zölle aufzuheben. Hierfür war aber die deutsche Eisenindustrie, die erst begonnen hatte sich zeitgemäss umzugestalten, die durch die politische Umwälzung sich ganz neuen Aufgaben gegenüber sah, kurz, die erst in dem Anfang der Entwickelung begriffen war, viel zu schwach. Der 1870 auf die Hälfte (auf 0,50 Mark pro 100 kg) herabgesetzte Roh- eisenzoll wurde am 1. Oktober 1873 ganz aufgehoben. Diese Mass- regel, in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Niedergange, war für die deutsche Hochofenindustrie eine schwere Schädigung. Indem sie dem billigen englischen Eisen ungehinderten Eingang verschaffte, zwang sie die deutschen Hüttenbesitzer, ihr Roheisen zu Preisen zu verkaufen, die verlustbringend waren. Noch verderblicher war die vom deutschen Reichstag am 7. Juli 1873 beschlossene Aufhebung der Zölle auf Schmiedeeisen am 1. Januar 1877. Sie führte einen traurigen Notstand der deutschen Eisenindustrie herbei, aus dem nur fremde Länder, Belgien und besonders Grossbritannien, einen Vorteil zogen.
Der deutsche Reichstag verhielt sich ablehnend gegen die Klagen und Bitten der Eisenindustriellen. Die Hülfe kam durch Fürst Bismarck, der, obgleich auch in dem falschen Idealismus des Frei- handels aufgewachsen und befangen, ein viel zu klarer Realpolitiker war, um nicht die schädigende Wirkung der Aufhebung der Eisenzölle und die Notlage der Eisenindustrie zu erkennen. Er ordnete deshalb im Jahre 1878 eine Enquete zur Untersuchung der Lage der deutschen Eisenindustrie an. Auf Grund dieser Enquete wurden die Eisenzölle am 24. Juli 1879 wieder eingeführt und zwar betrug der "Schutzzoll", wie er von den Freihändlern genannt wurde, auf Roheisen 1 Mark, auf Schweiss- und Flusseisen 2,50 Mark pro 100 kg. Mit dieser Wieder- einführung der Eisenzölle begann ein wichtiger Umschwung in der Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches, zum Segen der gesamten Industrie, ganz besonders der Eisenindustrie. Der Staat erkannte es mehr und mehr als seine Pflicht, das deutsche Eisengewerbe auch dadurch zu unterstützen, dass er seinen Bedarf im Inlande deckte und nicht mehr wie früher aus Vorurteil das Ausland bevorzugte. Hierzu waren Reich und Einzelstaaten in steigendem Masse befähigt, ersteres durch seinen grossen Eisenverbrauch für Armee und Flotte, letztere durch ihre Eisenbahnen, die, nachdem das Reichseisenbahnprojekt Bismarcks leider gescheitert war, von den Einzelstaaten nach dem Vorbilde Preussens im Jahre 1879 verstaatlicht worden waren. Die deutsche Eisenindustrie entfaltete sich hierdurch zu hoher Blüte und stattete der weisen und wohlwollenden Reichsregierung ihren Dank dadurch
Deutschland (mit Luxemburg).
zölle aufzuheben. Hierfür war aber die deutsche Eisenindustrie, die erst begonnen hatte sich zeitgemäſs umzugestalten, die durch die politische Umwälzung sich ganz neuen Aufgaben gegenüber sah, kurz, die erst in dem Anfang der Entwickelung begriffen war, viel zu schwach. Der 1870 auf die Hälfte (auf 0,50 Mark pro 100 kg) herabgesetzte Roh- eisenzoll wurde am 1. Oktober 1873 ganz aufgehoben. Diese Maſs- regel, in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Niedergange, war für die deutsche Hochofenindustrie eine schwere Schädigung. Indem sie dem billigen englischen Eisen ungehinderten Eingang verschaffte, zwang sie die deutschen Hüttenbesitzer, ihr Roheisen zu Preisen zu verkaufen, die verlustbringend waren. Noch verderblicher war die vom deutschen Reichstag am 7. Juli 1873 beschlossene Aufhebung der Zölle auf Schmiedeeisen am 1. Januar 1877. Sie führte einen traurigen Notstand der deutschen Eisenindustrie herbei, aus dem nur fremde Länder, Belgien und besonders Groſsbritannien, einen Vorteil zogen.
