Ehe Bessemer seinen Vortrag in Cheltenham hielt, war er in Fach- kreisen kaum bekannt, obgleich er seit 1854 mehrere Patente genommen hatte. Auch war sein Hervortreten vor die grosse Öffentlichkeit nicht ganz freiwillig und eigentlich verfrüht. Er hat hierüber an P. Barthel im Jahre 1872 folgende Mitteilung gemacht 1): Vor etwa 17 Jahren wurde meine Aufmerksamkeit auf Verbesserungen in der Eisen- fabrikation gelenkt, um ein besseres Material für Waffen herzustellen 2). Ich machte eine Reihe von Experimenten, die mich über 18 Monate beschäftigten; ich hatte indessen nur geringen Erfolg. Am Ende dieser Periode kam mir zum erstenmal die Idee, ob nicht Roheisen durch Einführung von Luft in die geschmolzene Masse schmiedbar gemacht werden könne. Indessen stellten sich der Ausführung dieses Gedankens viele Schwierigkeiten entgegen. Eine der hauptsächlichsten war die Erzeugung einer genügend hohen Temperatur, um das Roh- eisen längere Zeit in geschmolzenem Zustande zu erhalten; ich konnte anfangs diese Temperaturhöhe mit allen bekannten Mitteln nicht erreichen, bis ich auf experimentellem Wege fand, dass die nötige Temperatur ohne weitere Anwendung von Brennmaterial einfach durch Einleiten atmosphärischer Luft erhalten werden konnte und zwar erhielt ich eine Temperatur, die viel höher war als ich nötig hatte. Nachdem ich mit meinem Teilhaber R. Longsdon sechs bis sieben Monate experimentiert und 3000 bis 4000 £ verlaboriert hatte, nach- dem ich mich ferner 21/2 Jahre fast ausschliesslich mit meiner Idee, ohne besonders günstige Resultate zu erzielen, beschäftigt hatte, wünschte ich auch einmal die Ansicht eines kompetenten Mannes über meine Arbeiten zu hören und ich lud deshalb R. Rennie ein, meine Fabrik zu besichtigen. Er that dies sehr gern und gab mir den Rat, meine ganze Sache vor das Publikum zu bringen. Ich selbst hatte keine Hüttenwerke, sondern befasste mich mit der Herstellung von Bronze. "Was auch Ihre praktischen Schwierigkeiten sein mögen", sagte mir Rennie, "dieselben werden in dem Augenblicke überwunden werden, in dem Sie Ihre wundervolle Erfindung einem praktischen Hüttenmanne vorlegen. Wir haben in vier Tagen eine Versammlung der British Association, kommen Sie und teilen Sie der Gesellschaft Ihr Verfahren mit." Ich that dies und meine Mitteilungen erregten ein grosses Interesse. Das Resultat war, dass mich eine Menge von Eisenindustriellen besuchten und mich fragten, was ich zu thun
1) Siehe deutsche Industriezeitung 1872, S. 315; R. Wagner, Jahresbericht der chemischen Technologie für 1872, S. 88.
2) Genaueres hierüber siehe J. S. Jeans, Steel, p. 43.
Henry Bessemer und seine Erfindung.
Ehe Bessemer seinen Vortrag in Cheltenham hielt, war er in Fach- kreisen kaum bekannt, obgleich er seit 1854 mehrere Patente genommen hatte. Auch war sein Hervortreten vor die groſse Öffentlichkeit nicht ganz freiwillig und eigentlich verfrüht. Er hat hierüber an P. Barthel im Jahre 1872 folgende Mitteilung gemacht 1): Vor etwa 17 Jahren wurde meine Aufmerksamkeit auf Verbesserungen in der Eisen- fabrikation gelenkt, um ein besseres Material für Waffen herzustellen 2). Ich machte eine Reihe von Experimenten, die mich über 18 Monate beschäftigten; ich hatte indessen nur geringen Erfolg. Am Ende dieser Periode kam mir zum erstenmal die Idee, ob nicht Roheisen durch Einführung von Luft in die geschmolzene Masse schmiedbar gemacht werden könne. Indessen stellten sich der Ausführung dieses Gedankens viele Schwierigkeiten entgegen. Eine der hauptsächlichsten war die Erzeugung einer genügend hohen Temperatur, um das Roh- eisen längere Zeit in geschmolzenem Zustande zu erhalten; ich konnte anfangs diese Temperaturhöhe mit allen bekannten Mitteln nicht erreichen, bis ich auf experimentellem Wege fand, daſs die nötige Temperatur ohne weitere Anwendung von Brennmaterial einfach durch Einleiten atmosphärischer Luft erhalten werden konnte und zwar erhielt ich eine Temperatur, die viel höher war