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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Gastfreundschaft der Japaner.
Raume von 600 Fuss Länge und 200 Fuss Breite eingeschlossen,
ohne Nachrichten aus der Heimath, mit dem Bewusstsein, dass
ganz Europa in politischer Gährung begriffen, dass alle Verhältnisse
im Vaterlande um und um gekehrt wurden165). Ihre Vorräthe an
europäischen Bedürfnissen waren schon von Anfang an, durch den
Untergang des grösseren der beiden 1809 nach Nangasaki bestimmten
Schiffe, sehr gering gewesen und gingen in Kurzem ganz zu Ende;
sie litten Mangel am Nöthigsten. Hier trat nun wieder der menschen-
freundliche Charakter der Japaner auf das glänzendste zu Tage:
nicht nur hatte die Regierung von Yeddo Befehl gegeben, die
Niederländer, welche bei der Abfahrt des letzten Schiffes mit einer
bedeutenden Summe gegen die Geldkammer im Rückstande blieben,
mit Allem zu versehen, was sie irgend brauchen und wünschen
könnten, sondern auch die einzelnen Beamten gaben sich die erdenk-
lichste Mühe, ihre Lage zu erleichtern166), und zeigten bei dem
furchtbaren Brande, welcher 1812 Nangasaki verwüstete, die liebe-
vollste Fürsorge für ihre Sicherheit. Desima, das 1798 ganz nieder-
gebrannt war, blieb diesmal verschont. Die Humanität und die

165) Schon 1811 wurde die Lage der Verlassenen unerträglich; von Ende Juni
an hofften sie täglich auf das Eintreffen der Schiffe. "Von Anbruch des Tages bis
Sonnenuntergang", sagt Doeff, "war unser Auge auf die Signalstangen gerichtet, an
welchen sofort die Annäherung eines fremden Fahrzeuges verkündigt wird. Solch
ein Signal erfreute uns zuweilen auf eine halbe Stunde, aber dann wurden wir durch
die Nachricht, dass es eine chinesische Dschunke sei, grausam enttäuscht. Niemand,
der es nicht erlebt hat, kann sich von unserem Gemüthszustande eine Vorstellung
machen. Abgeschieden von aller Gemeinschaft, festgekettet an einen Ort, welchen
so zu sagen niemals ein Schiff passirt, geschweige denn besucht -- ohne zu wissen,
ohne zu hören, was in der ganzen übrigen Welt ausser auf unserem Inselchen vor-
ging, und ungewiss, ob wir im nächsten Jahre, ja, ob wir über zehn, zwanzig Jahre,
ob jemals wieder ein holländisches Schiff zu sehen bekommen würden, ob wir viel-
leicht unseren traurigen Lebenslauf hier fern vom Vaterlande beschliessen müssten;
unter einem misstrauischen Volke lebend, das uns zwar auf die bestmögliche Weise
behandelte, und es uns an nichts, das es bieten konnte, fehlen liess, aber das uns
doch nimmer wie seine Landsleute ansah oder ansehen konnte -- das war eine trübe
Aussicht in die Zukunft. In dieser traurigen Unsicherheit wäre es ein Trost gewesen,
zu wissen, dass es noch fünf Jahre bis zu unserer Erlösung dauern würde." -- Die
Holländer litten äusserlich besonders an Winterkleidern und Schuhen Mangel und
mussten sich der japanischen Fussbekleidung, der Strohsandalen bedienen.
166) So destillirte ihnen der O-metske, der Ober-Aufpasser, Genever aus japa-
nischen Wachholderbeeren, und vortrefflichen Kornbranntwein; ein Anderer versuchte
Rothwein für sie zu keltern.

Gastfreundschaft der Japaner.
Raume von 600 Fuss Länge und 200 Fuss Breite eingeschlossen,
ohne Nachrichten aus der Heimath, mit dem Bewusstsein, dass
ganz Europa in politischer Gährung begriffen, dass alle Verhältnisse
im Vaterlande um und um gekehrt wurden165). Ihre Vorräthe an
europäischen Bedürfnissen waren schon von Anfang an, durch den
Untergang des grösseren der beiden 1809 nach Naṅgasaki bestimmten
Schiffe, sehr gering gewesen und gingen in Kurzem ganz zu Ende;
sie litten Mangel am Nöthigsten. Hier trat nun wieder der menschen-
freundliche Charakter der Japaner auf das glänzendste zu Tage:
nicht nur hatte die Regierung von Yeddo Befehl gegeben, die
Niederländer, welche bei der Abfahrt des letzten Schiffes mit einer
bedeutenden Summe gegen die Geldkammer im Rückstande blieben,
mit Allem zu versehen, was sie irgend brauchen und wünschen
könnten, sondern auch die einzelnen Beamten gaben sich die erdenk-
lichste Mühe, ihre Lage zu erleichtern166), und zeigten bei dem
furchtbaren Brande, welcher 1812 Naṅgasaki verwüstete, die liebe-
vollste Fürsorge für ihre Sicherheit. Desima, das 1798 ganz nieder-
gebrannt war, blieb diesmal verschont. Die Humanität und die

