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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VII. Mahl-Thee. Thee-Legende.
dass alle sehr aromatischen Arten, namentlich der berühmte russische
Karavanenthee künstlich parfümirt sind; im Lande wird dergleichen
niemals getrunken. -- Mit den groben Sorten macht man wenig
Umstände: der Theekessel wird Morgens mit dem Aufguss an das
Feuer gebracht und kocht dort ruhig den ganzen Tag: man setzt nach
Bedürfniss Theeblätter und Wasser zu ohne den Topf je zu ent-
leeren. Dies Getränk ist angenehm adstringirend und belebend, hat
aber niemals die narkotische Bitterkeit unserer aromatischen Sorten
nachdem sie lange gezogen. Der Verfasser zeichnete in Yeddo
täglich einige Stunden nach der Natur; wo er sich grade niederliess
brachte man jedesmal gleich aus dem nächsten Hause einen Thee-
kessel mit Tassen für ihn und die begleitenden Yakunine. Diese
Sitzungen dauerten oft drei bis vier Stunden, und das anregende
Getränk war bei Hitze und Kälte eine wahre Wohlthat; man leerte
mit Behagen eine Schale nach der anderen, und wenn der Kessel
erkaltete stand schon ein anderer bereit.

Der sogenannte Mahl-Thee, ein feines Pulver zerriebener Thee-
blätter wird nach Siebold aus den gröbsten Sprossen der ersten
Aernte, nach Kämpfer aus den feinsten Knospen dreijähriger Sträucher
bereitet, und nur bei Gastmälern oder festlichen Gelegenheiten
gereicht. Man schüttet ein Häufchen davon in die Tasse, giesst
siedendes Wasser darüber und trinkt die durchgerührte Mischung
als dünnen Brei, wie Chocolade.

Siebold hat unter seinen japanischen Pflanzen vier Varietäten
von Thea sinensis beschrieben; der bei Yeddo wachsende Busch
soll der bei Canton cultivirten Thea bohea gleichen. Darf man der
Japanischen Encyclopädie glauben, so wäre das südliche Korea die
eigentliche Heimath des Strauches; von da sollen Gesandte des
Reiches Sinra zu Anfang des neunten Jahrhunderts Theesamen
nach Japan gebracht haben, wo das Getränk bald die allgemeinste
Verbreitung fand. Die Legende berichtet von seiner Entstehung
Folgendes: Bodai-Darma, der grosse Prophet, brachte sein Leben
in frommen Bussübungen zu und enthielt sich beständig von Speise
und Schlaf; einmal aber übermannte ihn die Müdigkeit, so dass er
einschlummerte. Beim Erwachen empfand er nun so bittere Reue,
dass er seine beiden Augenlider abschnitt und zürnend von sich
warf. Am folgenden Tage waren zwei Pflänzchen daraus hervor-
gesprossen, deren Blätter Darma verspeiste; er empfand davon
die seltsamste Erquickung, alle Müdigkeit war verschwunden und

II. 6

VII. Mahl-Thee. Thee-Legende.
dass alle sehr aromatischen Arten, namentlich der berühmte russische
Karavanenthee künstlich parfümirt sind; im Lande wird dergleichen
niemals getrunken. — Mit den groben Sorten macht man wenig
Umstände: der Theekessel wird Morgens mit dem Aufguss an das
Feuer gebracht und kocht dort ruhig den ganzen Tag: man setzt nach
Bedürfniss Theeblätter und Wasser zu ohne den Topf je zu ent-
leeren. Dies Getränk ist angenehm adstringirend und belebend, hat
aber niemals die narkotische Bitterkeit unserer aromatischen Sorten
nachdem sie lange gezogen. Der Verfasser zeichnete in Yeddo
täglich einige Stunden nach der Natur; wo er sich grade niederliess
brachte man jedesmal gleich aus dem nächsten Hause einen Thee-
kessel mit Tassen für ihn und die begleitenden Yakunine. Diese
Sitzungen dauerten oft drei bis vier Stunden, und das anregende
Getränk war bei Hitze und Kälte eine wahre Wohlthat; man leerte
mit Behagen eine Schale nach der anderen, und wenn der Kessel
erkaltete stand schon ein anderer bereit.

