Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.wenigstens der Erwachsene und besonders der Eigenthümer die Daß die Wohnung einen Einfluß auf den Menschen aus- Es ist Thatsache, daß in je den schlechtesten Wohnungen, II. 2
wenigſtens der Erwachſene und beſonders der Eigenthümer die Daß die Wohnung einen Einfluß auf den Menſchen aus- Es iſt Thatſache, daß in je den ſchlechteſten Wohnungen, II. 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="17"/> wenigſtens der Erwachſene und beſonders der Eigenthümer die<lb/> Wohnung ſo oder anders geſtaltet, ſo übt doch die Wohnung<lb/> auch einen Einfluß auf den Menſchen aus; eine Hand wäſcht<lb/> da die andere. Welches das erſte und welches das zweite ſei,<lb/> iſt eine dumme Frage. Das eine Mal werfe ich zuerſt den Koth<lb/> an die Wand; das andere Mal beſchmutzt der Koth an der Wand<lb/> mich zuerſt. Und wem das nicht genügte, dem ſage, daß nicht<lb/> jede Frage beantwortet werden müſſe, z. B. ob die Henne das<lb/> erſte ſei oder das Ei.</p><lb/> <p>Daß die Wohnung einen Einfluß auf den Menſchen aus-<lb/> übe, das haben wir, wie die Gelehrten ſagen, <hi rendition="#aq">a priori</hi>, zum<lb/> vornherein, als Lehrſatz bewieſen. Nun aber kommt <hi rendition="#aq">a poſteriori</hi>,<lb/> hintendrein, auch noch die Erfahrung, und beſtätigt das alles<lb/> auf's genaueſte.</p><lb/> <p>Es iſt Thatſache, daß in je den ſchlechteſten Wohnungen,<lb/> in je den ſchlechteſten Quartieren der Städte durchſchnittlich die<lb/> größte Sterblichkeit herrſcht, am meiſten Krankheiten vorkommen;<lb/> namentlich haben da Seuchen einen rechten Herd, in dem ihnen<lb/> wohl iſt, in dem ſie lecken wie Flammen auf einem fetten mit<lb/> Oel getränkten Boden. Die gröſte Armuth und Entſittlichung<lb/> iſt an ſolchen Orten zu treffen. Jn London ſterben in den<lb/> ſchlechteſten Quartieren 26 Menſchen auf Tauſend, in den beſten<lb/> 13. Von den 18000, welche 1849 an der Cholera in London<lb/> ſtarben, traf es auf 1000 26 aus den höchſten Claſſen, 157<lb/> aus dem Kaufmannsſtande und aus der Arbeiterbevölkerung <hi rendition="#b">817</hi>.<lb/> Es iſt nun allerdings richtig, daß in dieſe ungeſundeſten und<lb/> ſchlechteſten Quartiere von vornherein ſchon die Aermſten und<lb/> in der Regel Unſittlichſten ſich begeben. Wer nirgends mehr<lb/> unterzukommen weiß, der findet da noch eine wohlfeile Zu-<lb/> fluchtsſtätte. Alſo Anwartſchaft auf ein kurzes Leben und leichtes<lb/> Erkranken haben dieſe Leute ſchon zum Voraus. Aber die Woh-<lb/> nung thut das Jhrige auch noch redlich dazu. Wo die Leute<lb/> ſelber ſich hinwürgen, würgt die Wohnung auch noch hin.<lb/> „<hi rendition="#g">Die Todten reiten ſchnell</hi>.“ Wenn die nämlichen Leute<lb/> in beſſere Wohnungen gebracht würden, alſo von Seite der<lb/> Wohnung einen Anſtoß zum Beſſern erhielten, würde es auch<lb/> beſſer mit ihnen. Es müßte ihnen weder Geld gegeben werden,<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi>. 2</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0017]
wenigſtens der Erwachſene und beſonders der Eigenthümer die
Wohnung ſo oder anders geſtaltet, ſo übt doch die Wohnung
auch einen Einfluß auf den Menſchen aus; eine Hand wäſcht
da die andere. Welches das erſte und welches das zweite ſei,
iſt eine dumme Frage. Das eine Mal werfe ich zuerſt den Koth
an die Wand; das andere Mal beſchmutzt der Koth an der Wand
mich zuerſt. Und wem das nicht genügte, dem ſage, daß nicht
jede Frage beantwortet werden müſſe, z. B. ob die Henne das
erſte ſei oder das Ei.
Daß die Wohnung einen Einfluß auf den Menſchen aus-
übe, das haben wir, wie die Gelehrten ſagen, a priori, zum
vornherein, als Lehrſatz bewieſen. Nun aber kommt a poſteriori,
hintendrein, auch noch die Erfahrung, und beſtätigt das alles
auf's genaueſte.
Es iſt Thatſache, daß in je den ſchlechteſten Wohnungen,
in je den ſchlechteſten Quartieren der Städte durchſchnittlich die
größte Sterblichkeit herrſcht, am meiſten Krankheiten vorkommen;
namentlich haben da Seuchen einen rechten Herd, in dem ihnen
wohl iſt, in dem ſie lecken wie Flammen auf einem fetten mit
Oel getränkten Boden. Die gröſte Armuth und Entſittlichung
iſt an ſolchen Orten zu treffen. Jn London ſterben in den
ſchlechteſten Quartieren 26 Menſchen auf Tauſend, in den beſten
13. Von den 18000, welche 1849 an der Cholera in London
ſtarben, traf es auf 1000 26 aus den höchſten Claſſen, 157
aus dem Kaufmannsſtande und aus der Arbeiterbevölkerung 817.
Es iſt nun allerdings richtig, daß in dieſe ungeſundeſten und
ſchlechteſten Quartiere von vornherein ſchon die Aermſten und
in der Regel Unſittlichſten ſich begeben. Wer nirgends mehr
unterzukommen weiß, der findet da noch eine wohlfeile Zu-
fluchtsſtätte. Alſo Anwartſchaft auf ein kurzes Leben und leichtes
Erkranken haben dieſe Leute ſchon zum Voraus. Aber die Woh-
nung thut das Jhrige auch noch redlich dazu. Wo die Leute
ſelber ſich hinwürgen, würgt die Wohnung auch noch hin.
„Die Todten reiten ſchnell.“ Wenn die nämlichen Leute
in beſſere Wohnungen gebracht würden, alſo von Seite der
Wohnung einen Anſtoß zum Beſſern erhielten, würde es auch
beſſer mit ihnen. Es müßte ihnen weder Geld gegeben werden,
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