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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Deutschland 1861 bis 1870.
Leben getreten. 1862 zählte man daselbst 25 Eisengiessereien, die
800 Arbeiter beschäftigten und jährlich etwa 3 Millionen Centner
Gusswaren lieferten 1). Ende Mai 1862 wurde das Gussstahlwerk von
Borsig zu Moabit bei Berlin vollendet.

Bemerkenswert war auch die überhandnehmende Verwendung des
Eisens zum Bau der Häuser in Berlin, welche durch die Errichtung
des Achardschen Stiftshauses der französischen Kolonie, bei dem
30 gusseiserne Säulen und 220 eiserne Tragebalken verwendet worden
waren, eingeführt wurde.

Der neue Hochofen der Mathildenhütte bei Harzburg hatte 1869
eine Tagesproduktion von 50000 Pfund.

In den westlichen Provinzen hatte zunächst die Eisenindustrie
des Siegerlandes einen ganz neuen Impuls bekommen durch die
Wichtigkeit, welche das Spiegeleisen für die Bessemerproduktion
plötzlich erlangt hatte. Die Nachfrage wuchs von Jahr zu Jahr.
Siegerländer Spiegeleisen wurde ein Weltartikel. In seiner Verwend-
barkeit für den Bessemerprozess übertraf es alle ähnlichen Produkte
hauptsächlich durch seinen hohen Mangangehalt. Durch die Ausfuhr
von Spiegeleisen und durch die Eröffnung zweier Eisenbahnen, der
Deutz-Giessener und der Ruhr-Siegbahn 1860/61, wurde das ab-
geschlossene Siegerland mit seinen altertümlichen Gewohnheiten plötz-
lich dem Weltverkehr und Welthandel erschlossen. Die eigenartige
Bergwerks- und Hüttenverfassung dieses Gebietes haben wir früher
wiederholt ausführlich geschildert.

Trotz der am 17. Januar 1845 in Preussen eingeführten Gewerbe-
freiheit bestand die monopolistische Beschränkung in dem Eisen-
gewerbe im Siegerlande fort. Jede Hütte durfte ursprünglich nur 62,
jeder Hammer nur 240 Tage im Jahre im Betriebe erhalten werden.
Infolge von Konsolidationen hatten einzelne Hütten ihre Betriebszeit
bis auf 186 Tage ausgedehnt. Nachdem Nassau-Siegen durch den
Wiener Frieden an Preussen gefallen war, wurden durch das preussische
Regulativ vom 20. Juni 1819 die Bestimmungen der Kurbriefe der
Eisenmassenbläser, Stahlmassenbläser, der Eisenschmiede- und Stahl-
schmiedezünfte bestätigt. Eine Erleichterung trat durch die revidierte
Hütten- und Hammerordnung vom 25. Januar 1830 insofern ein, als
die Umwandlung von Hammertagen in Hüttentage gestattet wurde.
Die grossen Beschränkungen, welche diese vererbten Rechte und Ge-
setze der Siegerländer Industrie auferlegten, wurden schmerzlicher

1) Siehe Dürre, Berg- u. Hüttenm. Ztg., 1862, Nr. 1, 3 u. 4.

Deutschland 1861 bis 1870.
Leben getreten. 1862 zählte man daselbst 25 Eisengieſsereien, die
800 Arbeiter beschäftigten und jährlich etwa 3 Millionen Centner
Guſswaren lieferten 1). Ende Mai 1862 wurde das Guſsstahlwerk von
Borsig zu Moabit bei Berlin vollendet.

Bemerkenswert war auch die überhandnehmende Verwendung des
Eisens zum Bau der Häuser in Berlin, welche durch die Errichtung
des Achardschen Stiftshauses der französischen Kolonie, bei dem
30 guſseiserne Säulen und 220 eiserne Tragebalken verwendet worden
waren, eingeführt wurde.

Der neue Hochofen der Mathildenhütte bei Harzburg hatte 1869
eine Tagesproduktion von 50000 Pfund.

In den westlichen Provinzen hatte zunächst die Eisenindustrie
des Siegerlandes einen ganz neuen Impuls bekommen durch die
Wichtigkeit, welche das Spiegeleisen für die Bessemerproduktion
plötzlich erlangt hatte. Die Nachfrage wuchs von Jahr zu Jahr.
Siegerländer Spiegeleisen wurde ein Weltartikel. In seiner Verwend-
barkeit für den Bessemerprozeſs übertraf es alle ähnlichen Produkte
hauptsächlich durch seinen hohen Mangangehalt. Durch die Ausfuhr
von Spiegeleisen und durch die Eröffnung zweier Eisenbahnen, der
Deutz-Gieſsener und der Ruhr-Siegbahn 1860/61, wurde das ab-
geschlossene Siegerland mit seinen altertümlichen Gewohnheiten plötz-
lich dem Weltverkehr und Welthandel erschlossen. Die eigenartige
Bergwerks- und Hüttenverfassung dieses Gebietes haben wir früher
wiederholt ausführlich geschildert.