165) Schon 1811 wurde die Lage der Verlassenen unerträglich; von Ende Juni
an hofften sie täglich auf das Eintreffen der Schiffe. »Von Anbruch des Tages bis
Sonnenuntergang«, sagt Doeff, »war unser Auge auf die Signalstangen gerichtet, an
welchen sofort die Annäherung eines fremden Fahrzeuges verkündigt wird. Solch
ein Signal erfreute uns zuweilen auf eine halbe Stunde, aber dann wurden wir durch
die Nachricht, dass es eine chinesische Dschunke sei, grausam enttäuscht. Niemand,
der es nicht erlebt hat, kann sich von unserem Gemüthszustande eine Vorstellung
machen. Abgeschieden von aller Gemeinschaft, festgekettet an einen Ort, welchen
so zu sagen niemals ein Schiff passirt, geschweige denn besucht — ohne zu wissen,
ohne zu hören, was in der ganzen übrigen Welt ausser auf unserem Inselchen vor-
ging, und ungewiss, ob wir im nächsten Jahre, ja, ob wir über zehn, zwanzig Jahre,
ob jemals wieder ein holländisches Schiff zu sehen bekommen würden, ob wir viel-
leicht unseren traurigen Lebenslauf hier fern vom Vaterlande beschliessen müssten;
unter einem misstrauischen Volke lebend, das uns zwar auf die bestmögliche Weise
behandelte, und es uns an nichts, das es bieten konnte, fehlen liess, aber das uns
doch nimmer wie seine Landsleute ansah oder ansehen konnte — das war eine trübe
Aussicht in die Zukunft. In dieser traurigen Unsicherheit wäre es ein Trost gewesen,
zu wissen, dass es noch fünf Jahre bis zu unserer Erlösung dauern würde.« — Die
Holländer litten äusserlich besonders an Winterkleidern und Schuhen Mangel und
mussten sich der japanischen Fussbekleidung, der Strohsandalen bedienen.
166) So destillirte ihnen der O-metske, der Ober-Aufpasser, Genever aus japa-
nischen Wachholderbeeren, und vortrefflichen Kornbranntwein; ein Anderer versuchte
Rothwein für sie zu keltern.
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[164/0194] Gastfreundschaft der Japaner. Raume von 600 Fuss Länge und 200 Fuss Breite eingeschlossen, ohne Nachrichten aus der Heimath, mit dem Bewusstsein, dass ganz Europa in politischer Gährung begriffen, dass alle Verhältnisse im Vaterlande um und um gekehrt wurden 165). Ihre Vorräthe an europäischen Bedürfnissen waren schon von Anfang an, durch den Untergang des grösseren der beiden 1809 nach Naṅgasaki bestimmten Schiffe, sehr gering gewesen und gingen in Kurzem ganz zu Ende; sie litten Mangel am Nöthigsten. Hier trat nun wieder der menschen- freundliche Charakter der Japaner auf das glänzendste zu Tage: nicht nur hatte die Regierung von Yeddo Befehl gegeben, die Niederländer, welche bei der Abfahrt des letzten Schiffes mit einer bedeutenden Summe gegen die Geldkammer im Rückstande blieben, mit Allem zu versehen, was sie irgend brauchen und wünschen könnten, sondern auch die einzelnen Beamten gaben sich die erdenk- lichste Mühe, ihre Lage zu erleichtern 166), und zeigten bei dem furchtbaren Brande, welcher 1812 Naṅgasaki verwüstete, die liebe- vollste Fürsorge für ihre Sicherheit. Desima, das 1798 ganz nieder- gebrannt war, blieb diesmal verschont. Die Humanität und die 165) Schon 1811 wurde die Lage der Verlassenen unerträglich; von Ende Juni an hofften sie täglich auf das Eintreffen der Schiffe. »Von Anbruch des Tages bis Sonnenuntergang«, sagt Doeff, »war unser Auge auf die Signalstangen gerichtet, an welchen sofort die Annäherung eines fremden Fahrzeuges verkündigt wird. Solch ein Signal erfreute uns zuweilen auf eine halbe Stunde, aber dann wurden wir durch die Nachricht, dass es eine chinesische Dschunke sei, grausam enttäuscht. Niemand, der es nicht erlebt hat, kann sich von unserem Gemüthszustande eine Vorstellung machen. Abgeschieden von aller Gemeinschaft, festgekettet an einen Ort, welchen so zu sagen niemals ein Schiff passirt, geschweige denn besucht — ohne zu wissen, ohne zu hören, was in der ganzen übrigen Welt ausser auf unserem Inselchen vor- ging, und ungewiss, ob wir im nächsten Jahre, ja, ob wir über zehn, zwanzig Jahre, ob jemals wieder ein holländisches Schiff zu sehen bekommen würden, ob wir viel- leicht unseren traurigen Lebenslauf hier fern vom Vaterlande beschliessen müssten; unter einem misstrauischen Volke lebend, das uns zwar auf die bestmögliche Weise behandelte, und es uns an nichts, das es bieten konnte, fehlen liess, aber das uns doch nimmer wie seine Landsleute ansah oder ansehen konnte — das war eine trübe Aussicht in die Zukunft. In dieser traurigen Unsicherheit wäre es ein Trost gewesen, zu wissen, dass es noch fünf Jahre bis zu unserer Erlösung dauern würde.« — Die Holländer litten äusserlich besonders an Winterkleidern und Schuhen Mangel und mussten sich der japanischen Fussbekleidung, der Strohsandalen bedienen. 166) So destillirte ihnen der O-metske, der Ober-Aufpasser, Genever aus japa- nischen Wachholderbeeren, und vortrefflichen Kornbranntwein; ein Anderer versuchte Rothwein für sie zu keltern.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/194>, abgerufen am 03.05.2024.