[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.Wirkungen der Siogun-Herrschaft auf das Volk. Verbesserung: die zügellose Willkühr der Lehnsfürsten machte einemstrengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente Platz, die Allmacht des Siogun selbst wurde durch die Verhältnisse beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte Mikado-Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den Siogun's immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein -- nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen Daimio's immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner zugeben, dass der Siogun, obgleich absoluter Herr, der erste Mann des Reiches ist. Die Siogun's bedurften also, um die Grossen zu zügeln, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Be- dürfnissen des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch, aber die verschiedenen Factoren hielten einander dermaassen das Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste und das Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber auch ein inneres Bedürfniss des Guten hervorgerufen, und man kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind. Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstent- leibungen unter den höheren Classen. Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschrei- Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die I. 9
Wirkungen der Siogun-Herrschaft auf das Volk. Verbesserung: die zügellose Willkühr der Lehnsfürsten machte einemstrengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente Platz, die Allmacht des Siogun selbst wurde durch die Verhältnisse beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte Mikado-Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den Siogun’s immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein — nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen Daïmio’s immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner zugeben, dass der Siogun, obgleich absoluter Herr, der erste Mann des Reiches ist. Die Siogun’s bedurften also, um die Grossen zu zügeln, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Be- dürfnissen des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch, aber die verschiedenen Factoren hielten einander dermaassen das Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste und das Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber auch ein inneres Bedürfniss des Guten hervorgerufen, und man kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind. Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstent- leibungen unter den höheren Classen. Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschrei- Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die I. 9
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Wirkungen der Siogun-Herrschaft auf das Volk.
Verbesserung: die zügellose Willkühr der Lehnsfürsten machte einem
strengen, despotischen, aber geordneten und einigen Regimente
Platz, die Allmacht des Siogun selbst wurde durch die Verhältnisse
beschränkt, denn sie war nicht vollkommen legal und der uralte
Mikado-Thron auf keine Weise zu beseitigen. Dieser muss den
Siogun’s immer wie ein drohendes Schreckbild erschienen sein —
nicht durch sich selbst, sondern weil er aufrührerischen Daïmio’s
immer einmal als Mittelpunct dienen konnte und weil sein Ansehn
beim Volke noch immer galt. Denn auch heute wird kein Japaner
zugeben, dass der Siogun, obgleich absoluter Herr, der erste Mann
des Reiches ist. Die Siogun’s bedurften also, um die Grossen zu
zügeln, der Gunst und Zustimmung des Volkes, der öffentlichen
Meinung, welche sie nur durch ein weises und gerechtes, den Be-
dürfnissen des Landes angemessenes Regiment für sich gewinnen
konnten. Das Regierungssystem ist durch und durch despotisch,
aber die verschiedenen Factoren hielten einander dermaassen das
Gleichgewicht, dass Gerechtigkeit geübt werden musste und das
Volk sich wohl befand. Diese äussere Nothwendigkeit hat aber
auch ein inneres Bedürfniss des Guten hervorgerufen, und man
kann wohl behaupten, dass unter den gebildeten Classen gute und
ehrenhafte Gesinnungen allgemein, wenigstens vorwiegend sind.
Die Ehre ist das leitende Princip der höheren Stände; sie gilt als
ein Attribut der edelen Geburt, legt die höchsten Verpflichtungen
auf, und ist die Quelle aller hohen Tugenden. Der Begriff der Ehre
ist in Japan bis zum Extrem ausgebildet und dadurch auch der
Ursprung vieles Bösen geworden, denn jeder Flecken daran muss
mit Blut getilgt werden, daher die vielen Morde und Selbstent-
leibungen unter den höheren Classen.
Die japanischen Zustände und Sitten eingehender zu beschrei-
ben, wird sich im Laufe des Reiseberichtes vielfach Veranlassung
bieten, doch mögen hier noch einige allgemeine Andeutungen über
den Charakter des Volkes stehen, wie er sich unter dem Absper-
rungssysteme ausgebildet hat.
Der Leitstern und gleichsam die Religion des Volkes ist die
ungemessene Ehrfurcht vor seinen Gebietern; dies ist die Quelle
seiner guten Gefühle und die Grundlage seines Wohlbefindens.
Das Verhältniss ist ein patriarchalisches; wie ein Kind zu seinen
Eltern, so blickt das japanische Volk zu seinen Herrschern auf, die
es für sein Wohl und Wehe verantwortlich hält. Es ist von jeher
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