Dampfkessel würden platzen und die Menschen in Atome zerschmet- tern u. s. w.
Und es war nicht nur die ungebildete Menge, die von so falschen Vorstellungen befangen war. Als Stephenson dem Anwalt des Unternehmens, welcher das Konzessionsgesuch vor dem Parlament vertrat, vertraulich mitteilte, man werde mit der Lokomotive 20 eng- lische Meilen in der Stunde fahren können, erklärte ihm dieser, der Antrag würde rettungslos durchfallen, wenn er so etwas öffentlich sage und die Geschwindigkeit nicht auf ein "vernünftiges" Mass be- schränke. Selbst jeder Ingenieur hätte damals den Gedanken, mit solcher Geschwindigkeit zu fahren, für eine Absurdität erklärt. Stephenson stand allein und verlassen mit seinen Ansichten. Sandars war der einzige, dem er sie vertrauen durfte. Die Presse, die Leute von Fach, alle waren gegen Stephenson und gegen den Gedanken, schneller als 8 bis 9 engl. Meilen in der Stunde fahren zu wollen. Im März 1825 kam das Projekt der Liverpool-Manchester- Eisenbahn vor dem Komitee des Parlamentes zur Verhandlung. Die Opposition war eine grosse und vorzüglich vertreten. George Stephenson musste seine Sache verfechten, dem Sturm von Be- schuldigungen, Übertreibungen, Verdrehungen, Hohn und Spott stand- halten. Er that es -- drei Tage lang -- männlich und fest, getragen von seiner unerschütterlichen Überzeugung. Aber das Interesse der Reichen und die öffentliche Meinung, namentlich die der Fachgenossen, war gegen ihn, und so erlebte er den bitteren Schmerz, dass der An- trag durchfiel. Es dauerte aber nur kurze Zeit, bis ein Umschwung in der öffentlichen Meinung eintrat. Die Eisenbahngesellschaft liess eine neue Linie vermessen, welche die Besitzungen der einflussreichsten Gegner umging und mehrere andere Einwände der Opposition gegen die frühere Linie berücksichtigte und reichte von neuem ein Kon- zessionsgesuch ein. Diesmal ging es sowohl im Komitee als im Plenum mit grosser Majorität durch. Erwähnenswert ist nur noch ein neuer Einwand der Gegner des Projektes. Lord Stanley, der das Elend, welches über das unglückliche Land, durch welches die Eisenbahn ihren Lauf nehmen würde, hereinbrechen müsste, in den schwärzesten Farben schilderte, behauptete auch, die Eisenbahn würde soviel Eisen nötig haben, dass der Preis um mehr als 100 Proz. steigen müsste, dass die Eisenindustrie gar nicht im stande sein würde, soviel Eisen zu erzeugen, und eine vollständige Erschöpfung an Eisen eintreten müsste!
George Stephenson übernahm den Bau. Die Ausführung des- selben ist eine der wichtigsten und glänzendsten Seiten in der Ge-
Die Eisenbahnen bis 1830.
Dampfkessel würden platzen und die Menschen in Atome zerschmet- tern u. s. w.
Und es war nicht nur die ungebildete Menge, die von so falschen Vorstellungen befangen war. Als Stephenson dem Anwalt des Unternehmens, welcher das Konzessionsgesuch vor dem Parlament vertrat, vertraulich mitteilte, man werde mit der Lokomotive 20 eng- lische Meilen in der Stunde fahren können, erklärte ihm dieser, der Antrag würde rettungslos durchfallen, wenn er so etwas öffentlich sage und die Geschwindigkeit nicht auf ein „vernünftiges“ Maſs be- schränke. Selbst jeder Ingenieur hätte damals den Gedanken, mit solcher Geschwindigkeit zu fahren, für eine Absurdität erklärt. Stephenson stand allein und verlassen mit seinen Ansichten. Sandars war der einzige, dem er sie vertrauen durfte. Die Presse, die Leute von Fach, alle waren gegen Stephenson und gegen den Gedanken, schneller als 8 bis 9 engl. Meilen in der Stunde fahren zu wollen. Im März 1825 kam das Projekt der Liverpool-Manchester- Eisenbahn vor dem Komitee des Parlamentes zur Verhandlung. Die Opposition war eine groſse und vorzüglich vertreten. George Stephenson muſste seine Sache verfechten, dem Sturm von Be- schuldigungen, Übertreibungen, Verdrehungen, Hohn und Spott stand- halten. Er that es — drei Tage lang — männlich und fest, getragen von seiner unerschütterlichen Überzeugung. Aber das Interesse der Reichen und die öffentliche Meinung, namentlich die der Fachgenossen, war gegen ihn, und so erlebte er den bitteren Schmerz, daſs der An- trag durchfiel. Es dauerte aber nur kurze Zeit, bis ein Umschwung in der öffentlichen Meinung eintrat. Die Eisenbahngesellschaft lieſs eine neue Linie vermessen, welche die Besitzungen der einfluſsreichsten Gegner umging und mehrere andere Einwände der Opposition gegen die frühere Linie berücksichtigte und reichte von neuem ein Kon- zessionsgesuch ein. Diesmal ging es sowohl im Komitee als im Plenum mit groſser Majorität durch. Erwähnenswert ist nur noch ein neuer Einwand der Gegner des Projektes. Lord Stanley, der das Elend, welches über das unglückliche Land, durch welches die Eisenbahn ihren Lauf nehmen würde, hereinbrechen müſste, in den schwärzesten Farben schilderte, behauptete auch, die Eisenbahn würde soviel Eisen nötig haben, daſs der Preis um mehr als 100 Proz. steigen müſste, daſs die Eisenindustrie gar nicht im stande sein würde, soviel Eisen zu erzeugen, und eine vollständige Erschöpfung an Eisen eintreten müſste!