Trotz der am 17. Januar 1845 in Preuſsen eingeführten Gewerbe-
freiheit bestand die monopolistische Beschränkung in dem Eisen-
gewerbe im Siegerlande fort. Jede Hütte durfte ursprünglich nur 62,
jeder Hammer nur 240 Tage im Jahre im Betriebe erhalten werden.
Infolge von Konsolidationen hatten einzelne Hütten ihre Betriebszeit
bis auf 186 Tage ausgedehnt. Nachdem Nassau-Siegen durch den
Wiener Frieden an Preuſsen gefallen war, wurden durch das preuſsische
Regulativ vom 20. Juni 1819 die Bestimmungen der Kurbriefe der
Eisenmassenbläser, Stahlmassenbläser, der Eisenschmiede- und Stahl-
schmiedezünfte bestätigt. Eine Erleichterung trat durch die revidierte
Hütten- und Hammerordnung vom 25. Januar 1830 insofern ein, als
die Umwandlung von Hammertagen in Hüttentage gestattet wurde.
Die groſsen Beschränkungen, welche diese vererbten Rechte und Ge-
setze der Siegerländer Industrie auferlegten, wurden schmerzlicher

1) Siehe Dürre, Berg- u. Hüttenm. Ztg., 1862, Nr. 1, 3 u. 4.
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[264/0280] Deutschland 1861 bis 1870. Leben getreten. 1862 zählte man daselbst 25 Eisengieſsereien, die 800 Arbeiter beschäftigten und jährlich etwa 3 Millionen Centner Guſswaren lieferten 1). Ende Mai 1862 wurde das Guſsstahlwerk von Borsig zu Moabit bei Berlin vollendet. Bemerkenswert war auch die überhandnehmende Verwendung des Eisens zum Bau der Häuser in Berlin, welche durch die Errichtung des Achardschen Stiftshauses der französischen Kolonie, bei dem 30 guſseiserne Säulen und 220 eiserne Tragebalken verwendet worden waren, eingeführt wurde. Der neue Hochofen der Mathildenhütte bei Harzburg hatte 1869 eine Tagesproduktion von 50000 Pfund. In den westlichen Provinzen hatte zunächst die Eisenindustrie des Siegerlandes einen ganz neuen Impuls bekommen durch die Wichtigkeit, welche das Spiegeleisen für die Bessemerproduktion plötzlich erlangt hatte. Die Nachfrage wuchs von Jahr zu Jahr. Siegerländer Spiegeleisen wurde ein Weltartikel. In seiner Verwend- barkeit für den Bessemerprozeſs übertraf es alle ähnlichen Produkte hauptsächlich durch seinen hohen Mangangehalt. Durch die Ausfuhr von Spiegeleisen und durch die Eröffnung zweier Eisenbahnen, der Deutz-Gieſsener und der Ruhr-Siegbahn 1860/61, wurde das ab- geschlossene Siegerland mit seinen altertümlichen Gewohnheiten plötz- lich dem Weltverkehr und Welthandel erschlossen. Die eigenartige Bergwerks- und Hüttenverfassung dieses Gebietes haben wir früher wiederholt ausführlich geschildert. Trotz der am 17. Januar 1845 in Preuſsen eingeführten Gewerbe- freiheit bestand die monopolistische Beschränkung in dem Eisen- gewerbe im Siegerlande fort. Jede Hütte durfte ursprünglich nur 62, jeder Hammer nur 240 Tage im Jahre im Betriebe erhalten werden. Infolge von Konsolidationen hatten einzelne Hütten ihre Betriebszeit bis auf 186 Tage ausgedehnt. Nachdem Nassau-Siegen durch den Wiener Frieden an Preuſsen gefallen war, wurden durch das preuſsische Regulativ vom 20. Juni 1819 die Bestimmungen der Kurbriefe der Eisenmassenbläser, Stahlmassenbläser, der Eisenschmiede- und Stahl- schmiedezünfte bestätigt. Eine Erleichterung trat durch die revidierte Hütten- und Hammerordnung vom 25. Januar 1830 insofern ein, als die Umwandlung von Hammertagen in Hüttentage gestattet wurde. Die groſsen Beschränkungen, welche diese vererbten Rechte und Ge- setze der Siegerländer Industrie auferlegten, wurden schmerzlicher 1) Siehe Dürre, Berg- u. Hüttenm. Ztg., 1862, Nr. 1, 3 u. 4.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/280>, abgerufen am 01.05.2024.