Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.Theil I. Cap. I. Satz 14. viel tausend Thränen, daß der Predigernichts mehr reden, und die Zuhörer nicht mehr zuhören konten. War dem also, so sind in diesem heiteren Intervallo die zween Articul vom Leiden und von der herrlichen Zu- kunft Christi, wie Hebr. 9, 28. zusammenge- flossen, und des ersteren Articuls halben hat auch hier ein altes, die Sinnen bewegendes Kirchenlied das beste gethan. Es kan seyn, daß unter zwölf guten Seelen eine jede an einen besondern Articul, nebst dem allgemeinen Ge- nuß der ganzen Glaubens-Lehre, eine beson- dere Weide hat, und folglich dieselbe zusam- men ein Symbolum apostolicum vivum oder ein lebendiges Glaubens-Bekenntniß präsen- tiren. Wann nun eine Seele irgend an einem besondern Articul ein besonderes Belieben hat, so muß sie darum weder die andere Ar- ticul herabsetzen, noch sich allen andern See- len mit Aufblehung ihrer selbs zu einem Mu- ster aufdringen. § 122. Es muß doch eine gewisse Ursache haben, gelium
Theil I. Cap. I. Satz 14. viel tauſend Thraͤnen, daß der Predigernichts mehr reden, und die Zuhoͤrer nicht mehr zuhoͤren konten. War dem alſo, ſo ſind in dieſem heiteren Intervallo die zween Articul vom Leiden und von der herrlichen Zu- kunft Chriſti, wie Hebr. 9, 28. zuſammenge- floſſen, und des erſteren Articuls halben hat auch hier ein altes, die Sinnen bewegendes Kirchenlied das beſte gethan. Es kan ſeyn, daß unter zwoͤlf guten Seelen eine jede an einen beſondern Articul, nebſt dem allgemeinen Ge- nuß der ganzen Glaubens-Lehre, eine beſon- dere Weide hat, und folglich dieſelbe zuſam- men ein Symbolum apoſtolicum vivum oder ein lebendiges Glaubens-Bekenntniß praͤſen- tiren. Wann nun eine Seele irgend an einem beſondern Articul ein beſonderes Belieben hat, ſo muß ſie darum weder die andere Ar- ticul herabſetzen, noch ſich allen andern See- len mit Aufblehung ihrer ſelbs zu einem Mu- ſter aufdringen. § 122. Es muß doch eine gewiſſe Urſache haben, gelium
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0142" n="122"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Theil</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Cap.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Satz</hi> 14.</fw><lb/><hi rendition="#fr">viel tauſend Thraͤnen, daß der Prediger<lb/> nichts mehr reden, und die Zuhoͤrer nicht<lb/> mehr zuhoͤren konten.</hi> War dem alſo, ſo<lb/> ſind in dieſem heiteren <hi rendition="#aq">Intervallo</hi> die zween<lb/> Articul vom Leiden und von der herrlichen Zu-<lb/> kunft Chriſti, wie Hebr. 9, 28. zuſammenge-<lb/> floſſen, und des erſteren Articuls halben hat<lb/> auch hier ein altes, die Sinnen bewegendes<lb/> Kirchenlied das beſte gethan. Es kan ſeyn,<lb/> daß unter zwoͤlf guten Seelen eine jede an einen<lb/> beſondern Articul, nebſt dem allgemeinen Ge-<lb/> nuß der ganzen Glaubens-Lehre, eine beſon-<lb/> dere Weide hat, und folglich dieſelbe zuſam-<lb/> men ein <hi rendition="#aq">Symbolum apoſtolicum vivum</hi> oder<lb/> ein lebendiges Glaubens-Bekenntniß praͤſen-<lb/> tiren. Wann nun eine Seele irgend an einem<lb/> beſondern Articul ein beſonderes Belieben<lb/> hat, ſo muß ſie darum weder die andere Ar-<lb/> ticul herabſetzen, noch ſich allen andern See-<lb/> len mit Aufblehung ihrer ſelbs zu einem Mu-<lb/> ſter aufdringen.</p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§ 122.</head><lb/> <p>Es muß doch eine gewiſſe Urſache haben,<lb/> daß der <hi rendition="#aq">Ordinarius</hi> bey dem Vortrag vom Lei-<lb/> den Chriſti den Stand der Erhoͤhung ſo gar<lb/> fliehet, und die Luͤcke mit allerley zuſammenge-<lb/> ſuchtem Zeuge buͤſſet. Endlich iſt mir beyge-<lb/> gangen, weil die Vernunft nichts ſo unmoͤglich<lb/> achtet, als die Auferſtehung der Todten, und<lb/> folglich die Heyden wegen der Auferſtehung<lb/> Chriſti von den Todten gar leicht das Evan-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">gelium</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0142]
Theil I. Cap. I. Satz 14.
viel tauſend Thraͤnen, daß der Prediger
nichts mehr reden, und die Zuhoͤrer nicht
mehr zuhoͤren konten. War dem alſo, ſo
ſind in dieſem heiteren Intervallo die zween
Articul vom Leiden und von der herrlichen Zu-
kunft Chriſti, wie Hebr. 9, 28. zuſammenge-
floſſen, und des erſteren Articuls halben hat
auch hier ein altes, die Sinnen bewegendes
Kirchenlied das beſte gethan. Es kan ſeyn,
daß unter zwoͤlf guten Seelen eine jede an einen
beſondern Articul, nebſt dem allgemeinen Ge-
nuß der ganzen Glaubens-Lehre, eine beſon-
dere Weide hat, und folglich dieſelbe zuſam-
men ein Symbolum apoſtolicum vivum oder
ein lebendiges Glaubens-Bekenntniß praͤſen-
tiren. Wann nun eine Seele irgend an einem
beſondern Articul ein beſonderes Belieben
hat, ſo muß ſie darum weder die andere Ar-
ticul herabſetzen, noch ſich allen andern See-
len mit Aufblehung ihrer ſelbs zu einem Mu-
ſter aufdringen.
§ 122.
Es muß doch eine gewiſſe Urſache haben,
daß der Ordinarius bey dem Vortrag vom Lei-
den Chriſti den Stand der Erhoͤhung ſo gar
fliehet, und die Luͤcke mit allerley zuſammenge-
ſuchtem Zeuge buͤſſet. Endlich iſt mir beyge-
gangen, weil die Vernunft nichts ſo unmoͤglich
achtet, als die Auferſtehung der Todten, und
folglich die Heyden wegen der Auferſtehung
Chriſti von den Todten gar leicht das Evan-
gelium
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/142 |
Zitationshilfe: | Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/142>, abgerufen am 16.07.2024. |