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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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V. Verkehr in den Kaufläden.

Ausser den beschriebenen giebt es im Tokaido und seinen
Nebenstrassen noch hunderterlei andere Kaufläden, die vielfach
besucht wurden und immer neuen Stoff der Unterhaltung und Be-
lehrung boten, so namentlich die Saamenhandlungen für die Botaniker
und der jenseit Nippon-basi gelegene Fischmarkt für den Zoologen.
Selbst unser Geologe, dem bei der Unmöglichkeit, Ausflüge in das
Innere des Landes zu machen, hier wenig Anlass zur Thätigkeit
gegeben war, fand in den Kaufläden manches Specimen der ein-
heimischen Gebirgsarten und Minerale. Das ganze Stadtviertel wurde
nach allen Richtungen durchwandert, und man lernte dabei viel
vom Charakter und den Sitten des Volkes kennen. Dolmetscher
hatten wir auf diesen Spaziergängen niemals bei uns, und die Unter-
haltung mit den Eingeborenen blieb immer mangelhaft; aber alle
Japaner haben eine seltene Leichtigkeit der Auffassung, sie verstehen
den geringsten Wink und wissen sich durch Gebehrden auszudrücken,
bemühten sich auch uns die japanischen Namen der Dinge beizubringen
und fragten dagegen nach den deutschen, oder vielmehr preussischen,
"pleussischen" Worten, denn eines deutlichen R ist ihr Organ nicht
fähig. Sie schrieben dann das Erlernte emsig auf, und selbst unter
den Kaufleuten fanden sich schon einige, die das lateinische
Alphabet dazu benutzten, welches den meisten höheren Beamten
ziemlich geläufig ist. Die japanischen Silbenalphabete eignen sich
zum Schreiben fremder Worte durchaus nicht 7). -- Ueberall wurde
man freundlich empfangen und mit Thee und Pfeifen bewirthet;
man sass oft Stunden lang in den Läden, namentlich in den Buch-
handlungen; die Leute kramten bereitwillig Alles aus, blieben immer
gleich freundlich und höflich, und freuten sich wenn man sie öfter
besuchte. Auch die Frauen und Mädchen, die sich erst schüchtern
versteckten, kamen allmälich zum Vorschein; sie beguckten und
befühlten neugierig unsere Kleider und Wäsche, und betrugen sich
allgemein mit züchtigem, offenen Anstande, wie Frauen die eine
geachtete Stellung im Hause einnehmen. Ein blanker Metallknopf,
eine bunte Glasperle und dergleichen ausländischer Tand machten
die Wonne der Kinder und jungen Mädchen, und selbst Erwachsene
befestigten solchen Flitter mit Stolz an ihre Brief- und Tabakstaschen.
Europäische Erzeugnisse waren zur Zeit unseres Aufenthaltes noch
fast gar nicht nach Yeddo gekommen, nur Wiener Streichhölzer
in den bekannten bunten Büchsen mit dem Doppeladler gab es in

7) S. S. 6 Anm. 4. und S. 27 Anm. 27.
V. Verkehr in den Kaufläden.

