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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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ist auch der Brustkorb noch thätig; wenn die Lunge sich aus-
dehnt, weicht er etwas nach außen, indem jede Rippe etwas
nach oben und außen sich hebt. Die Lunge nun, die von der
Luft gewaltsam ausgedehnt wurde, strebt wieder in ihre vorige
Lage zurück, zieht sich zusammen; die Bauchwandungen thun
dasselbe, drücken auf die Eingeweide, die Eingeweide auf das
Zwerchfell, das Zwerchfell auf die Lunge; ebenso strebt der
Brustkorb wieder in seine frühere Lage zurück, und so muß die
eingestürzte Luft wieder heraus. Aber so wie sie heraus und
die Lunge eingesunken ist und jetzt gleichsam ausruhen und
des Sieges sich freuen will, stürzt schon wieder frische Luft
hinein, und die arme Lunge muß das Geschäft wieder von
neuem beginnen, und wir freuen uns erst noch; denn so lange
dieses Gehen und Kommen, dieses Einathmen und Ausathmen
dauert, so lange und nicht länger leben wir. Das Athmen be-
ginnt mit der Geburt, sobald die Luft die arme Nase erblickt.
Das Gefühl, der Trieb, daß wir athmen müssen, sitzt in den
Nerven.

Wozu geschieht nun dieses Athmen, dieses Ein- und
Ausströmen der Luft in und aus unserm Körper? Was hat das
für einen Zweck? Das geschieht aus folgenden Gründen.
Erstens: Unsere Nerven bedürfen zu ihrer Ernährung des
Sauerstoffes. Das Nervenleben sinkt, wenn die Zufuhr von
arteriellem oder mit Sauerstoff geschwängertem Blute abnimmt.
Es ist dieß auch die Todesursache beim Ersticken. Dieser Sauer-
stoff ist neben dem Stickstoff der hauptsächlichste Bestandtheil
der Luft; durch das Athmen geht solcher Sauerstoff der Luft
in das Blut über und aus dem Blut, das das flüssige Bau-
material des ganzen Körpers ist, in die Nerven. Zweitens:
Das körperliche Leben ist ein beständiges Aufnehmen und Ver-
arbeiten von Stoffen, aus denen der Körper gebildet ist, aber
auch ein beständiges Abgeben der unnützen verbrauchten
Stoffe. Man giebt auch ab, sonst würde man nach und nach
durch das ewige Essen, ich weiß nicht was und wie groß; wir
handeln nur, sind nur das Wasser im Brunnentrog; es fließt
zu und ab. Das Blut führt dem Körper aus der Lunge, aus
dem Darmkanal alles zu, was er braucht; nimmt aber auch

iſt auch der Bruſtkorb noch thätig; wenn die Lunge ſich aus-
dehnt, weicht er etwas nach außen, indem jede Rippe etwas
nach oben und außen ſich hebt. Die Lunge nun, die von der
Luft gewaltſam ausgedehnt wurde, ſtrebt wieder in ihre vorige
Lage zurück, zieht ſich zuſammen; die Bauchwandungen thun
daſſelbe, drücken auf die Eingeweide, die Eingeweide auf das
Zwerchfell, das Zwerchfell auf die Lunge; ebenſo ſtrebt der
Bruſtkorb wieder in ſeine frühere Lage zurück, und ſo muß die
eingeſtürzte Luft wieder heraus. Aber ſo wie ſie heraus und
die Lunge eingeſunken iſt und jetzt gleichſam ausruhen und
des Sieges ſich freuen will, ſtürzt ſchon wieder friſche Luft
hinein, und die arme Lunge muß das Geſchäft wieder von
neuem beginnen, und wir freuen uns erſt noch; denn ſo lange
dieſes Gehen und Kommen, dieſes Einathmen und Ausathmen
dauert, ſo lange und nicht länger leben wir. Das Athmen be-
ginnt mit der Geburt, ſobald die Luft die arme Naſe erblickt.
Das Gefühl, der Trieb, daß wir athmen müſſen, ſitzt in den
Nerven.

