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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Mythologie.
ganz isolirt dasteht 10). Der Schädelbildung nach stehen die Japaner
der mongolischen Race am nächsten.

Die alteinheimische Götterlehre der Japaner ist durchaus
eigenthümlich und hat, ausser dem Gedanken von der Entstehung
der Welt aus dem Chaos und wenigen anderen sich natürlich erge-
benden Zügen nichts mit den Mythologieen anderer Völker gemein.
Fast alle ihre Sagen knüpfen sich an japanische Oertlichkeiten und
an die besondere Natur des Landes. -- Aus einem wellenschlagenden
Chaos entwickeln sich Himmel und Erde, indem die leichten Theile
in die Höhe steigen, die schweren sich senken; in der Mitte bildet
sich ein göttliches Wesen, ein Kami. Er lebt hundert Millionen
Jahre, und zeugt aus sich selbst einen Nachfolger, der eben so
lange lebt, und welchem, gleichfalls geschlechtlos, ein dritter ent-
quillt. Dann folgen nach einander vier Götterpaare, Mann und
Weib, deren jedes zweihundert Millionen Jahre regiert. Diese sieben
sind die Geschlechter der himmlischen Götter. Von den vier Götter-
paaren zeugen die drei ersten ihre Nachfolger, indem sie einander
in geistiger Anschauung durchdringen, das letzte Paar, der Gott
Izanagi und die Göttin Izanami, gelangt nach leidenschaftlichen
Bewegungen der Trennung und Wiedervereinigung zur Begattung.
Sie erzeugen zunächt die japanischen Inseln, die Flüsse, die Berge,
den Vater der Bäume und die Mutter der Pflanzen -- endlich ein
glänzendes Wesen Ten-zio-dai-sin. Er wird wegen seiner Schön-
heit an den Himmel versetzt, ein Sonnengott, die höchste aller
in Japan verehrten Gottheiten, denn die älteren himmlischen Ge-
schlechter stehen den Menschen zu fern. Ten-zio-dai-sin wird

10) Das Japanische gilt den grössten Autoritäten auch heut noch für eine isolirte
Sprache. Wenn es sich bestätigt, dass die Sprachen der Aino's auf Yeso und den
Kurilen und das Koreanische dem Japanischen verwandt sind, so würde dies eine
Stammverwandtschaft oder sehr frühe Berührung dieser Bevölkerungen beweisen.
Was die Indianersprachen der Westküste von Amerika betrifft, von welchen Einige das
Japanische abgeleitet haben, so sollen diese Sprachen in ihrem Bau grundverschieden
davon sein, aber allerdings Spuren, sowohl des Chinesischen und Japanischen, als
anderer asiatischen Sprachen enthalten, welche beweisen, dass Völkerzüge aus Asien
durch das Eismeer und die Behringstrasse nach dem amerikanischen Continent und
bis Grönland und Chili gelangt sind, stark und zahlreich genug, um die Spuren ihrer
Existenz in der Sprache zu hinterlassen, aber zu schwach, um deren ursprünglichen
Charakter umzuwandeln. Wenn das Japanische einzelne Worte aus anderen Sprachen,
z. B. dem Malayischen enthält, so erklärt sich dies leicht aus dem regen Verkehr der
Bewohner ausser Landes in früheren Zeiten und bis zum siebzehnten Jahrhundert.

Mythologie.
ganz isolirt dasteht 10). Der Schädelbildung nach stehen die Japaner
der mongolischen Race am nächsten.

Die alteinheimische Götterlehre der Japaner ist durchaus
eigenthümlich und hat, ausser dem Gedanken von der Entstehung
der Welt aus dem Chaos und wenigen anderen sich natürlich erge-
benden Zügen nichts mit den Mythologieen anderer Völker gemein.
Fast alle ihre Sagen knüpfen sich an japanische Oertlichkeiten und
an die besondere Natur des Landes. — Aus einem wellenschlagenden
Chaos entwickeln sich Himmel und Erde, indem die leichten Theile
in die Höhe steigen, die schweren sich senken; in der Mitte bildet
sich ein göttliches Wesen, ein Kami. Er lebt hundert Millionen
Jahre, und zeugt aus sich selbst einen Nachfolger, der eben so
lange lebt, und welchem, gleichfalls geschlechtlos, ein dritter ent-
quillt. Dann folgen nach einander vier Götterpaare, Mann und
Weib, deren jedes zweihundert Millionen Jahre regiert. Diese sieben
sind die Geschlechter der himmlischen Götter. Von den vier Götter-
paaren zeugen die drei ersten ihre Nachfolger, indem sie einander
in geistiger Anschauung durchdringen, das letzte Paar, der Gott
Izanagi und die Göttin Izanami, gelangt nach leidenschaftlichen
Bewegungen der Trennung und Wiedervereinigung zur Begattung.
Sie erzeugen zunächt die japanischen Inseln, die Flüsse, die Berge,
den Vater der Bäume und die Mutter der Pflanzen — endlich ein
glänzendes Wesen Ten-zio-daï-sin. Er wird wegen seiner Schön-
heit an den Himmel versetzt, ein Sonnengott, die höchste aller
in Japan verehrten Gottheiten, denn die älteren himmlischen Ge-
schlechter stehen den Menschen zu fern. Ten-zio-daï-sin wird

