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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Henry Bessemer und seine Erfindung.
stellte, bestand aus einem Blechcylinder, der oben und unten geschlossen
und mit feuerfesten Stourbridge-Ziegeln von 114 mm Dicke ausgemauert
war. Er hatte einen 3 Fuss hohen Schacht, ähnlich einem Kupol-
ofen, 2 Zoll über dem Boden befanden sich Formen von 3/8 Zoll
Weite; in diese trat der Wind durch sechs bewegliche Röhren aus
dem ringförmigen, gusseisernen Windkasten, der den Ofen umgab,
ein. Auf der einen Seite befand sich eine Öffnung zum Einleiten des
flüssigen Eisens, auf der anderen Seite eine Abstichöffnung, die mit
einem Lehmpfropf verschlossen war. Er empfahl später den Ofen so
gross zu machen, dass er 20 bis 100 Ctr. Eisen aufnehmen könne.
Der Gebläsewind müsse eine Pressung von 8 bis 10 Pfund auf den
Quadratzoll haben. Der Ofen wurde erst gut vorgewärmt, alsdann
der Wind angelassen, ehe man das Eisen einlaufen liess, damit dieses
nicht in die Formen dringe.
Alsbald begann ein heftiges Auf-
kochen mit starker Flamme und
Funkensprühen. Dies dauerte 15
bis 20 Minuten. Hierbei wurde
der ungebundene Kohlenstoff
(Graphit) ganz, der gebundene
teilweise zerstört. Die Schlacken-
eruption hielt 5 bis 6 Minuten
lang an. Die durch die Ver-
brennung des Kohlenstoffs ent-
wickelte Wärme erhöhte die
Temperatur der Schmelzmasse
so, dass auch ein Teil des Eisens
zu Oxyd verbrannte, welches
[Abbildung] Fig. 314.
schmolz und sich mit den Erden verschlackte. Doch betrug der Eisen-
verlust nach Bessemers Angabe nur 12 Proz., während er sich bei
dem gebräuchlichen Verfahren auf 18 Proz. belaufe. An der hellen
Flamme erkenne der Arbeiter das Ende des Prozesses, der bei 60
bis 100 Ctr. Roheiseneinsatz 30 bis 35 Minuten dauere. Am wunder-
lichsten sei die grosse Hitze, die durch das Hindurchblasen der Luft
entstehe. Das entkohlte Metall sei durchaus gleichartig. Der Prozess
eigne sich ganz besonders zur Darstellung grosser Massen von Stahl
oder Stabeisen. Das Stabeisen zeige ganz dasselbe Verhalten wie der
Gussstahl, indem es sich wie dieses giessen lasse und ein gleichförmiges
Produkt gäbe. Durch Unterbrechung des Prozesses könne man jede
Art von Stahl erhalten.


Henry Bessemer und seine Erfindung.
stellte, bestand aus einem Blechcylinder, der oben und unten geschlossen
und mit feuerfesten Stourbridge-Ziegeln von 114 mm Dicke ausgemauert
war. Er hatte einen 3 Fuſs hohen Schacht, ähnlich einem Kupol-
ofen, 2 Zoll über dem Boden befanden sich Formen von ⅜ Zoll
Weite; in diese trat der Wind durch sechs bewegliche Röhren aus
dem ringförmigen, guſseisernen Windkasten, der den Ofen umgab,
ein. Auf der einen Seite befand sich eine Öffnung zum Einleiten des
flüssigen Eisens, auf der anderen Seite eine Abstichöffnung, die mit
einem Lehmpfropf verschlossen war. Er empfahl später den Ofen so
groſs zu machen, daſs er 20 bis 100 Ctr. Eisen aufnehmen könne.
Der Gebläsewind müsse eine Pressung von 8 bis 10 Pfund auf den
Quadratzoll haben. Der Ofen wurde erst gut vorgewärmt, alsdann
der Wind angelassen, ehe man das Eisen einlaufen lieſs, damit dieses
nicht in die Formen dringe.
