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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Henry Bessemer und seine Erfindung.
ein Wasserrad betriebene Gebläse gestattete keine weitere Erhöhung
der Pressung. Der englische Ingenieur reiste ab. Göransons Ver-
suche, durch noch engere Düsen und kleinere Chargen mehr zu er-
reichen, waren ebenfalls vergeblich. Die Sache sah recht hoffnungslos
aus, bis Göranson, gegen die Meinung aller Ratgeber, den Versuch
machte, die Pressung zu vermindern und das Windquantum zu er-
höhen. Zu diesem Zwecke ordnete er alle 12 Düsen in einer Reihe
am Boden an und vergrösserte ihre Mündungen auf 7/8 Zoll. Der
Erfolg war überraschend. Er erhielt ein warmes, flüssiges Metall, von
dem sich die Schlacke schön abschied, und das beim Ausgiessen ruhig
floss. Die Blöcke waren ganz rein und schlackenfrei und liessen sich
sehr gut ausschmieden. Die erste Charge nach diesem Verfahren
wurde am 18. Juli 1858 erblasen. Seitdem war das Bessemern in
Schweden fest begründet. 15 Tonnen von diesem Stahl schickte
Göranson an das Stahlwerk von Bessemer & Komp. in Sheffield,
wo es sich als ein vorzügliches Material erwies, das sich zu Messern,
Scheren, Rasiermessern, Werkzeugen und Blechen verarbeiten liess.

Während Bessemer diesen ersten Triumph in Schweden feierte,
wurden in Schottland auf Coats Eisenwerken bei Glasgow ebenfalls
Versuche im grossen gemacht, die aber fehlschlugen. Dr. Stevenson
Macadam
hat darüber in der Royal Scotsh Society of Arts Bericht
erstattet 1). In dem Versuchsofen zu Dundyvan wurden 13 Ctr. 36 Pfd.
Roheisen Nr. 2 mit kaltem Wind und 15 Pfund Pressung in 89 Minuten
gar geblasen. Man erhielt 3 Ctr. 86 Pfd. entkohltes und 1 Ctr. 96 Pfd.
übergelaufenes Eisen. In dem darauf auf Coats Eisenwerk erbauten
runden Ofen wurden 7 Ctr. Roheisen mit 12 Pfd. Pressung, die aber
bis auf 5 Pfd. sank, in 30 Minuten verblasen. Das Eisen war, wie das
von Dundyvan, kaltbrüchig. Macadam kam zu dem Schluss, dass
ein gewöhnliches Feineisenfeuer dieselbe Wirkung habe, wie einer
von Bessemers Öfen, dass es gar nicht möglich sei, durch diesen
Prozess die fremden Substanzen aus dem Roheisen abzuscheiden, und
dass er sich höchstens als Vorbereitung für den Puddelprozess empfehle.

Um dieselbe Zeit sprach sich dagegen Tunner in Österreich schon
ganz entschieden für die Bedeutung, Neuheit und Durchführbarkeit
des Bessemerprozesses aus und sagte bestimmt voraus, dass durch
denselben früher oder später eine grosse Reform in der Praxis des
Eisenhüttenwesens herbeigeführt werde 2).


1) Siehe Mechanics Magazine 1857, Nr. 1746; Österreich. Zeitschr. V, S. 350.
2) Tunners Jahrbuch 1857, V, S. 256.

Henry Bessemer und seine Erfindung.
ein Wasserrad betriebene Gebläse gestattete keine weitere Erhöhung
der Pressung. Der englische Ingenieur reiste ab. Göransons Ver-
suche, durch noch engere Düsen und kleinere Chargen mehr zu er-
reichen, waren ebenfalls vergeblich. Die Sache sah recht hoffnungslos
aus, bis Göranson, gegen die Meinung aller Ratgeber, den Versuch
machte, die Pressung zu vermindern und das Windquantum zu er-
höhen. Zu diesem Zwecke ordnete er alle 12 Düsen in einer Reihe
am Boden an und vergröſserte ihre Mündungen auf ⅞ Zoll. Der
Erfolg war überraschend. Er erhielt ein warmes, flüssiges Metall, von
dem sich die Schlacke schön abschied, und das beim Ausgieſsen ruhig
floſs. Die Blöcke waren ganz rein und schlackenfrei und lieſsen sich
sehr gut ausschmieden. Die erste Charge nach diesem Verfahren
wurde am 18. Juli 1858 erblasen. Seitdem war das Bessemern in
Schweden fest begründet. 15 Tonnen von diesem Stahl schickte
Göranson an das Stahlwerk von Bessemer & Komp. in Sheffield,
wo es sich als ein vorzügliches Material erwies, das sich zu Messern,
Scheren, Rasiermessern, Werkzeugen und Blechen verarbeiten lieſs.