Der sogenannte Mahl-Thee, ein feines Pulver zerriebener Thee-
blätter wird nach Siebold aus den gröbsten Sprossen der ersten
Aernte, nach Kämpfer aus den feinsten Knospen dreijähriger Sträucher
bereitet, und nur bei Gastmälern oder festlichen Gelegenheiten
gereicht. Man schüttet ein Häufchen davon in die Tasse, giesst
siedendes Wasser darüber und trinkt die durchgerührte Mischung
als dünnen Brei, wie Chocolade.

Siebold hat unter seinen japanischen Pflanzen vier Varietäten
von Thea sinensis beschrieben; der bei Yeddo wachsende Busch
soll der bei Canton cultivirten Thea bohea gleichen. Darf man der
Japanischen Encyclopädie glauben, so wäre das südliche Korea die
eigentliche Heimath des Strauches; von da sollen Gesandte des
Reiches Sinra zu Anfang des neunten Jahrhunderts Theesamen
nach Japan gebracht haben, wo das Getränk bald die allgemeinste
Verbreitung fand. Die Legende berichtet von seiner Entstehung
Folgendes: Bodaï-Darma, der grosse Prophet, brachte sein Leben
in frommen Bussübungen zu und enthielt sich beständig von Speise
und Schlaf; einmal aber übermannte ihn die Müdigkeit, so dass er
einschlummerte. Beim Erwachen empfand er nun so bittere Reue,
dass er seine beiden Augenlider abschnitt und zürnend von sich
warf. Am folgenden Tage waren zwei Pflänzchen daraus hervor-
gesprossen, deren Blätter Darma verspeiste; er empfand davon
die seltsamste Erquickung, alle Müdigkeit war verschwunden und

II. 6
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[81/0101] VII. Mahl-Thee. Thee-Legende. dass alle sehr aromatischen Arten, namentlich der berühmte russische Karavanenthee künstlich parfümirt sind; im Lande wird dergleichen niemals getrunken. — Mit den groben Sorten macht man wenig Umstände: der Theekessel wird Morgens mit dem Aufguss an das Feuer gebracht und kocht dort ruhig den ganzen Tag: man setzt nach Bedürfniss Theeblätter und Wasser zu ohne den Topf je zu ent- leeren. Dies Getränk ist angenehm adstringirend und belebend, hat aber niemals die narkotische Bitterkeit unserer aromatischen Sorten nachdem sie lange gezogen. Der Verfasser zeichnete in Yeddo täglich einige Stunden nach der Natur; wo er sich grade niederliess brachte man jedesmal gleich aus dem nächsten Hause einen Thee- kessel mit Tassen für ihn und die begleitenden Yakunine. Diese Sitzungen dauerten oft drei bis vier Stunden, und das anregende Getränk war bei Hitze und Kälte eine wahre Wohlthat; man leerte mit Behagen eine Schale nach der anderen, und wenn der Kessel erkaltete stand schon ein anderer bereit. Der sogenannte Mahl-Thee, ein feines Pulver zerriebener Thee- blätter wird nach Siebold aus den gröbsten Sprossen der ersten Aernte, nach Kämpfer aus den feinsten Knospen dreijähriger Sträucher bereitet, und nur bei Gastmälern oder festlichen Gelegenheiten gereicht. Man schüttet ein Häufchen davon in die Tasse, giesst siedendes Wasser darüber und trinkt die durchgerührte Mischung als dünnen Brei, wie Chocolade. Siebold hat unter seinen japanischen Pflanzen vier Varietäten von Thea sinensis beschrieben; der bei Yeddo wachsende Busch soll der bei Canton cultivirten Thea bohea gleichen. Darf man der Japanischen Encyclopädie glauben, so wäre das südliche Korea die eigentliche Heimath des Strauches; von da sollen Gesandte des Reiches Sinra zu Anfang des neunten Jahrhunderts Theesamen nach Japan gebracht haben, wo das Getränk bald die allgemeinste Verbreitung fand. Die Legende berichtet von seiner Entstehung Folgendes: Bodaï-Darma, der grosse Prophet, brachte sein Leben in frommen Bussübungen zu und enthielt sich beständig von Speise und Schlaf; einmal aber übermannte ihn die Müdigkeit, so dass er einschlummerte. Beim Erwachen empfand er nun so bittere Reue, dass er seine beiden Augenlider abschnitt und zürnend von sich warf. Am folgenden Tage waren zwei Pflänzchen daraus hervor- gesprossen, deren Blätter Darma verspeiste; er empfand davon die seltsamste Erquickung, alle Müdigkeit war verschwunden und II. 6

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/101>, abgerufen am 04.05.2024.