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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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nung aber übt einen Einfluß auf sie aus. Kinder werden
schon durch Porträts an der Wand angesprochen, und wenn sie
selber noch keinen umgefallenen Stuhl aufstellen können. Wir
könnten nun das Ganze umkehren: ich habe Sinn für Ordnung,
Reinlichkeit und eine schöne Wohnung. Jch mache die Wände
meines Hauses weiß. Die schöne weiße Wand zahlt mir's
zurück; sie verstärkt meinen Sinn für Reinlichkeit; sie macht
mir eben durch ihr schönes reines Weiß Freude. Jch öffne das
Fenster und lasse frische Luft und Sonnenschein herein. Die
reine Luft und das schöne Sonnenlicht sind nicht undankbar;
sie lassen sich in kein Haus aufnehmen, ohne daß sie Gaben
zurücklassen. Die reine Luft stärkt mich, macht mich gesund;
das schöne Sonnenlicht erfreut mich, giebt mir helle, lichte Ge-
danken. Jch öffne morgen wieder, öffne zwei Fenster. Kurz,
es geht auch Hand in Hand vorwärts. "Wer da hat, dem
wird gegeben, auf daß er die Fülle habe; wer da nicht hat,
dem wird auch genommen, was er hat." Wo kein Sinn für
Ordnung ist, da muß von außen her, von der Wohnung her
ein Anstoß gegeben werden; wer nichts hat, dem muß ein erster
Anfang, ein kleiner Einsatz von außen, von andern her gegeben
werden. Die Verhältnisse, in die ich hineingestellt bin, in denen
ich geboren wurde, sind oft so übermächtig, daß mein Wille
und meine Kraft dran erlahmen. Wenn ich in einem Sumpf
nur mit einem Bein stehe, etwa am Rand desselben oder mit
beiden Beinen nicht tiefer als bis etwas über die Knie herauf,
da kann ich mich noch heraus arbeiten; aber wenn ich mitten
im Sumpf bin und bis unter die Arme hinauf, da kann ich
mich an den eignen Haaren und mit dem bloßen Willen nicht
herausreißen. Es muß mir eine Stange, ein Seil, ein Brett
oder so etwas geboten werden. Jch habe Kinder. Sie können
noch kein Fenster öffnen; aber die reine Luft stärkt sie, und
wenn sie dann in ihr groß geworden sind, öffnen sie die Fenster
selber. Hausleute, die ich bei mir habe, und von denen wir
gesehen haben, daß sie nicht zu viel machen dürfen, genießen
diese Wohlthaten von der gesunden Wohnung her auch, und
wenn sie über's Jahr ein eigenes Haus haben, machen sie's
gerade auch so. Also wir bleiben dabei: wenn auch der Mensch,

nung aber übt einen Einfluß auf ſie aus. Kinder werden
ſchon durch Porträts an der Wand angeſprochen, und wenn ſie
ſelber noch keinen umgefallenen Stuhl aufſtellen können. Wir
könnten nun das Ganze umkehren: ich habe Sinn für Ordnung,
Reinlichkeit und eine ſchöne Wohnung. Jch mache die Wände
meines Hauſes weiß. Die ſchöne weiße Wand zahlt mir's
zurück; ſie verſtärkt meinen Sinn für Reinlichkeit; ſie macht
mir eben durch ihr ſchönes reines Weiß Freude. Jch öffne das
Fenſter und laſſe friſche Luft und Sonnenſchein herein. Die
reine Luft und das ſchöne Sonnenlicht ſind nicht undankbar;
ſie laſſen ſich in kein Haus aufnehmen, ohne daß ſie Gaben
zurücklaſſen. Die reine Luft ſtärkt mich, macht mich geſund;
das ſchöne Sonnenlicht erfreut mich, giebt mir helle, lichte Ge-
danken. Jch öffne morgen wieder, öffne zwei Fenſter. Kurz,
es geht auch Hand in Hand vorwärts. „Wer da hat, dem
wird gegeben, auf daß er die Fülle habe; wer da nicht hat,
dem wird auch genommen, was er hat.“ Wo kein Sinn für
Ordnung iſt, da muß von außen her, von der Wohnung her