Der deutsche Reichstag verhielt sich ablehnend gegen die Klagen und Bitten der Eisenindustriellen. Die Hülfe kam durch Fürst Bismarck, der, obgleich auch in dem falschen Idealismus des Frei- handels aufgewachsen und befangen, ein viel zu klarer Realpolitiker war, um nicht die schädigende Wirkung der Aufhebung der Eisenzölle und die Notlage der Eisenindustrie zu erkennen. Er ordnete deshalb im Jahre 1878 eine Enquete zur Untersuchung der Lage der deutschen Eisenindustrie an. Auf Grund dieser Enquete wurden die Eisenzölle am 24. Juli 1879 wieder eingeführt und zwar betrug der „Schutzzoll“, wie er von den Freihändlern genannt wurde, auf Roheisen 1 Mark, auf Schweiſs- und Fluſseisen 2,50 Mark pro 100 kg. Mit dieser Wieder- einführung der Eisenzölle begann ein wichtiger Umschwung in der Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches, zum Segen der gesamten Industrie, ganz besonders der Eisenindustrie. Der Staat erkannte es mehr und mehr als seine Pflicht, das deutsche Eisengewerbe auch dadurch zu unterstützen, daſs er seinen Bedarf im Inlande deckte und nicht mehr wie früher aus Vorurteil das Ausland bevorzugte. Hierzu waren Reich und Einzelstaaten in steigendem Maſse befähigt, ersteres durch seinen groſsen Eisenverbrauch für Armee und Flotte, letztere durch ihre Eisenbahnen, die, nachdem das Reichseisenbahnprojekt Bismarcks leider gescheitert war, von den Einzelstaaten nach dem Vorbilde Preuſsens im Jahre 1879 verstaatlicht worden waren. Die deutsche Eisenindustrie entfaltete sich hierdurch zu hoher Blüte und stattete der weisen und wohlwollenden Reichsregierung ihren Dank dadurch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0999"n="983"/><fwplace="top"type="header">Deutschland (mit Luxemburg).</fw><lb/>
zölle aufzuheben. Hierfür war aber die deutsche Eisenindustrie, die erst<lb/>
begonnen hatte sich zeitgemäſs umzugestalten, die durch die politische<lb/>
Umwälzung sich ganz neuen Aufgaben gegenüber sah, kurz, die erst<lb/>
in dem Anfang der Entwickelung begriffen war, viel zu schwach. Der<lb/>
1870 auf die Hälfte (auf 0,50 Mark pro 100 kg) herabgesetzte Roh-<lb/>
eisenzoll wurde am 1. Oktober 1873 ganz aufgehoben. Diese Maſs-<lb/>
regel, in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Niedergange, war für<lb/>
die deutsche Hochofenindustrie eine schwere Schädigung. Indem sie<lb/>
dem billigen englischen Eisen ungehinderten Eingang verschaffte,<lb/>
zwang sie die deutschen Hüttenbesitzer, ihr Roheisen zu Preisen zu<lb/>
verkaufen, die verlustbringend waren. Noch verderblicher war die<lb/>
vom deutschen Reichstag am 7. Juli 1873 beschlossene Aufhebung<lb/>
der Zölle auf Schmiedeeisen am 1. Januar 1877. Sie führte einen<lb/>
traurigen Notstand der deutschen Eisenindustrie herbei, aus dem nur<lb/>
fremde Länder, Belgien und besonders Groſsbritannien, einen Vorteil<lb/>
zogen.</p><lb/><p>Der deutsche Reichstag verhielt sich ablehnend gegen die Klagen<lb/>
und Bitten der Eisenindustriellen. Die Hülfe kam durch Fürst<lb/><hirendition="#g">Bismarck</hi>, der, obgleich auch in dem falschen Idealismus des Frei-<lb/>
handels aufgewachsen und befangen, ein viel zu klarer Realpolitiker<lb/>
war, um nicht die schädigende Wirkung der Aufhebung der Eisenzölle<lb/>
und die Notlage der Eisenindustrie zu erkennen. Er ordnete deshalb<lb/>
im Jahre 1878 eine Enquete zur Untersuchung der Lage der deutschen<lb/>
Eisenindustrie an. Auf Grund dieser Enquete wurden die Eisenzölle<lb/>
am 24. Juli 1879 wieder eingeführt und zwar betrug der „Schutzzoll“,<lb/>
wie er von den Freihändlern genannt wurde, auf Roheisen 1 Mark,<lb/>
auf Schweiſs- und Fluſseisen 2,50 Mark pro 100 kg. Mit dieser Wieder-<lb/>
einführung der Eisenzölle begann ein wichtiger Umschwung in der<lb/>
Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches, zum Segen der gesamten<lb/>
Industrie, ganz besonders der Eisenindustrie. Der Staat erkannte es<lb/>
mehr und mehr als seine Pflicht, das deutsche Eisengewerbe auch<lb/>
dadurch zu unterstützen, daſs er seinen Bedarf im Inlande deckte und<lb/>
nicht mehr wie früher aus Vorurteil das Ausland bevorzugte. Hierzu<lb/>
waren Reich und Einzelstaaten in steigendem Maſse befähigt, ersteres<lb/>
durch seinen groſsen Eisenverbrauch für Armee und Flotte, letztere durch<lb/>
ihre Eisenbahnen, die, nachdem das Reichseisenbahnprojekt <hirendition="#g">Bismarcks</hi><lb/>
leider gescheitert war, von den Einzelstaaten nach dem Vorbilde<lb/>
Preuſsens im Jahre 1879 verstaatlicht worden waren. Die deutsche<lb/>
Eisenindustrie entfaltete sich hierdurch zu hoher Blüte und stattete<lb/>
der weisen und wohlwollenden Reichsregierung ihren Dank dadurch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[983/0999]
Deutschland (mit Luxemburg).