Während Bessemer diesen ersten Triumph in Schweden feierte,
wurden in Schottland auf Coats Eisenwerken bei Glasgow ebenfalls
Versuche im groſsen gemacht, die aber fehlschlugen. Dr. Stevenson
Macadam
hat darüber in der Royal Scotsh Society of Arts Bericht
erstattet 1). In dem Versuchsofen zu Dundyvan wurden 13 Ctr. 36 Pfd.
Roheisen Nr. 2 mit kaltem Wind und 15 Pfund Pressung in 89 Minuten
gar geblasen. Man erhielt 3 Ctr. 86 Pfd. entkohltes und 1 Ctr. 96 Pfd.
übergelaufenes Eisen. In dem darauf auf Coats Eisenwerk erbauten
runden Ofen wurden 7 Ctr. Roheisen mit 12 Pfd. Pressung, die aber
bis auf 5 Pfd. sank, in 30 Minuten verblasen. Das Eisen war, wie das
von Dundyvan, kaltbrüchig. Macadam kam zu dem Schluſs, daſs
ein gewöhnliches Feineisenfeuer dieselbe Wirkung habe, wie einer
von Bessemers Öfen, daſs es gar nicht möglich sei, durch diesen
Prozeſs die fremden Substanzen aus dem Roheisen abzuscheiden, und
daſs er sich höchstens als Vorbereitung für den Puddelprozeſs empfehle.

Um dieselbe Zeit sprach sich dagegen Tunner in Österreich schon
ganz entschieden für die Bedeutung, Neuheit und Durchführbarkeit
des Bessemerprozesses aus und sagte bestimmt voraus, daſs durch
denselben früher oder später eine groſse Reform in der Praxis des
Eisenhüttenwesens herbeigeführt werde 2).


1) Siehe Mechanics Magazine 1857, Nr. 1746; Österreich. Zeitschr. V, S. 350.
2) Tunners Jahrbuch 1857, V, S. 256.
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[935/0951] Henry Bessemer und seine Erfindung. ein Wasserrad betriebene Gebläse gestattete keine weitere Erhöhung der Pressung. Der englische Ingenieur reiste ab. Göransons Ver- suche, durch noch engere Düsen und kleinere Chargen mehr zu er- reichen, waren ebenfalls vergeblich. Die Sache sah recht hoffnungslos aus, bis Göranson, gegen die Meinung aller Ratgeber, den Versuch machte, die Pressung zu vermindern und das Windquantum zu er- höhen. Zu diesem Zwecke ordnete er alle 12 Düsen in einer Reihe am Boden an und vergröſserte ihre Mündungen auf ⅞ Zoll. Der Erfolg war überraschend. Er erhielt ein warmes, flüssiges Metall, von dem sich die Schlacke schön abschied, und das beim Ausgieſsen ruhig floſs. Die Blöcke waren ganz rein und schlackenfrei und lieſsen sich sehr gut ausschmieden. Die erste Charge nach diesem Verfahren wurde am 18. Juli 1858 erblasen. Seitdem war das Bessemern in Schweden fest begründet. 15 Tonnen von diesem Stahl schickte Göranson an das Stahlwerk von Bessemer & Komp. in Sheffield, wo es sich als ein vorzügliches Material erwies, das sich zu Messern, Scheren, Rasiermessern, Werkzeugen und Blechen verarbeiten lieſs. Während Bessemer diesen ersten Triumph in Schweden feierte, wurden in Schottland auf Coats Eisenwerken bei Glasgow ebenfalls Versuche im groſsen gemacht, die aber fehlschlugen. Dr. Stevenson Macadam hat darüber in der Royal Scotsh Society of Arts Bericht erstattet 1). In dem Versuchsofen zu Dundyvan wurden 13 Ctr. 36 Pfd. Roheisen Nr. 2 mit kaltem Wind und 15 Pfund Pressung in 89 Minuten gar geblasen. Man erhielt 3 Ctr. 86 Pfd. entkohltes und 1 Ctr. 96 Pfd. übergelaufenes Eisen. In dem darauf auf Coats Eisenwerk erbauten runden Ofen wurden 7 Ctr. Roheisen mit 12 Pfd. Pressung, die aber bis auf 5 Pfd. sank, in 30 Minuten verblasen. Das Eisen war, wie das von Dundyvan, kaltbrüchig. Macadam kam zu dem Schluſs, daſs ein gewöhnliches Feineisenfeuer dieselbe Wirkung habe, wie einer von Bessemers Öfen, daſs es gar nicht möglich sei, durch diesen Prozeſs die fremden Substanzen aus dem Roheisen abzuscheiden, und daſs er sich höchstens als Vorbereitung für den Puddelprozeſs empfehle. Um dieselbe Zeit sprach sich dagegen Tunner in Österreich schon ganz entschieden für die Bedeutung, Neuheit und Durchführbarkeit des Bessemerprozesses aus und sagte bestimmt voraus, daſs durch denselben früher oder später eine groſse Reform in der Praxis des Eisenhüttenwesens herbeigeführt werde 2). 1) Siehe Mechanics Magazine 1857, Nr. 1746; Österreich. Zeitschr. V, S. 350. 2) Tunners Jahrbuch 1857, V, S. 256.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 935. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/951>, abgerufen am 23.11.2024.