10) Das Japanische gilt den grössten Autoritäten auch heut noch für eine isolirte
Sprache. Wenn es sich bestätigt, dass die Sprachen der Aïno’s auf Yeso und den
Kurilen und das Koreanische dem Japanischen verwandt sind, so würde dies eine
Stammverwandtschaft oder sehr frühe Berührung dieser Bevölkerungen beweisen.
Was die Indianersprachen der Westküste von Amerika betrifft, von welchen Einige das
Japanische abgeleitet haben, so sollen diese Sprachen in ihrem Bau grundverschieden
davon sein, aber allerdings Spuren, sowohl des Chinesischen und Japanischen, als
anderer asiatischen Sprachen enthalten, welche beweisen, dass Völkerzüge aus Asien
durch das Eismeer und die Behringstrasse nach dem amerikanischen Continent und
bis Grönland und Chili gelangt sind, stark und zahlreich genug, um die Spuren ihrer
Existenz in der Sprache zu hinterlassen, aber zu schwach, um deren ursprünglichen
Charakter umzuwandeln. Wenn das Japanische einzelne Worte aus anderen Sprachen,
z. B. dem Malayischen enthält, so erklärt sich dies leicht aus dem regen Verkehr der
Bewohner ausser Landes in früheren Zeiten und bis zum siebzehnten Jahrhundert.
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[13/0043] Mythologie. ganz isolirt dasteht 10). Der Schädelbildung nach stehen die Japaner der mongolischen Race am nächsten. Die alteinheimische Götterlehre der Japaner ist durchaus eigenthümlich und hat, ausser dem Gedanken von der Entstehung der Welt aus dem Chaos und wenigen anderen sich natürlich erge- benden Zügen nichts mit den Mythologieen anderer Völker gemein. Fast alle ihre Sagen knüpfen sich an japanische Oertlichkeiten und an die besondere Natur des Landes. — Aus einem wellenschlagenden Chaos entwickeln sich Himmel und Erde, indem die leichten Theile in die Höhe steigen, die schweren sich senken; in der Mitte bildet sich ein göttliches Wesen, ein Kami. Er lebt hundert Millionen Jahre, und zeugt aus sich selbst einen Nachfolger, der eben so lange lebt, und welchem, gleichfalls geschlechtlos, ein dritter ent- quillt. Dann folgen nach einander vier Götterpaare, Mann und Weib, deren jedes zweihundert Millionen Jahre regiert. Diese sieben sind die Geschlechter der himmlischen Götter. Von den vier Götter- paaren zeugen die drei ersten ihre Nachfolger, indem sie einander in geistiger Anschauung durchdringen, das letzte Paar, der Gott Izanagi und die Göttin Izanami, gelangt nach leidenschaftlichen Bewegungen der Trennung und Wiedervereinigung zur Begattung. Sie erzeugen zunächt die japanischen Inseln, die Flüsse, die Berge, den Vater der Bäume und die Mutter der Pflanzen — endlich ein glänzendes Wesen Ten-zio-daï-sin. Er wird wegen seiner Schön- heit an den Himmel versetzt, ein Sonnengott, die höchste aller in Japan verehrten Gottheiten, denn die älteren himmlischen Ge- schlechter stehen den Menschen zu fern. Ten-zio-daï-sin wird 10) Das Japanische gilt den grössten Autoritäten auch heut noch für eine isolirte Sprache. Wenn es sich bestätigt, dass die Sprachen der Aïno’s auf Yeso und den Kurilen und das Koreanische dem Japanischen verwandt sind, so würde dies eine Stammverwandtschaft oder sehr frühe Berührung dieser Bevölkerungen beweisen. Was die Indianersprachen der Westküste von Amerika betrifft, von welchen Einige das Japanische abgeleitet haben, so sollen diese Sprachen in ihrem Bau grundverschieden davon sein, aber allerdings Spuren, sowohl des Chinesischen und Japanischen, als anderer asiatischen Sprachen enthalten, welche beweisen, dass Völkerzüge aus Asien durch das Eismeer und die Behringstrasse nach dem amerikanischen Continent und bis Grönland und Chili gelangt sind, stark und zahlreich genug, um die Spuren ihrer Existenz in der Sprache zu hinterlassen, aber zu schwach, um deren ursprünglichen Charakter umzuwandeln. Wenn das Japanische einzelne Worte aus anderen Sprachen, z. B. dem Malayischen enthält, so erklärt sich dies leicht aus dem regen Verkehr der Bewohner ausser Landes in früheren Zeiten und bis zum siebzehnten Jahrhundert.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/43>, abgerufen am 24.04.2024.