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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Flammofenstahlschmelzen.
und 100 Pfund Stahl von früheren Schmelzungen in 700 Pfund Guss-
eisen eingeschmolzen und dann 20 bis 40 Pfund Spiegeleisen (fontes
a facettes) zugesetzt.

Halbstahl (mixed metal) erhält man durch Einschmelzen von
200 Pfund Stahl oder Eisen in 1000 Pfund Gusseisen. Dieses gemischte
Metall ist sehr hart, hämmerbar in der Hitze und zäher (less fragile)
als Gusseisen.

Das dritte Patent der Brüder Martin vom 23. März 1866 bezieht
sich hauptsächlich auf die Verarbeitung der Abfälle der Bessemer-
stahlfabrikation im Martinofen. Diese Abfälle sollen vorgewärmt
in einem Bad von weissem, stahlartigem, strahligem (rubanne) Roh-
eisen, welches den Kohlenstoff wie den Stahl in aufgelöstem Zustand
enthält, eingeschmolzen werden. Das Eintragen geschieht allmählich,
die Mischung durch Rühren. Auch hierbei soll immer nur ein Teil
des Produktes abgestochen werden, indem der andere Teil als Bad für
die folgenden Einsätze dient.

Diese Verwendung des Martinprozesses zur Aufarbeitung der
Abfälle der Bessemerstahlfabrikation, deren Verwendung den grossen
Werken seither oft Kopfzerbrechen gemacht hatte, war von grosser
praktischer Bedeutung und hat viel zur Ausbreitung des Martinver-
fahrens beigetragen.

Die Gebrüder Martin selbst betrieben von Hause aus eine
Gewehrfabrik und ihre Erfindung sollte ihnen nur ein besseres Material
für die Gewehrläufe liefern. Sie erreichten dies auch schon 1865 und
stellten seitdem ununterbrochen guten Stahl für ihre Gewehrläufe
nach ihrem Verfahren dar. Bekannt wurde dasselbe zuerst durch die
Beschreibung von P. E. Martin im Genie industriel vom Juli 1865 1).

In die Öffentlichkeit drang es aber erst durch die Ausstellung in
Paris von 1867, wo es als die wichtigste Neuheit in der Eisenindustrie
Aufsehen erregte und mit dem höchsten Preise ausgezeichnet wurde.
Die Gebrüder Martin erhielten die goldene Medaille für ihr Produkt,
während Siemens die grosse Preismedaille für seinen Ofen und
dessen Anwendung auf die Stahlbereitung erhielt.

Tunner erblickte in dem Martinprozess ein verbessertes Uchatius-
verfahren, wobei die Schmelzung im Flammofen statt im Tiegel
geschieht. Der Betrieb zu Sireuil war bei Eröffnung der Ausstellung
noch der einzige seiner Art. Er hielt sich in ziemlich bescheidenen
Grenzen, indem man nur mit 1500 bis 2000 kg Einsatz arbeitete. Am

1) Deutsch in Dinglers Journal, Bd. 176, S. 310.

Flammofenstahlschmelzen.
und 100 Pfund Stahl von früheren Schmelzungen in 700 Pfund Guſs-
eisen eingeschmolzen und dann 20 bis 40 Pfund Spiegeleisen (fontes
à facettes) zugesetzt.

Halbstahl (mixed metal) erhält man durch Einschmelzen von
200 Pfund Stahl oder Eisen in 1000 Pfund Guſseisen. Dieses gemischte
Metall ist sehr hart, hämmerbar in der Hitze und zäher (less fragile)
als Guſseisen.

Das dritte Patent der Brüder Martin vom 23. März 1866 bezieht
sich hauptsächlich auf die Verarbeitung der Abfälle der Bessemer-
stahlfabrikation im Martinofen. Diese Abfälle sollen vorgewärmt
in einem Bad von weiſsem, stahlartigem, strahligem (rubanné) Roh-
eisen, welches den Kohlenstoff wie den Stahl in aufgelöstem Zustand
enthält, eingeschmolzen werden. Das Eintragen geschieht allmählich,
die Mischung durch Rühren. Auch hierbei soll immer nur ein Teil
des Produktes abgestochen werden, indem der andere Teil als Bad für
die folgenden Einsätze dient.

Diese Verwendung des Martinprozesses zur Aufarbeitung der
Abfälle der Bessemerstahlfabrikation, deren Verwendung den groſsen
Werken seither oft Kopfzerbrechen gemacht hatte, war von groſser
praktischer Bedeutung und hat viel zur Ausbreitung des Martinver-
fahrens beigetragen.

