dass die Mehrkosten des Thomasierens durch das teurere Futter und den Abbrand sich um 1 Gulden (Mark 1,70) pro Tonne höher stellten als das Bessemern, um so viel müsste also das Roheisen zum mindesten billiger sein.
Nordösterreich besass mehr phosphorhaltige Erze und so erblühte hier erst das Thomas-, dann das basische Martinverfahren, was nach und nach zu einer Verschiebung der Erzeugung und zu einer Mehr- produktion der nördlichen gegenüber der südlichen Gruppe führte. Unter dieser Verschiebung litt am meisten die oberösterreichische Kleineisenindustrie, welche noch den handwerksmässigen Betrieb bei- behalten hatte und gewohnheitsmässig auf den Bezug des vortrefflichen steierischen Holzkohlen-Frischeisens und Stahls eingerichtet war. Die Zahl der Kleinmeister, welche die mannigfaltigen Eisen- und Stahl- waren lieferten, war eine überaus grosse. 1880 zählte man 3127 Betriebe, wovon 532 auf das Gebiet der Stadt Steyr entfielen. Dennoch hatte sich die Zahl der Betriebe vermindert, denn 1860 gab es deren in der Stadt Steyr noch 783, während man 1880 in der Stadt nur 504 zählte. Hochöfen gab es in Oberösterreich keine, dagegen hatte die Innerberger Hauptgewerkschaft ein bedeutendes Walz- und Hammer- werk zu Reichraming, das 1880 1120 Tonnen steyrisches Roheisen verarbeitete, und Hammerwerke zu Kleinreifling und Weyer. Früher hatten die Eisen- und Stahlwaren aus dem vorzüglichen Eisen und Stahl der Alpenländer gewissermassen ein Monopol. Durch die Fluss- stahlfabrikation hatte sich das wesentlich geändert. Es wurde an sehr vielen Orten guter Flussstahl, der für Kleineisenzeug, für Messer- waren, Sensen, Feilen u. s. w. geeignet war, hergestellt, und diese Fabri- kation war deshalb nicht mehr so wie früher von den Gebieten, aus deren Erzen Qualitätseisen hergestellt wurde, abhängig. Hieraus erwuchs den alten Betriebsstätten eine bedeutende Konkurrenz. Rem- scheid und Solingen hatten sich den neuen Verhältnissen rascher angepasst, die Handarbeit vielfach durch Maschinenbetrieb ersetzt und lieferten ihre guten und billigen Waren nach Österreich. Zum Fabrikbetrieb konnte man sich hier nicht aufschwingen, dazu fehlte es auch an Kapital und die genossenschaftliche Arbeit litt durch den Zerfall der alten Zünfte. Die Handarbeiter waren in Ab- hängigkeit von den Händlern, ihr Verdienst war gering, es fehlte der Nachwuchs. Dabei war der einzelne oft nicht imstande, ein Stück fertig zu machen, indem sich eine weitgehende Arbeitsteilung aus- gebildet hatte, so dass ein Arbeiter meist nur lernte, einen Teil eines Stückes anzufertigen. Es wurde viel beraten und versucht, um dem
Österreich-Ungarn.
daſs die Mehrkosten des Thomasierens durch das teurere Futter und den Abbrand sich um 1 Gulden (Mark 1,70) pro Tonne höher stellten als das Bessemern, um so viel müſste also das Roheisen zum mindesten billiger sein.
