rechtlose Stellung gefallen liessen, in welche die Japaner sie schliess- lich verwiesen.
Seit lange ist es Gewohnheit geworden, die Niederländer wegen ihrer Stellung in Japan zu schmähen, zu beschimpfen. Dass das Auftreten der holländischen Kaufleute ein würdiges, ihre Stellung ehrenvoll gewesen sei, wird Niemand behaupten; sie haben sich, um Geld zu gewinnen, die grössten Demüthigungen gefallen lassen und sind dadurch immer tiefer in der Achtung der Japaner gesunken. Aber die Nation für das verantwortlich zu machen, was eine Gesell- schaft von Kaufleuten gethan hat, ist gewiss unbillig; man kann ohne Anstand behaupten, dass die Kaufleute anderer Länder unter gleichen Umständen ähnlich gehandelt hätten, dass andere Völker Schlimmeres gethan und geduldet haben. Wer die überseeischen Niederlassungen der Europäer und ihre Geschichte kennt, der weiss, dass in den vergangenen Jahrhunderten -- denn in dem gegen- wärtigen hat sich Vieles geändert -- die überwiegende Mehrheit der Ansiedler in dem Auswurf der europäischen Gesellschaft bestand, in Glücksrittern, die in kürzester Zeit und auf jede Weise Schätze zu erwerben trachteten, und dass ihr Auftreten gegen aussereuropäische Völker mit den heutigen Begriffen von Recht, Ehre und Sittlichkeit nicht bestehen kann. Wie sollte man diesen Maassstab an das Betragen der Holländer in Japan legen! Um die Verhältnisse richtig zu würdigen, ist zunächst in Betrachtung zu ziehen, dass die Nie- derländer in Japan Emissäre einer Handelsgesellschaft waren, deren materieller Nutzen ihr nächstes Augenmerk sein musste. Die höchsten Beamten der Compagnie hatten von Anfang an den Grundsatz auf- gestellt, "dass man sich mit grosser Bescheidenheit und Unterthänig- keit der Japaner Freundschaft auf jede Weise zu erhalten habe" 102). Diese Worte blieben die Richtschnur der Handelsvorsteher für alle Zeiten. Ihre Stellung war schwierig, ihre Verantwortlichkeit gross; Rath und Verhaltungsbefehle konnten sie, der Entfernung wegen, niemals, auch in den allerwichtigsten Fällen nicht einholen, und selbst zur Ueberlegung liessen ihnen die immer peremtorischer auf- tretenden Japaner selten Zeit. Sie mussten in Eile entscheiden, was lange Ueberlegung forderte, und machten deshalb viele Fehler. Dass ihre Nachgiebigkeit, selbst in Betrachtung der zu erreichenden Zwecke, zu weit ging und viel verdarb, gestehen auch die hol- ländischen Schriftsteller; mit gleicher Sicherheit aber lässt sich
rechtlose Stellung gefallen liessen, in welche die Japaner sie schliess- lich verwiesen.
Seit lange ist es Gewohnheit geworden, die Niederländer wegen ihrer Stellung in Japan zu schmähen, zu beschimpfen. Dass das Auftreten der holländischen Kaufleute ein würdiges, ihre Stellung ehrenvoll gewesen sei, wird Niemand behaupten; sie haben sich, um Geld zu gewinnen, die grössten Demüthigungen gefallen lassen und sind dadurch immer tiefer in der Achtung der Japaner gesunken. Aber die Nation für das verantwortlich zu machen, was eine Gesell- schaft von Kaufleuten gethan hat, ist gewiss unbillig; man kann ohne Anstand behaupten, dass die Kaufleute anderer Länder unter gleichen Umständen ähnlich gehandelt hätten, dass andere Völker Schlimmeres gethan und geduldet haben. Wer die überseeischen Niederlassungen der Europäer und ihre Geschichte kennt, der weiss, dass in den vergangenen Jahrhunderten — denn in dem gegen- wärtigen hat sich Vieles geändert — die überwiegende Mehrheit der Ansiedler in dem Auswurf der europäischen Gesellschaft bestand, in Glücksrittern, die in kürzester Zeit und auf jede Weise Schätze zu erwerben trachteten, und dass ihr Auftreten gegen aussereuropäische Völker mit den heutigen Begriffen von Recht, Ehre und Sittlichkeit nicht bestehen kann. Wie sollte man diesen Maassstab an das Betragen der Holländer in