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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Deutschland 1831 bis 1850.
nichts, die Bildung von Kapitalgesellschaften zu unterstützen, wie es
in Frankreich und namentlich in Belgien geschah. Der Deutsche
hielt jede industrielle Kapitalanlage für ein Lotteriespiel, für halb
verloren von Anbeginn an, dagegen legte er sein Geld mit Behagen
in die unsolidesten ausländischen Staats- und sonstigen Papiere an, die
hohe Zinsen versprachen und im Frankfurter Kursblatt zu finden
waren. Von diesem Übel sind wir ja heute noch nicht ganz frei.
Trotzdem kamen in jener Zeit doch auch in Deutschland nach und
nach grössere industrielle Gesellschaften mit bedeutenden Kapitalien
zusammen, wozu die Eisenbahnen die Veranlassung gaben. Der Bau
von Eisenbahnen erweckte in Deutschland ein grosses allgemeines
Interesse, und der Eisenbahnbau entwickelte sich in Deutschland weit
rascher als in dem reichen Frankreich. Die Regierungen der Bundes-
staaten haben an dem guten Anfange, den das Eisenbahnwesen in
Deutschland nahm, nur ein geringes Verdienst, denn im allgemeinen
verhielten sie sich gegen die Idee von Staatsbahnen ablehnend. Nur
Bayern machte hierin eine rühmliche Ausnahme und das Verdienst da-
für darf wohl von Baader zugeschrieben werden, der schon lange vor
dem grossen Triumph Stephensons für Eisenbahnen nach englischem
Muster mit Wort und Schrift in Bayern gewirkt, und dadurch die
Geister darauf vorbereitet hatte. Es ist kein Zufall, dass in Bayern
die erste Eisenbahn, die Linie Nürnberg-Fürth, und abgesehen von
der etwas älteren kleinen Strecke Braunschweig-Wolfenbüttel (1838),
die erste Staatsbahn von München nach Augsburg (1840) gebaut wurde.

Wie Baader in Bayern, so haben noch andere treffliche weit-
blickende Männer schon früh für den Bau von Eisenbahnen gewirkt
und das Interesse dafür in weitere Kreise getragen; es waren dies be-
sonders die Brüder Friedrich und Gustav Harkort und Friedrich
List
. Ersterer, der bekannte "alte Harkort", hatte bereits am 30. März
1825 in der Zeitschrift "Hermann" einen Aufsatz über Eisenbahnen,
und zwar über Lokomotivbahnen veröffentlicht, der mit den Worten
schloss: "Möge auch im Vaterlande bald die Zeit kommen, wo der
Triumphwagen des Gewerbfleisses mit rauchenden Kolossen bespannt
ist und dem Gemeinsinne den Weg bahnt!"

1827 hatte Harkort dem grossen Minister Stein eine "Denk-
schrift über die Vorteile der Eisenbahnanlage" überreicht, und 1828
bildete sich auf seine Veranlassung die erste Eisenbahn-Actiengesell-
schaft Deutschlands, "um mittelst einer Eisenbahn den Absatz der
Ruhrkohlen nach dem Wupperthale und ins Bergische zu vermitteln,
beziehungsweise die bergische Fabrikgegend wohlfeiler mit Kohlen zu

Deutschland 1831 bis 1850.
nichts, die Bildung von Kapitalgesellschaften zu unterstützen, wie es
in Frankreich und namentlich in Belgien geschah. Der Deutsche
hielt jede industrielle Kapitalanlage für ein Lotteriespiel, für halb
verloren von Anbeginn an, dagegen legte er sein Geld mit Behagen
in die unsolidesten ausländischen Staats- und sonstigen Papiere an, die
hohe Zinsen versprachen und im Frankfurter Kursblatt zu finden
waren. Von diesem Übel sind wir ja heute noch nicht ganz frei.
Trotzdem kamen in jener Zeit doch auch in Deutschland nach und
nach gröſsere industrielle Gesellschaften mit bedeutenden Kapitalien
zusammen, wozu die Eisenbahnen die Veranlassung gaben. Der Bau
von Eisenbahnen erweckte in Deutschland ein groſses allgemeines
Interesse, und der Eisenbahnbau entwickelte sich in Deutschland weit
rascher als in dem reichen Frankreich. Die Regierungen der Bundes-
staaten haben an dem guten Anfange, den das Eisenbahnwesen in
Deutschland nahm, nur ein geringes Verdienst, denn im allgemeinen
verhielten sie sich gegen die Idee von Staatsbahnen ablehnend. Nur
Bayern machte hierin eine rühmliche Ausnahme und das Verdienst da-
für darf wohl von Baader zugeschrieben werden, der schon lange vor
dem groſsen Triumph Stephensons für Eisenbahnen nach englischem
Muster mit Wort und Schrift in Bayern gewirkt, und dadurch die
Geister darauf vorbereitet hatte. Es ist kein Zufall, daſs in Bayern
die erste Eisenbahn, die Linie Nürnberg-Fürth, und abgesehen von
der etwas älteren kleinen Strecke Braunschweig-Wolfenbüttel (1838),
die erste Staatsbahn von München nach Augsburg (1840) gebaut wurde.

