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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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und Flusseisens 1861 bis 1870.
Vorstellung, dass die gezogenen Kanonen hauptsächlich als Positions-
geschütze für den Fernkampf zu verwenden seien. Infolgedessen
beschoss man sich von beiden Seiten auf grosse, meist zu grosse
Entfernungen mit entsprechend geringem Erfolg.

Die neuen Geschütze hatten in dem Feldzug von 1866 die
grossen Erwartungen, die man auf sie gesetzt hatte, nicht erfüllt.
Infolgedessen erhoben die Gegner der gezogenen Hinterlader wieder
ihre Stimmen, indem sie dies dem System zuschrieben. Auch das
Material wurde angegriffen, weil mehrere der 8 cm-Rohre ohne vorherige
Anzeichen und ohne nachweisbare Fehler zersprungen waren. Es
drohte eine Stockung in der Neubewaffnung der preussischen Artillerie
einzutreten, aber König Wilhelm mit seinem klaren Blick und seinem
richtigen Urteil in militärischen Dingen liess sich nicht irre machen
und befahl die rasche Durchführung der Neubewaffnung der Artillerie,
die er auch auf die reitende Artillerie ausdehnte. Die süddeutschen
Staaten führten ebenfalls die bereits 1865 begonnene Einführung der
gezogenen Gussstahlgeschütze durch. Krupp hatte gefunden, dass
die Ursache des Zerspringens in der Konstruktion des von Preussen
vorgeschriebenen Wesenerschen Doppelkeil-Verschlusses lag. Er
ersetzte diesen durch den von ihm erfundenen Rundkeil, auf den
Krupp am 10. Februar 1865 in England ein Patent genommen hatte.
Seit dem Jahre 1866 übernahm die Kruppsche Fabrik auch die
Fertigstellung der Geschütze für Preussen. In diesem Jahre wurden
im ganzen 1562 Kanonen bei Krupp bestellt.

Für die grossen Küsten- und Marinegeschütze hatte Krupp eine
ähnliche Konstruktion wie Armstrong eingeführt, nur waren es nicht
Eisen-, sondern Stahlcylinder, welche er über das Seelenrohr zog. Es
waren dies die sogenannten Ringkanonen. Diese Konstruktion erhöhte
zugleich durch die Verstärkung der Pulverkammer die Durchschlags-
wirkung der Geschosse. Eine solche Ringkanone war das gewaltige
1000 Pfund-Geschütz, welches 1867 auf der Pariser Weltausstellung
die Bewunderung aller Besucher erregte. Das Geschütz, welches
Fig. 121 (a. f. S.) abgebildet ist, hatte 35,5 cm (14 Zoll) Seelendurch-
messer. Das Seelenrohr wog 40000 Pfund, die Ringlagen zusammen
60000 Pfund. Zu demselben war auch eine stählerne Lafette von
30000 Pfund und ein dazu gehöriger drehbarer Rahmen von 50000 Pfund
konstruiert.

Ausser diesem Riesengeschütz führte Krupp noch eine Anzahl
kleinerer Geschütze verschiedener Konstruktion vor. Obgleich Kaiser
Napoleon seiner Bewunderung der Leistungen Krupps offenen

Beck, Geschichte des Eisens. 15

und Fluſseisens 1861 bis 1870.
Vorstellung, daſs die gezogenen Kanonen hauptsächlich als Positions-
geschütze für den Fernkampf zu verwenden seien. Infolgedessen
beschoſs man sich von beiden Seiten auf groſse, meist zu groſse
Entfernungen mit entsprechend geringem Erfolg.

Die neuen Geschütze hatten in dem Feldzug von 1866 die
groſsen Erwartungen, die man auf sie gesetzt hatte, nicht erfüllt.
Infolgedessen erhoben die Gegner der gezogenen Hinterlader wieder
ihre Stimmen, indem sie dies dem System zuschrieben. Auch das
Material wurde angegriffen, weil mehrere der 8 cm-Rohre ohne vorherige
Anzeichen und ohne nachweisbare Fehler zersprungen waren. Es
drohte eine Stockung in der Neubewaffnung der preuſsischen Artillerie
einzutreten, aber König Wilhelm mit seinem klaren Blick und seinem
richtigen Urteil in militärischen Dingen lieſs sich nicht irre machen
und befahl die rasche Durchführung der Neubewaffnung der Artillerie,
die er auch auf die reitende Artillerie ausdehnte. Die süddeutschen
Staaten führten ebenfalls die bereits 1865 begonnene Einführung der
gezogenen Guſsstahlgeschütze durch. Krupp hatte gefunden, daſs
die Ursache des Zerspringens in der Konstruktion des von Preuſsen
vorgeschriebenen Wesenerschen Doppelkeil-Verschlusses lag. Er
ersetzte diesen durch den von ihm erfundenen Rundkeil, auf den
Krupp am 10. Februar 1865 in England ein Patent genommen hatte.
Seit dem Jahre 1866 übernahm die Kruppsche Fabrik auch die
Fertigstellung der Geschütze für Preuſsen. In diesem Jahre wurden
im ganzen 1562 Kanonen bei Krupp bestellt.