Alsbald begann ein heftiges Auf-
kochen mit starker Flamme und
Funkensprühen. Dies dauerte 15
bis 20 Minuten. Hierbei wurde
der ungebundene Kohlenstoff
(Graphit) ganz, der gebundene
teilweise zerstört. Die Schlacken-
eruption hielt 5 bis 6 Minuten
lang an. Die durch die Ver-
brennung des Kohlenstoffs ent-
wickelte Wärme erhöhte die
Temperatur der Schmelzmasse
so, daſs auch ein Teil des Eisens
zu Oxyd verbrannte, welches
[Abbildung] Fig. 314.
schmolz und sich mit den Erden verschlackte. Doch betrug der Eisen-
verlust nach Bessemers Angabe nur 12 Proz., während er sich bei
dem gebräuchlichen Verfahren auf 18 Proz. belaufe. An der hellen
Flamme erkenne der Arbeiter das Ende des Prozesses, der bei 60
bis 100 Ctr. Roheiseneinsatz 30 bis 35 Minuten dauere. Am wunder-
lichsten sei die groſse Hitze, die durch das Hindurchblasen der Luft
entstehe. Das entkohlte Metall sei durchaus gleichartig. Der Prozeſs
eigne sich ganz besonders zur Darstellung groſser Massen von Stahl
oder Stabeisen. Das Stabeisen zeige ganz dasselbe Verhalten wie der
Guſsstahl, indem es sich wie dieses gieſsen lasse und ein gleichförmiges
Produkt gäbe. Durch Unterbrechung des Prozesses könne man jede
Art von Stahl erhalten.


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[907/0923] Henry Bessemer und seine Erfindung. stellte, bestand aus einem Blechcylinder, der oben und unten geschlossen und mit feuerfesten Stourbridge-Ziegeln von 114 mm Dicke ausgemauert war. Er hatte einen 3 Fuſs hohen Schacht, ähnlich einem Kupol- ofen, 2 Zoll über dem Boden befanden sich Formen von ⅜ Zoll Weite; in diese trat der Wind durch sechs bewegliche Röhren aus dem ringförmigen, guſseisernen Windkasten, der den Ofen umgab, ein. Auf der einen Seite befand sich eine Öffnung zum Einleiten des flüssigen Eisens, auf der anderen Seite eine Abstichöffnung, die mit einem Lehmpfropf verschlossen war. Er empfahl später den Ofen so groſs zu machen, daſs er 20 bis 100 Ctr. Eisen aufnehmen könne. Der Gebläsewind müsse eine Pressung von 8 bis 10 Pfund auf den Quadratzoll haben. Der Ofen wurde erst gut vorgewärmt, alsdann der Wind angelassen, ehe man das Eisen einlaufen lieſs, damit dieses nicht in die Formen dringe. Alsbald begann ein heftiges Auf- kochen mit starker Flamme und Funkensprühen. Dies dauerte 15 bis 20 Minuten. Hierbei wurde der ungebundene Kohlenstoff (Graphit) ganz, der gebundene teilweise zerstört. Die Schlacken- eruption hielt 5 bis 6 Minuten lang an. Die durch die Ver- brennung des Kohlenstoffs ent- wickelte Wärme erhöhte die Temperatur der Schmelzmasse so, daſs auch ein Teil des Eisens zu Oxyd verbrannte, welches [Abbildung Fig. 314.] schmolz und sich mit den Erden verschlackte. Doch betrug der Eisen- verlust nach Bessemers Angabe nur 12 Proz., während er sich bei dem gebräuchlichen Verfahren auf 18 Proz. belaufe. An der hellen Flamme erkenne der Arbeiter das Ende des Prozesses, der bei 60 bis 100 Ctr. Roheiseneinsatz 30 bis 35 Minuten dauere. Am wunder- lichsten sei die groſse Hitze, die durch das Hindurchblasen der Luft entstehe. Das entkohlte Metall sei durchaus gleichartig. Der Prozeſs eigne sich ganz besonders zur Darstellung groſser Massen von Stahl oder Stabeisen. Das Stabeisen zeige ganz dasselbe Verhalten wie der Guſsstahl, indem es sich wie dieses gieſsen lasse und ein gleichförmiges Produkt gäbe. Durch Unterbrechung des Prozesses könne man jede Art von Stahl erhalten.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 907. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/923>, abgerufen am 23.11.2024.