Wozu geſchieht nun dieſes Athmen, dieſes Ein- und
Ausſtrömen der Luft in und aus unſerm Körper? Was hat das
für einen Zweck? Das geſchieht aus folgenden Gründen.
Erſtens: Unſere Nerven bedürfen zu ihrer Ernährung des
Sauerſtoffes. Das Nervenleben ſinkt, wenn die Zufuhr von
arteriellem oder mit Sauerſtoff geſchwängertem Blute abnimmt.
Es iſt dieß auch die Todesurſache beim Erſticken. Dieſer Sauer-
ſtoff iſt neben dem Stickſtoff der hauptſächlichſte Beſtandtheil
der Luft; durch das Athmen geht ſolcher Sauerſtoff der Luft
in das Blut über und aus dem Blut, das das flüſſige Bau-
material des ganzen Körpers iſt, in die Nerven. Zweitens:
Das körperliche Leben iſt ein beſtändiges Aufnehmen und Ver-
arbeiten von Stoffen, aus denen der Körper gebildet iſt, aber
auch ein beſtändiges Abgeben der unnützen verbrauchten
Stoffe. Man giebt auch ab, ſonſt würde man nach und nach
durch das ewige Eſſen, ich weiß nicht was und wie groß; wir
handeln nur, ſind nur das Waſſer im Brunnentrog; es fließt
zu und ab. Das Blut führt dem Körper aus der Lunge, aus
dem Darmkanal alles zu, was er braucht; nimmt aber auch

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[47/0047] iſt auch der Bruſtkorb noch thätig; wenn die Lunge ſich aus- dehnt, weicht er etwas nach außen, indem jede Rippe etwas nach oben und außen ſich hebt. Die Lunge nun, die von der Luft gewaltſam ausgedehnt wurde, ſtrebt wieder in ihre vorige Lage zurück, zieht ſich zuſammen; die Bauchwandungen thun daſſelbe, drücken auf die Eingeweide, die Eingeweide auf das Zwerchfell, das Zwerchfell auf die Lunge; ebenſo ſtrebt der Bruſtkorb wieder in ſeine frühere Lage zurück, und ſo muß die eingeſtürzte Luft wieder heraus. Aber ſo wie ſie heraus und die Lunge eingeſunken iſt und jetzt gleichſam ausruhen und des Sieges ſich freuen will, ſtürzt ſchon wieder friſche Luft hinein, und die arme Lunge muß das Geſchäft wieder von neuem beginnen, und wir freuen uns erſt noch; denn ſo lange dieſes Gehen und Kommen, dieſes Einathmen und Ausathmen dauert, ſo lange und nicht länger leben wir. Das Athmen be- ginnt mit der Geburt, ſobald die Luft die arme Naſe erblickt. Das Gefühl, der Trieb, daß wir athmen müſſen, ſitzt in den Nerven. Wozu geſchieht nun dieſes Athmen, dieſes Ein- und Ausſtrömen der Luft in und aus unſerm Körper? Was hat das für einen Zweck? Das geſchieht aus folgenden Gründen. Erſtens: Unſere Nerven bedürfen zu ihrer Ernährung des Sauerſtoffes. Das Nervenleben ſinkt, wenn die Zufuhr von arteriellem oder mit Sauerſtoff geſchwängertem Blute abnimmt. Es iſt dieß auch die Todesurſache beim Erſticken. Dieſer Sauer- ſtoff iſt neben dem Stickſtoff der hauptſächlichſte Beſtandtheil der Luft; durch das Athmen geht ſolcher Sauerſtoff der Luft in das Blut über und aus dem Blut, das das flüſſige Bau- material des ganzen Körpers iſt, in die Nerven. Zweitens: Das körperliche Leben iſt ein beſtändiges Aufnehmen und Ver- arbeiten von Stoffen, aus denen der Körper gebildet iſt, aber auch ein beſtändiges Abgeben der unnützen verbrauchten Stoffe. Man giebt auch ab, ſonſt würde man nach und nach durch das ewige Eſſen, ich weiß nicht was und wie groß; wir handeln nur, ſind nur das Waſſer im Brunnentrog; es fließt zu und ab. Das Blut führt dem Körper aus der Lunge, aus dem Darmkanal alles zu, was er braucht; nimmt aber auch

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/47>, abgerufen am 29.03.2024.