ein Anſtoß gegeben werden; wer nichts hat, dem muß ein erſter
Anfang, ein kleiner Einſatz von außen, von andern her gegeben
werden. Die Verhältniſſe, in die ich hineingeſtellt bin, in denen
ich geboren wurde, ſind oft ſo übermächtig, daß mein Wille
und meine Kraft dran erlahmen. Wenn ich in einem Sumpf
nur mit einem Bein ſtehe, etwa am Rand deſſelben oder mit
beiden Beinen nicht tiefer als bis etwas über die Knie herauf,
da kann ich mich noch heraus arbeiten; aber wenn ich mitten
im Sumpf bin und bis unter die Arme hinauf, da kann ich
mich an den eignen Haaren und mit dem bloßen Willen nicht
herausreißen. Es muß mir eine Stange, ein Seil, ein Brett
oder ſo etwas geboten werden. Jch habe Kinder. Sie können
noch kein Fenſter öffnen; aber die reine Luft ſtärkt ſie, und
wenn ſie dann in ihr groß geworden ſind, öffnen ſie die Fenſter
ſelber. Hausleute, die ich bei mir habe, und von denen wir
geſehen haben, daß ſie nicht zu viel machen dürfen, genießen
dieſe Wohlthaten von der geſunden Wohnung her auch, und
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[16/0016] nung aber übt einen Einfluß auf ſie aus. Kinder werden ſchon durch Porträts an der Wand angeſprochen, und wenn ſie ſelber noch keinen umgefallenen Stuhl aufſtellen können. Wir könnten nun das Ganze umkehren: ich habe Sinn für Ordnung, Reinlichkeit und eine ſchöne Wohnung. Jch mache die Wände meines Hauſes weiß. Die ſchöne weiße Wand zahlt mir's zurück; ſie verſtärkt meinen Sinn für Reinlichkeit; ſie macht mir eben durch ihr ſchönes reines Weiß Freude. Jch öffne das Fenſter und laſſe friſche Luft und Sonnenſchein herein. Die reine Luft und das ſchöne Sonnenlicht ſind nicht undankbar; ſie laſſen ſich in kein Haus aufnehmen, ohne daß ſie Gaben zurücklaſſen. Die reine Luft ſtärkt mich, macht mich geſund; das ſchöne Sonnenlicht erfreut mich, giebt mir helle, lichte Ge- danken. Jch öffne morgen wieder, öffne zwei Fenſter. Kurz, es geht auch Hand in Hand vorwärts. „Wer da hat, dem wird gegeben, auf daß er die Fülle habe; wer da nicht hat, dem wird auch genommen, was er hat.“ Wo kein Sinn für Ordnung iſt, da muß von außen her, von der Wohnung her ein Anſtoß gegeben werden; wer nichts hat, dem muß ein erſter Anfang, ein kleiner Einſatz von außen, von andern her gegeben werden. Die Verhältniſſe, in die ich hineingeſtellt bin, in denen ich geboren wurde, ſind oft ſo übermächtig, daß mein Wille und meine Kraft dran erlahmen. Wenn ich in einem Sumpf nur mit einem Bein ſtehe, etwa am Rand deſſelben oder mit beiden Beinen nicht tiefer als bis etwas über die Knie herauf, da kann ich mich noch heraus arbeiten; aber wenn ich mitten im Sumpf bin und bis unter die Arme hinauf, da kann ich mich an den eignen Haaren und mit dem bloßen Willen nicht herausreißen. Es muß mir eine Stange, ein Seil, ein Brett oder ſo etwas geboten werden. Jch habe Kinder. Sie können noch kein Fenſter öffnen; aber die reine Luft ſtärkt ſie, und wenn ſie dann in ihr groß geworden ſind, öffnen ſie die Fenſter ſelber. Hausleute, die ich bei mir habe, und von denen wir geſehen haben, daß ſie nicht zu viel machen dürfen, genießen dieſe Wohlthaten von der geſunden Wohnung her auch, und wenn ſie über's Jahr ein eigenes Haus haben, machen ſie's gerade auch ſo. Alſo wir bleiben dabei: wenn auch der Menſch,

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/16>, abgerufen am 23.04.2024.