Nordösterreich besaſs mehr phosphorhaltige Erze und so erblühte hier erst das Thomas-, dann das basische Martinverfahren, was nach und nach zu einer Verschiebung der Erzeugung und zu einer Mehr- produktion der nördlichen gegenüber der südlichen Gruppe führte. Unter dieser Verschiebung litt am meisten die oberösterreichische Kleineisenindustrie, welche noch den handwerksmäſsigen Betrieb bei- behalten hatte und gewohnheitsmäſsig auf den Bezug des vortrefflichen steierischen Holzkohlen-Frischeisens und Stahls eingerichtet war. Die Zahl der Kleinmeister, welche die mannigfaltigen Eisen- und Stahl- waren lieferten, war eine überaus groſse. 1880 zählte man 3127 Betriebe, wovon 532 auf das Gebiet der Stadt Steyr entfielen. Dennoch hatte sich die Zahl der Betriebe vermindert, denn 1860 gab es deren in der Stadt Steyr noch 783, während man 1880 in der Stadt nur 504 zählte. Hochöfen gab es in Oberösterreich keine, dagegen hatte die Innerberger Hauptgewerkschaft ein bedeutendes Walz- und Hammer- werk zu Reichraming, das 1880 1120 Tonnen steyrisches Roheisen verarbeitete, und Hammerwerke zu Kleinreifling und Weyer. Früher hatten die Eisen- und Stahlwaren aus dem vorzüglichen Eisen und Stahl der Alpenländer gewissermaſsen ein Monopol. Durch die Fluſs- stahlfabrikation hatte sich das wesentlich geändert. Es wurde an sehr vielen Orten guter Fluſsstahl, der für Kleineisenzeug, für Messer- waren, Sensen, Feilen u. s. w. geeignet war, hergestellt, und diese Fabri- kation war deshalb nicht mehr so wie früher von den Gebieten, aus deren Erzen Qualitätseisen hergestellt wurde, abhängig. Hieraus erwuchs den alten Betriebsstätten eine bedeutende Konkurrenz. Rem- scheid und Solingen hatten sich den neuen Verhältnissen rascher angepaſst, die Handarbeit vielfach durch Maschinenbetrieb ersetzt und lieferten ihre guten und billigen Waren nach Österreich. Zum Fabrikbetrieb konnte man sich hier nicht aufschwingen, dazu fehlte es auch an Kapital und die genossenschaftliche Arbeit litt durch den Zerfall der alten Zünfte. Die Handarbeiter waren in Ab- hängigkeit von den Händlern, ihr Verdienst war gering, es fehlte der Nachwuchs. Dabei war der einzelne oft nicht imstande, ein Stück fertig zu machen, indem sich eine weitgehende Arbeitsteilung aus- gebildet hatte, so daſs ein Arbeiter meist nur lernte, einen Teil eines Stückes anzufertigen. Es wurde viel beraten und versucht, um dem
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Österreich-Ungarn.
daſs die Mehrkosten des Thomasierens durch das teurere Futter und
den Abbrand sich um 1 Gulden (Mark 1,70) pro Tonne höher stellten
als das Bessemern, um so viel müſste also das Roheisen zum mindesten
billiger sein.
Nordösterreich besaſs mehr phosphorhaltige Erze und so erblühte
hier erst das Thomas-, dann das basische Martinverfahren, was nach
und nach zu einer Verschiebung der Erzeugung und zu einer Mehr-
produktion der nördlichen gegenüber der südlichen Gruppe führte.
Unter dieser Verschiebung litt am meisten die oberösterreichische
Kleineisenindustrie, welche noch den handwerksmäſsigen Betrieb bei-
behalten hatte und gewohnheitsmäſsig auf den Bezug des vortrefflichen
steierischen Holzkohlen-Frischeisens und Stahls eingerichtet war. Die
Zahl der Kleinmeister, welche die mannigfaltigen Eisen- und Stahl-
waren lieferten, war eine überaus groſse. 1880 zählte man 3127
Betriebe, wovon 532 auf das Gebiet der Stadt Steyr entfielen.
Dennoch hatte sich die Zahl der Betriebe vermindert, denn 1860 gab es
deren in der Stadt Steyr noch 783, während man 1880 in der Stadt nur
504 zählte. Hochöfen gab es in Oberösterreich keine, dagegen hatte die
Innerberger Hauptgewerkschaft ein bedeutendes Walz- und Hammer-
werk zu Reichraming, das 1880 1120 Tonnen steyrisches Roheisen
verarbeitete, und Hammerwerke zu Kleinreifling und Weyer. Früher
hatten die Eisen- und Stahlwaren aus dem vorzüglichen Eisen und
Stahl der Alpenländer gewissermaſsen ein Monopol. Durch die Fluſs-
stahlfabrikation hatte sich das wesentlich geändert. Es wurde an
sehr vielen Orten guter Fluſsstahl, der für Kleineisenzeug, für Messer-
waren, Sensen, Feilen u. s. w. geeignet war, hergestellt, und diese Fabri-
kation war deshalb nicht mehr so wie früher von den Gebieten, aus
deren Erzen Qualitätseisen hergestellt wurde, abhängig. Hieraus
erwuchs den alten Betriebsstätten eine bedeutende Konkurrenz. Rem-
scheid und Solingen hatten sich den neuen Verhältnissen rascher
angepaſst, die Handarbeit vielfach durch Maschinenbetrieb ersetzt
und lieferten ihre guten und billigen Waren nach Österreich.
Zum Fabrikbetrieb konnte man sich hier nicht aufschwingen, dazu
fehlte es auch an Kapital und die genossenschaftliche Arbeit litt
durch den Zerfall der alten Zünfte. Die Handarbeiter waren in Ab-
hängigkeit von den Händlern, ihr Verdienst war gering, es fehlte der
Nachwuchs. Dabei war der einzelne oft nicht imstande, ein Stück
fertig zu machen, indem sich eine weitgehende Arbeitsteilung aus-
gebildet hatte, so daſs ein Arbeiter meist nur lernte, einen Teil eines
Stückes anzufertigen. Es wurde viel beraten und versucht, um dem
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 1151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/1167>, abgerufen am 23.11.2024.
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