als ich nötig hatte. Nachdem ich mit meinem Teilhaber R. Longsdon sechs bis sieben Monate experimentiert und 3000 bis 4000 £ verlaboriert hatte, nach- dem ich mich ferner 2½ Jahre fast ausschlieſslich mit meiner Idee, ohne besonders günstige Resultate zu erzielen, beschäftigt hatte, wünschte ich auch einmal die Ansicht eines kompetenten Mannes über meine Arbeiten zu hören und ich lud deshalb R. Rennie ein, meine Fabrik zu besichtigen. Er that dies sehr gern und gab mir den Rat, meine ganze Sache vor das Publikum zu bringen. Ich selbst hatte keine Hüttenwerke, sondern befaſste mich mit der Herstellung von Bronze. „Was auch Ihre praktischen Schwierigkeiten sein mögen“, sagte mir Rennie, „dieselben werden in dem Augenblicke überwunden werden, in dem Sie Ihre wundervolle Erfindung einem praktischen Hüttenmanne vorlegen. Wir haben in vier Tagen eine Versammlung der British Association, kommen Sie und teilen Sie der Gesellschaft Ihr Verfahren mit.“ Ich that dies und meine Mitteilungen erregten ein groſses Interesse. Das Resultat war, daſs mich eine Menge von Eisenindustriellen besuchten und mich fragten, was ich zu thun
1) Siehe deutsche Industriezeitung 1872, S. 315; R. Wagner, Jahresbericht der chemischen Technologie für 1872, S. 88.
2) Genaueres hierüber siehe J. S. Jeans, Steel, p. 43.
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freiwillig und eigentlich verfrüht. Er hat hierüber an P. Barthel
im Jahre 1872 folgende Mitteilung gemacht 1): Vor etwa 17 Jahren
wurde meine Aufmerksamkeit auf Verbesserungen in der Eisen-
fabrikation gelenkt, um ein besseres Material für Waffen herzustellen 2).
Ich machte eine Reihe von Experimenten, die mich über 18 Monate
beschäftigten; ich hatte indessen nur geringen Erfolg. Am Ende
dieser Periode kam mir zum erstenmal die Idee, ob nicht Roheisen
durch Einführung von Luft in die geschmolzene Masse schmiedbar
gemacht werden könne. Indessen stellten sich der Ausführung dieses
Gedankens viele Schwierigkeiten entgegen. Eine der hauptsächlichsten
war die Erzeugung einer genügend hohen Temperatur, um das Roh-
eisen längere Zeit in geschmolzenem Zustande zu erhalten; ich konnte
anfangs diese Temperaturhöhe mit allen bekannten Mitteln nicht
erreichen, bis ich auf experimentellem Wege fand, daſs die nötige
Temperatur ohne weitere Anwendung von Brennmaterial einfach durch
Einleiten atmosphärischer Luft erhalten werden konnte und zwar
erhielt ich eine Temperatur, die viel höher war als ich nötig hatte.
Nachdem ich mit meinem Teilhaber R. Longsdon sechs bis sieben
Monate experimentiert und 3000 bis 4000 £ verlaboriert hatte, nach-
dem ich mich ferner 2½ Jahre fast ausschlieſslich mit meiner Idee,
ohne besonders günstige Resultate zu erzielen, beschäftigt hatte,
wünschte ich auch einmal die Ansicht eines kompetenten Mannes über
meine Arbeiten zu hören und ich lud deshalb R. Rennie ein, meine
Fabrik zu besichtigen. Er that dies sehr gern und gab mir den Rat,
meine ganze Sache vor das Publikum zu bringen. Ich selbst hatte
keine Hüttenwerke, sondern befaſste mich mit der Herstellung von
Bronze. „Was auch Ihre praktischen Schwierigkeiten sein mögen“,
sagte mir Rennie, „dieselben werden in dem Augenblicke überwunden
werden, in dem Sie Ihre wundervolle Erfindung einem praktischen
Hüttenmanne vorlegen. Wir haben in vier Tagen eine Versammlung
der British Association, kommen Sie und teilen Sie der Gesellschaft
Ihr Verfahren mit.“ Ich that dies und meine Mitteilungen erregten
ein groſses Interesse. Das Resultat war, daſs mich eine Menge von
Eisenindustriellen besuchten und mich fragten, was ich zu thun
1) Siehe deutsche Industriezeitung 1872, S. 315; R. Wagner, Jahresbericht
der chemischen Technologie für 1872, S. 88.
2) Genaueres hierüber siehe J. S. Jeans, Steel, p. 43.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 903. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/919>, abgerufen am 23.11.2024.
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