Die Gebrüder Martin selbst betrieben von Hause aus eine
Gewehrfabrik und ihre Erfindung sollte ihnen nur ein besseres Material
für die Gewehrläufe liefern. Sie erreichten dies auch schon 1865 und
stellten seitdem ununterbrochen guten Stahl für ihre Gewehrläufe
nach ihrem Verfahren dar. Bekannt wurde dasselbe zuerst durch die
Beschreibung von P. E. Martin im Génie industriel vom Juli 1865 1).

In die Öffentlichkeit drang es aber erst durch die Ausstellung in
Paris von 1867, wo es als die wichtigste Neuheit in der Eisenindustrie
Aufsehen erregte und mit dem höchsten Preise ausgezeichnet wurde.
Die Gebrüder Martin erhielten die goldene Medaille für ihr Produkt,
während Siemens die groſse Preismedaille für seinen Ofen und
dessen Anwendung auf die Stahlbereitung erhielt.

Tunner erblickte in dem Martinprozeſs ein verbessertes Uchatius-
verfahren, wobei die Schmelzung im Flammofen statt im Tiegel
geschieht. Der Betrieb zu Sireuil war bei Eröffnung der Ausstellung
noch der einzige seiner Art. Er hielt sich in ziemlich bescheidenen
Grenzen, indem man nur mit 1500 bis 2000 kg Einsatz arbeitete. Am

1) Deutsch in Dinglers Journal, Bd. 176, S. 310.
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[176/0192] Flammofenstahlschmelzen. und 100 Pfund Stahl von früheren Schmelzungen in 700 Pfund Guſs- eisen eingeschmolzen und dann 20 bis 40 Pfund Spiegeleisen (fontes à facettes) zugesetzt. Halbstahl (mixed metal) erhält man durch Einschmelzen von 200 Pfund Stahl oder Eisen in 1000 Pfund Guſseisen. Dieses gemischte Metall ist sehr hart, hämmerbar in der Hitze und zäher (less fragile) als Guſseisen. Das dritte Patent der Brüder Martin vom 23. März 1866 bezieht sich hauptsächlich auf die Verarbeitung der Abfälle der Bessemer- stahlfabrikation im Martinofen. Diese Abfälle sollen vorgewärmt in einem Bad von weiſsem, stahlartigem, strahligem (rubanné) Roh- eisen, welches den Kohlenstoff wie den Stahl in aufgelöstem Zustand enthält, eingeschmolzen werden. Das Eintragen geschieht allmählich, die Mischung durch Rühren. Auch hierbei soll immer nur ein Teil des Produktes abgestochen werden, indem der andere Teil als Bad für die folgenden Einsätze dient. Diese Verwendung des Martinprozesses zur Aufarbeitung der Abfälle der Bessemerstahlfabrikation, deren Verwendung den groſsen Werken seither oft Kopfzerbrechen gemacht hatte, war von groſser praktischer Bedeutung und hat viel zur Ausbreitung des Martinver- fahrens beigetragen. Die Gebrüder Martin selbst betrieben von Hause aus eine Gewehrfabrik und ihre Erfindung sollte ihnen nur ein besseres Material für die Gewehrläufe liefern. Sie erreichten dies auch schon 1865 und stellten seitdem ununterbrochen guten Stahl für ihre Gewehrläufe nach ihrem Verfahren dar. Bekannt wurde dasselbe zuerst durch die Beschreibung von P. E. Martin im Génie industriel vom Juli 1865 1). In die Öffentlichkeit drang es aber erst durch die Ausstellung in Paris von 1867, wo es als die wichtigste Neuheit in der Eisenindustrie Aufsehen erregte und mit dem höchsten Preise ausgezeichnet wurde. Die Gebrüder Martin erhielten die goldene Medaille für ihr Produkt, während Siemens die groſse Preismedaille für seinen Ofen und dessen Anwendung auf die Stahlbereitung erhielt. Tunner erblickte in dem Martinprozeſs ein verbessertes Uchatius- verfahren, wobei die Schmelzung im Flammofen statt im Tiegel geschieht. Der Betrieb zu Sireuil war bei Eröffnung der Ausstellung noch der einzige seiner Art. Er hielt sich in ziemlich bescheidenen Grenzen, indem man nur mit 1500 bis 2000 kg Einsatz arbeitete. Am 1) Deutsch in Dinglers Journal, Bd. 176, S. 310.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/192>, abgerufen am 19.04.2024.