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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.

1863 wurden Bessemerschienen bereits vielfach verwendet, wodurch
das Bessemern einen grossen Aufschwung nahm. In diesem Jahr
wurde der Prozess auf den Cyclopswerken in Sheffield eingeführt.

In Frankreich wurden 1863 Bessemeranlagen zu Creuzot und
Rive-de-Gier errichtet.

In Österreich hatte Tunners Aufforderung im Jahre 1861 keinen
unmittelbaren Erfolg gehabt, obgleich der Verein der österreichischen
Eisenindustriellen sich dafür bemühte. Nach der Londoner Aus-
stellung brachten aber Tunners fortgesetzte Anregungen es dahin,
dass Fürst Schwarzenberg sich bereit erklärte, den Prozess auf
einem seiner Werke ausführen zu lassen, und Turrach in Steiermark
dafür bestimmte. Direktor Korzinek in Murau leitete nach Tunners
Angaben die Ausführung. Man entschloss sich zu dem englischen
Verfahren und stellte eine bewegliche Birne auf, die für Chargen von
25 Centner bestimmt war. Zur Winderzeugung diente ein Schieber-
gebläse von Scholz in Wien, das Wind von 11 bis 12 Pfund Pressung
lieferte. Am 23. November 1863 wurden die beiden ersten Probechargen
unter Tunners Leitung erblasen. Die Blasezeit betrug 12 bis
18 Minuten. Man erhielt einen reinen, ziemlich harten Stahl, den
ersten Bessemerstahl Österreichs.

In Preussen trat Dr. H. Wedding ähnlich wie Tunner in Öster-
reich für die Einführung des Bessemerverfahrens ein, dessen Lebens-
fähigkeit für Rheinland und Westfalen und zwar besonders für Roh-
eisen aus Erzen von Siegen, Nassau und dem Soonwald er rechnungs-
mässig nachwies 1). Er empfahl das englische Verfahren mit Konvertern
für 30 Centner. Als Ersatz für Ganister schlug er den sehr feuerfesten
Sandstein von Marienberghausen vor. Nach seinen Angaben kostete
die Anlage mit zwei englischen Konvertern 36730 Thlr., während eine
entsprechende Anlage nach schwedischem System sich auf 20600 Thlr.
berechnete. Die Anlage der Atlaswerke in Sheffield hatte 42000 Thlr.
gekostet. -- Wedding glaubte, dass man nur graues Roheisen im
Konverter mit Vorteil verwenden könne, und dass Kupolöfen zum Um-
schmelzen sich nicht eigneten, weil das Roheisen in denselben nicht
gereinigt, sondern eher verunreinigt würde.

Die Hermannshütte zu Hörde war ausser Krupp die erste Hütte
in Westfalen, welche ein Bessemerwerk anlegte, und dies geschah im
Jahre 1863 nach Dr. H. Weddings Vorschlägen. John Browns
Anlage in Sheffield diente als Vorbild.


1) Siehe Preuss. Zeitschrift etc. IX, S. 232.
Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870.

1863 wurden Bessemerschienen bereits vielfach verwendet, wodurch
das Bessemern einen groſsen Aufschwung nahm. In diesem Jahr
wurde der Prozeſs auf den Cyclopswerken in Sheffield eingeführt.

In Frankreich wurden 1863 Bessemeranlagen zu Creuzot und
Rive-de-Gier errichtet.

In Österreich hatte Tunners Aufforderung im Jahre 1861 keinen
unmittelbaren Erfolg gehabt, obgleich der Verein der österreichischen
Eisenindustriellen sich dafür bemühte. Nach der Londoner Aus-
stellung brachten aber Tunners fortgesetzte Anregungen es dahin,
daſs Fürst Schwarzenberg sich bereit erklärte, den Prozeſs auf
einem seiner Werke ausführen zu lassen, und Turrach in Steiermark
dafür bestimmte. Direktor Korzinek in Murau leitete nach Tunners
Angaben die Ausführung. Man entschloſs sich zu dem englischen
Verfahren und stellte eine bewegliche Birne auf, die für Chargen von
25 Centner bestimmt war. Zur Winderzeugung diente ein Schieber-
gebläse von Scholz in Wien, das Wind von 11 bis 12 Pfund Pressung
lieferte. Am 23. November 1863 wurden die beiden ersten Probechargen
unter Tunners Leitung erblasen. Die Blasezeit betrug 12 bis
18 Minuten. Man erhielt einen reinen, ziemlich harten Stahl, den
ersten Bessemerstahl Österreichs.