Ausser den beschriebenen giebt es im Tokaïdo und seinen
Nebenstrassen noch hunderterlei andere Kaufläden, die vielfach
besucht wurden und immer neuen Stoff der Unterhaltung und Be-
lehrung boten, so namentlich die Saamenhandlungen für die Botaniker
und der jenseit Nippon-basi gelegene Fischmarkt für den Zoologen.
Selbst unser Geologe, dem bei der Unmöglichkeit, Ausflüge in das
Innere des Landes zu machen, hier wenig Anlass zur Thätigkeit
gegeben war, fand in den Kaufläden manches Specimen der ein-
heimischen Gebirgsarten und Minerale. Das ganze Stadtviertel wurde
nach allen Richtungen durchwandert, und man lernte dabei viel
vom Charakter und den Sitten des Volkes kennen. Dolmetscher
hatten wir auf diesen Spaziergängen niemals bei uns, und die Unter-
haltung mit den Eingeborenen blieb immer mangelhaft; aber alle
Japaner haben eine seltene Leichtigkeit der Auffassung, sie verstehen
den geringsten Wink und wissen sich durch Gebehrden auszudrücken,
bemühten sich auch uns die japanischen Namen der Dinge beizubringen
und fragten dagegen nach den deutschen, oder vielmehr preussischen,
»pleussischen« Worten, denn eines deutlichen R ist ihr Organ nicht
fähig. Sie schrieben dann das Erlernte emsig auf, und selbst unter
den Kaufleuten fanden sich schon einige, die das lateinische
Alphabet dazu benutzten, welches den meisten höheren Beamten
ziemlich geläufig ist. Die japanischen Silbenalphabete eignen sich
zum Schreiben fremder Worte durchaus nicht 7). — Ueberall wurde
man freundlich empfangen und mit Thee und Pfeifen bewirthet;
man sass oft Stunden lang in den Läden, namentlich in den Buch-
handlungen; die Leute kramten bereitwillig Alles aus, blieben immer
gleich freundlich und höflich, und freuten sich wenn man sie öfter
besuchte. Auch die Frauen und Mädchen, die sich erst schüchtern
versteckten, kamen allmälich zum Vorschein; sie beguckten und
befühlten neugierig unsere Kleider und Wäsche, und betrugen sich
allgemein mit züchtigem, offenen Anstande, wie Frauen die eine
geachtete Stellung im Hause einnehmen. Ein blanker Metallknopf,
eine bunte Glasperle und dergleichen ausländischer Tand machten
die Wonne der Kinder und jungen Mädchen, und selbst Erwachsene
befestigten solchen Flitter mit Stolz an ihre Brief- und Tabakstaschen.
Europäische Erzeugnisse waren zur Zeit unseres Aufenthaltes noch
fast gar nicht nach Yeddo gekommen, nur Wiener Streichhölzer
in den bekannten bunten Büchsen mit dem Doppeladler gab es in

7) S. S. 6 Anm. 4. und S. 27 Anm. 27.
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[319/0349] V. Verkehr in den Kaufläden. Ausser den beschriebenen giebt es im Tokaïdo und seinen Nebenstrassen noch hunderterlei andere Kaufläden, die vielfach besucht wurden und immer neuen Stoff der Unterhaltung und Be- lehrung boten, so namentlich die Saamenhandlungen für die Botaniker und der jenseit Nippon-basi gelegene Fischmarkt für den Zoologen. Selbst unser Geologe, dem bei der Unmöglichkeit, Ausflüge in das Innere des Landes zu machen, hier wenig Anlass zur Thätigkeit gegeben war, fand in den Kaufläden manches Specimen der ein- heimischen Gebirgsarten und Minerale. Das ganze Stadtviertel wurde nach allen Richtungen durchwandert, und man lernte dabei viel vom Charakter und den Sitten des Volkes kennen. Dolmetscher hatten wir auf diesen Spaziergängen niemals bei uns, und die Unter- haltung mit den Eingeborenen blieb immer mangelhaft; aber alle Japaner haben eine seltene Leichtigkeit der Auffassung, sie verstehen den geringsten Wink und wissen sich durch Gebehrden auszudrücken, bemühten sich auch uns die japanischen Namen der Dinge beizubringen und fragten dagegen nach den deutschen, oder vielmehr preussischen, »pleussischen« Worten, denn eines deutlichen R ist ihr Organ nicht fähig. Sie schrieben dann das Erlernte emsig auf, und selbst unter den Kaufleuten fanden sich schon einige, die das lateinische Alphabet dazu benutzten, welches den meisten höheren Beamten ziemlich geläufig ist. Die japanischen Silbenalphabete eignen sich zum Schreiben fremder Worte durchaus nicht 7). — Ueberall wurde man freundlich empfangen und mit Thee und Pfeifen bewirthet; man sass oft Stunden lang in den Läden, namentlich in den Buch- handlungen; die Leute kramten bereitwillig Alles aus, blieben immer gleich freundlich und höflich, und freuten sich wenn man sie öfter besuchte. Auch die Frauen und Mädchen, die sich erst schüchtern versteckten, kamen allmälich zum Vorschein; sie beguckten und befühlten neugierig unsere Kleider und Wäsche, und betrugen sich allgemein mit züchtigem, offenen Anstande, wie Frauen die eine geachtete Stellung im Hause einnehmen. Ein blanker Metallknopf, eine bunte Glasperle und dergleichen ausländischer Tand machten die Wonne der Kinder und jungen Mädchen, und selbst Erwachsene befestigten solchen Flitter mit Stolz an ihre Brief- und Tabakstaschen. Europäische Erzeugnisse waren zur Zeit unseres Aufenthaltes noch fast gar nicht nach Yeddo gekommen, nur Wiener Streichhölzer in den bekannten bunten Büchsen mit dem Doppeladler gab es in 7) S. S. 6 Anm. 4. und S. 27 Anm. 27.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/349>, abgerufen am 22.11.2024.