Japan legen! Um die Verhältnisse richtig zu würdigen, ist zunächst in Betrachtung zu ziehen, dass die Nie- derländer in Japan Emissäre einer Handelsgesellschaft waren, deren materieller Nutzen ihr nächstes Augenmerk sein musste. Die höchsten Beamten der Compagnie hatten von Anfang an den Grundsatz auf- gestellt, »dass man sich mit grosser Bescheidenheit und Unterthänig- keit der Japaner Freundschaft auf jede Weise zu erhalten habe« 102). Diese Worte blieben die Richtschnur der Handelsvorsteher für alle Zeiten. Ihre Stellung war schwierig, ihre Verantwortlichkeit gross; Rath und Verhaltungsbefehle konnten sie, der Entfernung wegen, niemals, auch in den allerwichtigsten Fällen nicht einholen, und selbst zur Ueberlegung liessen ihnen die immer peremtorischer auf- tretenden Japaner selten Zeit. Sie mussten in Eile entscheiden, was lange Ueberlegung forderte, und machten deshalb viele Fehler. Dass ihre Nachgiebigkeit, selbst in Betrachtung der zu erreichenden Zwecke, zu weit ging und viel verdarb, gestehen auch die hol- ländischen Schriftsteller; mit gleicher Sicherheit aber lässt sich
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[101/0131]
Verunglimpfung der Holländer.
rechtlose Stellung gefallen liessen, in welche die Japaner sie schliess-
lich verwiesen.
Seit lange ist es Gewohnheit geworden, die Niederländer
wegen ihrer Stellung in Japan zu schmähen, zu beschimpfen. Dass
das Auftreten der holländischen Kaufleute ein würdiges, ihre Stellung
ehrenvoll gewesen sei, wird Niemand behaupten; sie haben sich,
um Geld zu gewinnen, die grössten Demüthigungen gefallen lassen
und sind dadurch immer tiefer in der Achtung der Japaner gesunken.
Aber die Nation für das verantwortlich zu machen, was eine Gesell-
schaft von Kaufleuten gethan hat, ist gewiss unbillig; man kann
ohne Anstand behaupten, dass die Kaufleute anderer Länder unter
gleichen Umständen ähnlich gehandelt hätten, dass andere Völker
Schlimmeres gethan und geduldet haben. Wer die überseeischen
Niederlassungen der Europäer und ihre Geschichte kennt, der weiss,
dass in den vergangenen Jahrhunderten — denn in dem gegen-
wärtigen hat sich Vieles geändert — die überwiegende Mehrheit der
Ansiedler in dem Auswurf der europäischen Gesellschaft bestand,
in Glücksrittern, die in kürzester Zeit und auf jede Weise Schätze zu
erwerben trachteten, und dass ihr Auftreten gegen aussereuropäische
Völker mit den heutigen Begriffen von Recht, Ehre und Sittlichkeit
nicht bestehen kann. Wie sollte man diesen Maassstab an das
Betragen der Holländer in Japan legen! Um die Verhältnisse richtig
zu würdigen, ist zunächst in Betrachtung zu ziehen, dass die Nie-
derländer in Japan Emissäre einer Handelsgesellschaft waren, deren
materieller Nutzen ihr nächstes Augenmerk sein musste. Die höchsten
Beamten der Compagnie hatten von Anfang an den Grundsatz auf-
gestellt, »dass man sich mit grosser Bescheidenheit und Unterthänig-
keit der Japaner Freundschaft auf jede Weise zu erhalten habe« 102).
Diese Worte blieben die Richtschnur der Handelsvorsteher für alle
Zeiten. Ihre Stellung war schwierig, ihre Verantwortlichkeit gross;
Rath und Verhaltungsbefehle konnten sie, der Entfernung wegen,
niemals, auch in den allerwichtigsten Fällen nicht einholen, und
selbst zur Ueberlegung liessen ihnen die immer peremtorischer auf-
tretenden Japaner selten Zeit. Sie mussten in Eile entscheiden,
was lange Ueberlegung forderte, und machten deshalb viele Fehler.
Dass ihre Nachgiebigkeit, selbst in Betrachtung der zu erreichenden
Zwecke, zu weit ging und viel verdarb, gestehen auch die hol-
ländischen Schriftsteller; mit gleicher Sicherheit aber lässt sich
102) Worte des General-Gouverneurs Van Diemen.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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