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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Es ist unmöglich das Wesen einer Nation zu erfassen, ohne ihre
Religion, Geschichte und Sprache, und die leitenden Ideen ihrer
Existenz zu kennen; daher erscheinen Völker, deren Cultur auf ver-
schiedenen Grundlagen beruht, einander bei der ersten Berührung
meist sonderbar und unbegreiflich. Die Gegensätze der äusseren
Lebensgewohnheiten treten scharf hervor; was dem einen ganz natür-
lich, weil seit Jahrhunderten eingelebt und anerzogen ist, erscheint
dem andern widerstrebend und abgeschmackt. So geht es uns mit
den meisten ostasiatischen Völkern und vor allen mit den Japanern.

Ihre ganze Gesittung ist von der unseren so grundverschie-
den, dass der Europäer sich dort auf ein anderes Gestirn versetzt
glaubt. Japan hinterlässt dem flüchtig Reisenden den Eindruck eines
bunten Bilderbuches voll wunderlicher Scenen ohne Text: daher denn
alle die abentheuerlichen Berichte, die nur deshalb so mährchen-
haft und unbegreiflich klingen, weil uns der Zusammenhang der
Erscheinungen und der Schlüssel zu ihrem Verständniss fehlt. Aber
selbst begabte Männer, die jahrelang in Japan gelebt und in genauen
Beziehungen zu den Eingeborenen gestanden haben, bekennen in
der Beurtheilung der Zustände wenig vorgeschritten zu sein. Bei
tieferem Eindringen knüpfen sich Räthsel auf Räthsel, und wenige
lösen sich; überall stösst man auf unerklärliche Widersprüche. Der
Grund dieser Unklarheit liegt in unserer unvollkommenen Kenntniss
der japanischen Sprache und Schriften und der sittlichen und reli-
giösen Fundamente ihrer Cultur, die Schwierigkeit sie zu bemeistern
in der Verschlossenheit der Japaner.

Das japanische Volk hatte sich von Anfang an, wenn auch mit
Zuziehung fremder Elemente, selbstständig entwickelt und zu einer
bedeutenden Stufe der Gesittung aufgeschwungen: da erschienen
im sechszehnten Jahrhundert die Europäer und brachten Ideen und

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Es ist unmöglich das Wesen einer Nation zu erfassen, ohne ihre
Religion, Geschichte und Sprache, und die leitenden Ideen ihrer
Existenz zu kennen; daher erscheinen Völker, deren Cultur auf ver-
schiedenen Grundlagen beruht, einander bei der ersten Berührung
meist sonderbar und unbegreiflich. Die Gegensätze der äusseren
Lebensgewohnheiten treten scharf hervor; was dem einen ganz natür-
lich, weil seit Jahrhunderten eingelebt und anerzogen ist, erscheint
dem andern widerstrebend und abgeschmackt. So geht es uns mit
den meisten ostasiatischen Völkern und vor allen mit den Japanern.

Ihre ganze Gesittung ist von der unseren so grundverschie-
den, dass der Europäer sich dort auf ein anderes Gestirn versetzt
glaubt. Japan hinterlässt dem flüchtig Reisenden den Eindruck eines
bunten Bilderbuches voll wunderlicher Scenen ohne Text: daher denn
alle die abentheuerlichen Berichte, die nur deshalb so mährchen-
haft und unbegreiflich klingen, weil uns der Zusammenhang der
Erscheinungen und der Schlüssel zu ihrem Verständniss fehlt. Aber
selbst begabte Männer, die jahrelang in Japan gelebt und in genauen
Beziehungen zu den Eingeborenen gestanden haben, bekennen in
der Beurtheilung der Zustände wenig vorgeschritten zu sein. Bei
tieferem Eindringen knüpfen sich Räthsel auf Räthsel, und wenige
lösen sich; überall stösst man auf unerklärliche Widersprüche. Der
Grund dieser Unklarheit liegt in unserer unvollkommenen Kenntniss
der japanischen Sprache und Schriften und der sittlichen und reli-
giösen Fundamente ihrer Cultur, die Schwierigkeit sie zu bemeistern
in der Verschlossenheit der Japaner.

Das japanische Volk hatte sich von Anfang an, wenn auch mit
Zuziehung fremder Elemente, selbstständig entwickelt und zu einer
bedeutenden Stufe der Gesittung aufgeschwungen: da erschienen
im sechszehnten Jahrhundert die Europäer und brachten Ideen und

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[[3]/0033] Es ist unmöglich das Wesen einer Nation zu erfassen, ohne ihre Religion, Geschichte und Sprache, und die leitenden Ideen ihrer Existenz zu kennen; daher erscheinen Völker, deren Cultur auf ver- schiedenen Grundlagen beruht, einander bei der ersten Berührung meist sonderbar und unbegreiflich. Die Gegensätze der äusseren Lebensgewohnheiten treten scharf hervor; was dem einen ganz natür- lich, weil seit Jahrhunderten eingelebt und anerzogen ist, erscheint dem andern widerstrebend und abgeschmackt. So geht es uns mit den meisten ostasiatischen Völkern und vor allen mit den Japanern. Ihre ganze Gesittung ist von der unseren so grundverschie- den, dass der Europäer sich dort auf ein anderes Gestirn versetzt glaubt. Japan hinterlässt dem flüchtig Reisenden den Eindruck eines bunten Bilderbuches voll wunderlicher Scenen ohne Text: daher denn alle die abentheuerlichen Berichte, die nur deshalb so mährchen- haft und unbegreiflich klingen, weil uns der Zusammenhang der Erscheinungen und der Schlüssel zu ihrem Verständniss fehlt. Aber selbst begabte Männer, die jahrelang in Japan gelebt und in genauen Beziehungen zu den Eingeborenen gestanden haben, bekennen in der Beurtheilung der Zustände wenig vorgeschritten zu sein. Bei tieferem Eindringen knüpfen sich Räthsel auf Räthsel, und wenige lösen sich; überall stösst man auf unerklärliche Widersprüche. Der Grund dieser Unklarheit liegt in unserer unvollkommenen Kenntniss der japanischen Sprache und Schriften und der sittlichen und reli- giösen Fundamente ihrer Cultur, die Schwierigkeit sie zu bemeistern in der Verschlossenheit der Japaner. Das japanische Volk hatte sich von Anfang an, wenn auch mit Zuziehung fremder Elemente, selbstständig entwickelt und zu einer bedeutenden Stufe der Gesittung aufgeschwungen: da erschienen im sechszehnten Jahrhundert die Europäer und brachten Ideen und 1*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/33>, abgerufen am 24.11.2024.