Wie Baader in Bayern, so haben noch andere treffliche weit-
blickende Männer schon früh für den Bau von Eisenbahnen gewirkt
und das Interesse dafür in weitere Kreise getragen; es waren dies be-
sonders die Brüder Friedrich und Gustav Harkort und Friedrich
List
. Ersterer, der bekannte „alte Harkort“, hatte bereits am 30. März
1825 in der Zeitschrift „Hermann“ einen Aufsatz über Eisenbahnen,
und zwar über Lokomotivbahnen veröffentlicht, der mit den Worten
schloſs: „Möge auch im Vaterlande bald die Zeit kommen, wo der
Triumphwagen des Gewerbfleiſses mit rauchenden Kolossen bespannt
ist und dem Gemeinsinne den Weg bahnt!“

1827 hatte Harkort dem groſsen Minister Stein eine „Denk-
schrift über die Vorteile der Eisenbahnanlage“ überreicht, und 1828
bildete sich auf seine Veranlassung die erste Eisenbahn-Actiengesell-
schaft Deutschlands, „um mittelst einer Eisenbahn den Absatz der
Ruhrkohlen nach dem Wupperthale und ins Bergische zu vermitteln,
beziehungsweise die bergische Fabrikgegend wohlfeiler mit Kohlen zu

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[692/0708] Deutschland 1831 bis 1850. nichts, die Bildung von Kapitalgesellschaften zu unterstützen, wie es in Frankreich und namentlich in Belgien geschah. Der Deutsche hielt jede industrielle Kapitalanlage für ein Lotteriespiel, für halb verloren von Anbeginn an, dagegen legte er sein Geld mit Behagen in die unsolidesten ausländischen Staats- und sonstigen Papiere an, die hohe Zinsen versprachen und im Frankfurter Kursblatt zu finden waren. Von diesem Übel sind wir ja heute noch nicht ganz frei. Trotzdem kamen in jener Zeit doch auch in Deutschland nach und nach gröſsere industrielle Gesellschaften mit bedeutenden Kapitalien zusammen, wozu die Eisenbahnen die Veranlassung gaben. Der Bau von Eisenbahnen erweckte in Deutschland ein groſses allgemeines Interesse, und der Eisenbahnbau entwickelte sich in Deutschland weit rascher als in dem reichen Frankreich. Die Regierungen der Bundes- staaten haben an dem guten Anfange, den das Eisenbahnwesen in Deutschland nahm, nur ein geringes Verdienst, denn im allgemeinen verhielten sie sich gegen die Idee von Staatsbahnen ablehnend. Nur Bayern machte hierin eine rühmliche Ausnahme und das Verdienst da- für darf wohl von Baader zugeschrieben werden, der schon lange vor dem groſsen Triumph Stephensons für Eisenbahnen nach englischem Muster mit Wort und Schrift in Bayern gewirkt, und dadurch die Geister darauf vorbereitet hatte. Es ist kein Zufall, daſs in Bayern die erste Eisenbahn, die Linie Nürnberg-Fürth, und abgesehen von der etwas älteren kleinen Strecke Braunschweig-Wolfenbüttel (1838), die erste Staatsbahn von München nach Augsburg (1840) gebaut wurde. Wie Baader in Bayern, so haben noch andere treffliche weit- blickende Männer schon früh für den Bau von Eisenbahnen gewirkt und das Interesse dafür in weitere Kreise getragen; es waren dies be- sonders die Brüder Friedrich und Gustav Harkort und Friedrich List. Ersterer, der bekannte „alte Harkort“, hatte bereits am 30. März 1825 in der Zeitschrift „Hermann“ einen Aufsatz über Eisenbahnen, und zwar über Lokomotivbahnen veröffentlicht, der mit den Worten schloſs: „Möge auch im Vaterlande bald die Zeit kommen, wo der Triumphwagen des Gewerbfleiſses mit rauchenden Kolossen bespannt ist und dem Gemeinsinne den Weg bahnt!“ 1827 hatte Harkort dem groſsen Minister Stein eine „Denk- schrift über die Vorteile der Eisenbahnanlage“ überreicht, und 1828 bildete sich auf seine Veranlassung die erste Eisenbahn-Actiengesell- schaft Deutschlands, „um mittelst einer Eisenbahn den Absatz der Ruhrkohlen nach dem Wupperthale und ins Bergische zu vermitteln, beziehungsweise die bergische Fabrikgegend wohlfeiler mit Kohlen zu

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/708>, abgerufen am 11.06.2024.