zölle aufzuheben. Hierfür war aber die deutsche Eisenindustrie, die erst
begonnen hatte sich zeitgemäſs umzugestalten, die durch die politische
Umwälzung sich ganz neuen Aufgaben gegenüber sah, kurz, die erst
in dem Anfang der Entwickelung begriffen war, viel zu schwach. Der
1870 auf die Hälfte (auf 0,50 Mark pro 100 kg) herabgesetzte Roh-
eisenzoll wurde am 1. Oktober 1873 ganz aufgehoben. Diese Maſs-
regel, in Verbindung mit dem wirtschaftlichen Niedergange, war für
die deutsche Hochofenindustrie eine schwere Schädigung. Indem sie
dem billigen englischen Eisen ungehinderten Eingang verschaffte,
zwang sie die deutschen Hüttenbesitzer, ihr Roheisen zu Preisen zu
verkaufen, die verlustbringend waren. Noch verderblicher war die
vom deutschen Reichstag am 7. Juli 1873 beschlossene Aufhebung
der Zölle auf Schmiedeeisen am 1. Januar 1877. Sie führte einen
traurigen Notstand der deutschen Eisenindustrie herbei, aus dem nur
fremde Länder, Belgien und besonders Groſsbritannien, einen Vorteil
zogen.
Der deutsche Reichstag verhielt sich ablehnend gegen die Klagen
und Bitten der Eisenindustriellen. Die Hülfe kam durch Fürst
Bismarck, der, obgleich auch in dem falschen Idealismus des Frei-
handels aufgewachsen und befangen, ein viel zu klarer Realpolitiker
war, um nicht die schädigende Wirkung der Aufhebung der Eisenzölle
und die Notlage der Eisenindustrie zu erkennen. Er ordnete deshalb
im Jahre 1878 eine Enquete zur Untersuchung der Lage der deutschen
Eisenindustrie an. Auf Grund dieser Enquete wurden die Eisenzölle
am 24. Juli 1879 wieder eingeführt und zwar betrug der „Schutzzoll“,
wie er von den Freihändlern genannt wurde, auf Roheisen 1 Mark,
auf Schweiſs- und Fluſseisen 2,50 Mark pro 100 kg. Mit dieser Wieder-
einführung der Eisenzölle begann ein wichtiger Umschwung in der
Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches, zum Segen der gesamten
Industrie, ganz besonders der Eisenindustrie. Der Staat erkannte es
mehr und mehr als seine Pflicht, das deutsche Eisengewerbe auch
dadurch zu unterstützen, daſs er seinen Bedarf im Inlande deckte und
nicht mehr wie früher aus Vorurteil das Ausland bevorzugte. Hierzu
waren Reich und Einzelstaaten in steigendem Maſse befähigt, ersteres
durch seinen groſsen Eisenverbrauch für Armee und Flotte, letztere durch
ihre Eisenbahnen, die, nachdem das Reichseisenbahnprojekt Bismarcks
leider gescheitert war, von den Einzelstaaten nach dem Vorbilde
Preuſsens im Jahre 1879 verstaatlicht worden waren. Die deutsche
Eisenindustrie entfaltete sich hierdurch zu hoher Blüte und stattete
der weisen und wohlwollenden Reichsregierung ihren Dank dadurch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 983. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/999>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.