Für die groſsen Küsten- und Marinegeschütze hatte Krupp eine
ähnliche Konstruktion wie Armstrong eingeführt, nur waren es nicht
Eisen-, sondern Stahlcylinder, welche er über das Seelenrohr zog. Es
waren dies die sogenannten Ringkanonen. Diese Konstruktion erhöhte
zugleich durch die Verstärkung der Pulverkammer die Durchschlags-
wirkung der Geschosse. Eine solche Ringkanone war das gewaltige
1000 Pfund-Geschütz, welches 1867 auf der Pariser Weltausstellung
die Bewunderung aller Besucher erregte. Das Geschütz, welches
Fig. 121 (a. f. S.) abgebildet ist, hatte 35,5 cm (14 Zoll) Seelendurch-
messer. Das Seelenrohr wog 40000 Pfund, die Ringlagen zusammen
60000 Pfund. Zu demselben war auch eine stählerne Lafette von
30000 Pfund und ein dazu gehöriger drehbarer Rahmen von 50000 Pfund
konstruiert.

Auſser diesem Riesengeschütz führte Krupp noch eine Anzahl
kleinerer Geschütze verschiedener Konstruktion vor. Obgleich Kaiser
Napoleon seiner Bewunderung der Leistungen Krupps offenen

Beck, Geschichte des Eisens. 15
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[225/0241] und Fluſseisens 1861 bis 1870. Vorstellung, daſs die gezogenen Kanonen hauptsächlich als Positions- geschütze für den Fernkampf zu verwenden seien. Infolgedessen beschoſs man sich von beiden Seiten auf groſse, meist zu groſse Entfernungen mit entsprechend geringem Erfolg. Die neuen Geschütze hatten in dem Feldzug von 1866 die groſsen Erwartungen, die man auf sie gesetzt hatte, nicht erfüllt. Infolgedessen erhoben die Gegner der gezogenen Hinterlader wieder ihre Stimmen, indem sie dies dem System zuschrieben. Auch das Material wurde angegriffen, weil mehrere der 8 cm-Rohre ohne vorherige Anzeichen und ohne nachweisbare Fehler zersprungen waren. Es drohte eine Stockung in der Neubewaffnung der preuſsischen Artillerie einzutreten, aber König Wilhelm mit seinem klaren Blick und seinem richtigen Urteil in militärischen Dingen lieſs sich nicht irre machen und befahl die rasche Durchführung der Neubewaffnung der Artillerie, die er auch auf die reitende Artillerie ausdehnte. Die süddeutschen Staaten führten ebenfalls die bereits 1865 begonnene Einführung der gezogenen Guſsstahlgeschütze durch. Krupp hatte gefunden, daſs die Ursache des Zerspringens in der Konstruktion des von Preuſsen vorgeschriebenen Wesenerschen Doppelkeil-Verschlusses lag. Er ersetzte diesen durch den von ihm erfundenen Rundkeil, auf den Krupp am 10. Februar 1865 in England ein Patent genommen hatte. Seit dem Jahre 1866 übernahm die Kruppsche Fabrik auch die Fertigstellung der Geschütze für Preuſsen. In diesem Jahre wurden im ganzen 1562 Kanonen bei Krupp bestellt. Für die groſsen Küsten- und Marinegeschütze hatte Krupp eine ähnliche Konstruktion wie Armstrong eingeführt, nur waren es nicht Eisen-, sondern Stahlcylinder, welche er über das Seelenrohr zog. Es waren dies die sogenannten Ringkanonen. Diese Konstruktion erhöhte zugleich durch die Verstärkung der Pulverkammer die Durchschlags- wirkung der Geschosse. Eine solche Ringkanone war das gewaltige 1000 Pfund-Geschütz, welches 1867 auf der Pariser Weltausstellung die Bewunderung aller Besucher erregte. Das Geschütz, welches Fig. 121 (a. f. S.) abgebildet ist, hatte 35,5 cm (14 Zoll) Seelendurch- messer. Das Seelenrohr wog 40000 Pfund, die Ringlagen zusammen 60000 Pfund. Zu demselben war auch eine stählerne Lafette von 30000 Pfund und ein dazu gehöriger drehbarer Rahmen von 50000 Pfund konstruiert. Auſser diesem Riesengeschütz führte Krupp noch eine Anzahl kleinerer Geschütze verschiedener Konstruktion vor. Obgleich Kaiser Napoleon seiner Bewunderung der Leistungen Krupps offenen Beck, Geschichte des Eisens. 15

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/241>, abgerufen am 26.04.2024.