinn gehabt und Beiträge zur Kenntniss des Landes geliefert hätten, wie Titsingh, der mit Eifer und Verständniss sammelte und mit Hülfe der Dol- metscher wichtige japanische Werke übersetzte. Die meisten führten, soweit das in solchem Gefängniss möglich ist, ein Schlaraffenleben. Man versah sich reichlich mit allen Luxusartikeln europäischer Schwelgerei und suchte sein Heil in den Freuden der Tafel. Wie noch heut in manchen chinesischen Häfen, so verschwanden auch auf Desima die Ausgaben des ausschweifendsten Lebens gegen den ungeheueren Gewinn, den der Handel abwarf; es war Ton, sich nichts Erreichbares zu versagen. Die höheren Beamten der Factorei assen bei dem Handelsvorsteher auf Kosten der Compagnie. Nachmittags machte sich die ganze Gesellschaft, einige Dutzend Mal um die Insel spazierend, die nöthige Leibesbewegung, und den Abend brachten die Meisten bei dem Handelsvorsteher zu. Hier scheinen die Herren einander meist gravitätisch gegenüber gesessen und aus mächtigen Pfeifen den Tabaksqualm in die Luft geblasen, dabei auch nicht allzuviel geredet zu haben. Thunberg wenigstens nennt seine Genossen auf Desima Automaten, deren einziger Genuss in ihrer Tabakspfeife stecke. — Spuren der alten Gewohnheiten haben sich bis auf unsere Tage vererbt; man lebt noch heute auf Desima herrlich und in Freuden; noch heute geht die ganze dort
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XI. Leben der Holländer auf Desima.
diese Schmuggelbäuche, und die Bevölkerung von Naṅgasaki, wo
man seit über hundert Jahren Corpulenz für ein nothwendiges
Attribut des Schiffscommando’s gehalten hatte, soll sehr erstaunt
gewesen sein, als seitdem auch magere Capitäne kamen.
Mitte August pflegten die niederländischen Schiffe vor Naṅ-
gasaki einzutreffen und Anfang November fuhren sie wieder ab.
So lange gab es Leben und Bewegung genug auf der Insel, ihre
Bewohner hatten Beschäftigung und Aufregung in Fülle, waren
aber nachher der tödtlichsten Langeweile preisgegeben. Männern,
die höheren Lebensgenusses und wissenschaftlichen Strebens fähig
gewesen wären, begegnet man selten unter dem Personal der
Factorei; unter den Aerzten des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen
sich nur zwei, der Deutsche Kämpfer und der Schwede Thunberg
um die Natur und den Zustand des Landes gekümmert zu haben.
Einzelne holländische Aerzte haben auch meteorologische Beobach-
tungen veröffentlicht, sonst aber nichts von Bedeutung. Auch unter
den Handelsvorstehern jener Zeit können nur wenige genannt
werden, die für etwas anderes als ihre Handelsgeschäfte Sinn gehabt
und Beiträge zur Kenntniss des Landes geliefert hätten, wie Titsingh,
der mit Eifer und Verständniss sammelte und mit Hülfe der Dol-
metscher wichtige japanische Werke übersetzte. Die meisten führten,
soweit das in solchem Gefängniss möglich ist, ein Schlaraffenleben.
Man versah sich reichlich mit allen Luxusartikeln europäischer
Schwelgerei und suchte sein Heil in den Freuden der Tafel. Wie
noch heut in manchen chinesischen Häfen, so verschwanden auch
auf Desima die Ausgaben des ausschweifendsten Lebens gegen
den ungeheueren Gewinn, den der Handel abwarf; es war Ton,
sich nichts Erreichbares zu versagen. Die höheren Beamten der
Factorei assen bei dem Handelsvorsteher auf Kosten der Compagnie.
Nachmittags machte sich die ganze Gesellschaft, einige Dutzend
Mal um die Insel spazierend, die nöthige Leibesbewegung, und den
Abend brachten die Meisten bei dem Handelsvorsteher zu. Hier
scheinen die Herren einander meist gravitätisch gegenüber gesessen
und aus mächtigen Pfeifen den Tabaksqualm in die Luft geblasen,
dabei auch nicht allzuviel geredet zu haben. Thunberg wenigstens
nennt seine Genossen auf Desima Automaten, deren einziger Genuss
in ihrer Tabakspfeife stecke. — Spuren der alten Gewohnheiten
haben sich bis auf unsere Tage vererbt; man lebt noch heute auf
Desima herrlich und in Freuden; noch heute geht die ganze dort
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/225>, abgerufen am 26.06.2024.
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