Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.Theil I. Cap. I. Satz 20. " sie auch nicht vor nöthig sich mit deren Abfer-tigungen viel zu unterhalten. Könnten alle Theo- logische Streitigkeiten so geführet werden, daß Liebe und Wahrheit den Schreiber regierten: so würde es wohl vor die Kirche Christi am besten seyn, und dem Feind manche Freude ersparen. " heit mit Ehrerbietung annehmen. Das wäre eine vortreffliche Erbauung. Es hat nicht die Meinung, daß alle alles lesen müssen: aber wer seine armen Brüder davon abhält, daß sie ja keine Erinnerung anhören sollen, der nimmt etwas grosses auf sich. In einer so mißlichen Sache solte ein jedes von ihnen sich etwa nach einem erfahrnen Mann, dergleichen es doch wol ausser ihrer Gemeine gibt, umse- hen, und sich unpartheyisch berichten lassen, was es für eine Bewandtniß habe. Aber es ist, als ob die guten Leute meinten, die Göttli- che Vorsorge dürfe keinen Blinden, ob er noch so sorglos wäre, in die Grube fallen las- sen. Kommt ihrer etlichen eine Erinnerung vor die Hand, so sehen sie einen in ihrer seligen Hö- he mit einer mitleidigen Liebe an, und wann er bey ihnen noch wol daran ist, so messen sie ihm eine heilige Einfalt bey, aber auf ihrem Beginnen bleiben sie. Rohe Weltleute tra- gen sich mit gewissen Sprüchwörtern, wo- mit sie sich in ihrem totalen Unglauben oder in ihrer betrogenen Hoffnung gegen alle Angriffe der Wahrheit verschanzen: und so haben auch manche dieser Brüder ihre Weydsprüchlein, die sie auffangen und nachsagen, womit sie sich Theil I. Cap. I. Satz 20. ” ſie auch nicht vor noͤthig ſich mit deren Abfer-tigungen viel zu unterhalten. Koͤnnten alle Theo- logiſche Streitigkeiten ſo gefuͤhret werden, daß Liebe und Wahrheit den Schreiber regierten: ſo wuͤrde es wohl vor die Kirche Chriſti am beſten ſeyn, und dem Feind manche Freude erſparen. ” heit mit Ehrerbietung annehmen. Das waͤre eine vortreffliche Erbauung. Es hat nicht die Meinung, daß alle alles leſen muͤſſen: aber wer ſeine armen Bruͤder davon abhaͤlt, daß ſie ja keine Erinnerung anhoͤren ſollen, der nimmt etwas groſſes auf ſich. In einer ſo mißlichen Sache ſolte ein jedes von ihnen ſich etwa nach einem erfahrnen Mann, dergleichen es doch wol auſſer ihrer Gemeine gibt, umſe- hen, und ſich unpartheyiſch berichten laſſen, was es fuͤr eine Bewandtniß habe. Aber es iſt, als ob die guten Leute meinten, die Goͤttli- che Vorſorge duͤrfe keinen Blinden, ob er noch ſo ſorglos waͤre, in die Grube fallen laſ- ſen. Kommt ihrer etlichen eine Erinnerung vor die Hand, ſo ſehen ſie einen in ihrer ſeligen Hoͤ- he mit einer mitleidigen Liebe an, und wann er bey ihnen noch wol daran iſt, ſo meſſen ſie ihm eine heilige Einfalt bey, aber auf ihrem Beginnen bleiben ſie. Rohe Weltleute tra- gen ſich mit gewiſſen Spruͤchwoͤrtern, wo- mit ſie ſich in ihrem totalen Unglauben oder in ihrer betrogenen Hoffnung gegen alle Angriffe der Wahrheit verſchanzen: und ſo haben auch manche dieſer Bruͤder ihre Weydſpruͤchlein, die ſie auffangen und nachſagen, womit ſie ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <pb facs="#f0192" n="172"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Theil</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Cap.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Satz</hi> 20.</fw><lb/> <hi rendition="#fr">” ſie auch nicht vor noͤthig ſich mit deren Abfer-<lb/> tigungen viel zu unterhalten. 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Theil I. Cap. I. Satz 20.
” ſie auch nicht vor noͤthig ſich mit deren Abfer-
tigungen viel zu unterhalten. Koͤnnten alle Theo-
logiſche Streitigkeiten ſo gefuͤhret werden, daß
Liebe und Wahrheit den Schreiber regierten: ſo
wuͤrde es wohl vor die Kirche Chriſti am beſten
ſeyn, und dem Feind manche Freude erſparen. ”
heit mit Ehrerbietung annehmen. Das waͤre
eine vortreffliche Erbauung. Es hat nicht
die Meinung, daß alle alles leſen muͤſſen: aber
wer ſeine armen Bruͤder davon abhaͤlt, daß
ſie ja keine Erinnerung anhoͤren ſollen, der
nimmt etwas groſſes auf ſich. In einer ſo
mißlichen Sache ſolte ein jedes von ihnen ſich
etwa nach einem erfahrnen Mann, dergleichen
es doch wol auſſer ihrer Gemeine gibt, umſe-
hen, und ſich unpartheyiſch berichten laſſen,
was es fuͤr eine Bewandtniß habe. Aber es
iſt, als ob die guten Leute meinten, die Goͤttli-
che Vorſorge duͤrfe keinen Blinden, ob er
noch ſo ſorglos waͤre, in die Grube fallen laſ-
ſen. Kommt ihrer etlichen eine Erinnerung vor
die Hand, ſo ſehen ſie einen in ihrer ſeligen Hoͤ-
he mit einer mitleidigen Liebe an, und wann
er bey ihnen noch wol daran iſt, ſo meſſen ſie
ihm eine heilige Einfalt bey, aber auf ihrem
Beginnen bleiben ſie. Rohe Weltleute tra-
gen ſich mit gewiſſen Spruͤchwoͤrtern, wo-
mit ſie ſich in ihrem totalen Unglauben oder in
ihrer betrogenen Hoffnung gegen alle Angriffe
der Wahrheit verſchanzen: und ſo haben auch
manche dieſer Bruͤder ihre Weydſpruͤchlein,
die ſie auffangen und nachſagen, womit ſie ſich
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Zitationshilfe: | Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/192>, abgerufen am 16.07.2024. |