In Preuſsen trat Dr. H. Wedding ähnlich wie Tunner in Öster-
reich für die Einführung des Bessemerverfahrens ein, dessen Lebens-
fähigkeit für Rheinland und Westfalen und zwar besonders für Roh-
eisen aus Erzen von Siegen, Nassau und dem Soonwald er rechnungs-
mäſsig nachwies 1). Er empfahl das englische Verfahren mit Konvertern
für 30 Centner. Als Ersatz für Ganister schlug er den sehr feuerfesten
Sandstein von Marienberghausen vor. Nach seinen Angaben kostete
die Anlage mit zwei englischen Konvertern 36730 Thlr., während eine
entsprechende Anlage nach schwedischem System sich auf 20600 Thlr.
berechnete. Die Anlage der Atlaswerke in Sheffield hatte 42000 Thlr.
gekostet. — Wedding glaubte, daſs man nur graues Roheisen im
Konverter mit Vorteil verwenden könne, und daſs Kupolöfen zum Um-
schmelzen sich nicht eigneten, weil das Roheisen in denselben nicht
gereinigt, sondern eher verunreinigt würde.

Die Hermannshütte zu Hörde war auſser Krupp die erste Hütte
in Westfalen, welche ein Bessemerwerk anlegte, und dies geschah im
Jahre 1863 nach Dr. H. Weddings Vorschlägen. John Browns
Anlage in Sheffield diente als Vorbild.


1) Siehe Preuſs. Zeitschrift etc. IX, S. 232.
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[135/0151] Die Fortschritte des Bessemerprozesses 1861 bis 1870. 1863 wurden Bessemerschienen bereits vielfach verwendet, wodurch das Bessemern einen groſsen Aufschwung nahm. In diesem Jahr wurde der Prozeſs auf den Cyclopswerken in Sheffield eingeführt. In Frankreich wurden 1863 Bessemeranlagen zu Creuzot und Rive-de-Gier errichtet. In Österreich hatte Tunners Aufforderung im Jahre 1861 keinen unmittelbaren Erfolg gehabt, obgleich der Verein der österreichischen Eisenindustriellen sich dafür bemühte. Nach der Londoner Aus- stellung brachten aber Tunners fortgesetzte Anregungen es dahin, daſs Fürst Schwarzenberg sich bereit erklärte, den Prozeſs auf einem seiner Werke ausführen zu lassen, und Turrach in Steiermark dafür bestimmte. Direktor Korzinek in Murau leitete nach Tunners Angaben die Ausführung. Man entschloſs sich zu dem englischen Verfahren und stellte eine bewegliche Birne auf, die für Chargen von 25 Centner bestimmt war. Zur Winderzeugung diente ein Schieber- gebläse von Scholz in Wien, das Wind von 11 bis 12 Pfund Pressung lieferte. Am 23. November 1863 wurden die beiden ersten Probechargen unter Tunners Leitung erblasen. Die Blasezeit betrug 12 bis 18 Minuten. Man erhielt einen reinen, ziemlich harten Stahl, den ersten Bessemerstahl Österreichs. In Preuſsen trat Dr. H. Wedding ähnlich wie Tunner in Öster- reich für die Einführung des Bessemerverfahrens ein, dessen Lebens- fähigkeit für Rheinland und Westfalen und zwar besonders für Roh- eisen aus Erzen von Siegen, Nassau und dem Soonwald er rechnungs- mäſsig nachwies 1). Er empfahl das englische Verfahren mit Konvertern für 30 Centner. Als Ersatz für Ganister schlug er den sehr feuerfesten Sandstein von Marienberghausen vor. Nach seinen Angaben kostete die Anlage mit zwei englischen Konvertern 36730 Thlr., während eine entsprechende Anlage nach schwedischem System sich auf 20600 Thlr. berechnete. Die Anlage der Atlaswerke in Sheffield hatte 42000 Thlr. gekostet. — Wedding glaubte, daſs man nur graues Roheisen im Konverter mit Vorteil verwenden könne, und daſs Kupolöfen zum Um- schmelzen sich nicht eigneten, weil das Roheisen in denselben nicht gereinigt, sondern eher verunreinigt würde. Die Hermannshütte zu Hörde war auſser Krupp die erste Hütte in Westfalen, welche ein Bessemerwerk anlegte, und dies geschah im Jahre 1863 nach Dr. H. Weddings Vorschlägen. John Browns Anlage in Sheffield diente als Vorbild. 1) Siehe Preuſs. Zeitschrift etc. IX, S. 232.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/151>, abgerufen am 29.03.2024.