George Stephenson übernahm den Bau. Die Ausführung des- selben ist eine der wichtigsten und glänzendsten Seiten in der Ge-
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Die Eisenbahnen bis 1830.
Dampfkessel würden platzen und die Menschen in Atome zerschmet-
tern u. s. w.
Und es war nicht nur die ungebildete Menge, die von so falschen
Vorstellungen befangen war. Als Stephenson dem Anwalt des
Unternehmens, welcher das Konzessionsgesuch vor dem Parlament
vertrat, vertraulich mitteilte, man werde mit der Lokomotive 20 eng-
lische Meilen in der Stunde fahren können, erklärte ihm dieser, der
Antrag würde rettungslos durchfallen, wenn er so etwas öffentlich
sage und die Geschwindigkeit nicht auf ein „vernünftiges“ Maſs be-
schränke. Selbst jeder Ingenieur hätte damals den Gedanken, mit
solcher Geschwindigkeit zu fahren, für eine Absurdität erklärt.
Stephenson stand allein und verlassen mit seinen Ansichten.
Sandars war der einzige, dem er sie vertrauen durfte. Die Presse,
die Leute von Fach, alle waren gegen Stephenson und gegen den
Gedanken, schneller als 8 bis 9 engl. Meilen in der Stunde fahren
zu wollen. Im März 1825 kam das Projekt der Liverpool-Manchester-
Eisenbahn vor dem Komitee des Parlamentes zur Verhandlung. Die
Opposition war eine groſse und vorzüglich vertreten. George
Stephenson muſste seine Sache verfechten, dem Sturm von Be-
schuldigungen, Übertreibungen, Verdrehungen, Hohn und Spott stand-
halten. Er that es — drei Tage lang — männlich und fest, getragen
von seiner unerschütterlichen Überzeugung. Aber das Interesse der
Reichen und die öffentliche Meinung, namentlich die der Fachgenossen,
war gegen ihn, und so erlebte er den bitteren Schmerz, daſs der An-
trag durchfiel. Es dauerte aber nur kurze Zeit, bis ein Umschwung
in der öffentlichen Meinung eintrat. Die Eisenbahngesellschaft lieſs
eine neue Linie vermessen, welche die Besitzungen der einfluſsreichsten
Gegner umging und mehrere andere Einwände der Opposition gegen
die frühere Linie berücksichtigte und reichte von neuem ein Kon-
zessionsgesuch ein. Diesmal ging es sowohl im Komitee als im Plenum
mit groſser Majorität durch. Erwähnenswert ist nur noch ein neuer
Einwand der Gegner des Projektes. Lord Stanley, der das Elend,
welches über das unglückliche Land, durch welches die Eisenbahn
ihren Lauf nehmen würde, hereinbrechen müſste, in den schwärzesten
Farben schilderte, behauptete auch, die Eisenbahn würde soviel Eisen
nötig haben, daſs der Preis um mehr als 100 Proz. steigen müſste,
daſs die Eisenindustrie gar nicht im stande sein würde, soviel Eisen zu
erzeugen, und eine vollständige Erschöpfung an Eisen eintreten müſste!
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/318>, abgerufen am 24.11.2024.
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