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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Die Eisenbahnen bis 1830.
bediente. Er stellte durch Experiment fest, was theoretisch schon
lange bekannt war, dass das Mass der Reibung bei jeder Geschwindig-
keit dasselbe bleibt. Er unterschied genau die drei Widerstände, die
Achsenreibung, die Reibung an der Gleitfläche der Schienen und das
Gewicht. Achsenreibung und Gewicht waren leicht zu ermitteln, die
gleitende Reibung nicht, doch fand er, dass dieselbe bei rauhen
Flächen so rasch zunahm, dass der Versuch auf gewöhnlichen Strassen
ihm ganz unausführbar erschien. Er fand, dass eine Steigung von
1/100 schon mehr als 50 Proz. Kraft erforderte. Diese wichtigen That-
sachen dienten ihm zur Richtschnur bei seinen späteren Bahnbauten.
Er erkannte, wie notwendig eine ebene Bahn für den Lokomotivbetrieb
sei. Diese Erkenntnis war sehr wichtig, denn bis dahin hatte man
meist geneigte Bahnen von den Kohlengruben nach dem Flussufer
gebaut und man betrachtete die schiefe Ebene als einen Vorteil, weil
sie Gelegenheit bot, durch die abwärts laufenden beladenen Wagen
die leeren in die Höhe zu ziehen. Wo aber die Lasten in derselben
Richtung auf und ab befördert werden mussten, war dies nicht
anwendbar; in diesem Falle war eine möglichst ebene Bahn die
beste.

Obgleich Stephensons Lokomotive Jahr ein Jahr aus mit dem
besten Erfolge ununterbrochen ihre Lasten auf der Killingworth-Eisen-
bahn beförderte, erregte sie doch merkwürdigerweise nur wenig Inter-
esse, und es dauerte 8 Jahre, ehe eine zweite Dampfbahn für den
Kohlentransport gebaut wurde. Killingworth lag zu sehr ausser der
Welt, George Stephenson blieb der bescheidene Maschinist, und es
kam ihm nicht in den Sinn, für seine Erfindungen Reklame zu machen.
Dagegen dachte er damals zuweilen daran, nach Amerika auszuwandern,
um sich dort auf den Bau von Dampfschiffsmaschinen zu verlegen.
Glücklicherweise wurde hieraus nichts, und sein Verdienst fand seinen
Lohn im eigenen Vaterlande. 1819 beschlossen die Gewerke der
Hetton-Kohlengruben die Anlage einer 8 Meilen langen Eisenbahn
mit Maschinenbetrieb von ihren Bergwerken bei Houghton-le-
Spring in Durham nach dem Verladungsplatz am Flusse Wear. Das
Terrain war hügelig und die Anlage schwierig. George Stephen-
son
wurde mit ihrer Ausführung betraut und führte sie mit der
grössten Sorgfalt aus. Er legte fünf schiefe Ebenen mit stehenden
Maschinen an, den übrigen Betrieb sollten Lokomotiven besorgen.
Am 18. November 1822 wurde die Hetton-Eisenbahn eröffnet und
zwar mit fünf von Stephensons Lokomotiven oder "eisernen
Pferden", wie sie vom Volke genannt wurden. Jede zog einen Zug

Die Eisenbahnen bis 1830.
bediente. Er stellte durch Experiment fest, was theoretisch schon
lange bekannt war, daſs das Maſs der Reibung bei jeder Geschwindig-
keit dasselbe bleibt. Er unterschied genau die drei Widerstände, die
Achsenreibung, die Reibung an der Gleitfläche der Schienen und das
Gewicht. Achsenreibung und Gewicht waren leicht zu ermitteln, die
gleitende Reibung nicht, doch fand er, daſs dieselbe bei rauhen
Flächen so rasch zunahm, daſs der Versuch auf gewöhnlichen Straſsen
ihm ganz unausführbar erschien. Er fand, daſs eine Steigung von
1/100 schon mehr als 50 Proz. Kraft erforderte. Diese wichtigen That-
sachen dienten ihm zur Richtschnur bei seinen späteren Bahnbauten.
Er erkannte, wie notwendig eine ebene Bahn für den Lokomotivbetrieb
sei. Diese Erkenntnis war sehr wichtig, denn bis dahin hatte man
meist geneigte Bahnen von den Kohlengruben nach dem Fluſsufer
gebaut und man betrachtete die schiefe Ebene als einen Vorteil, weil
sie Gelegenheit bot, durch die abwärts laufenden beladenen Wagen
die leeren in die Höhe zu ziehen. Wo aber die Lasten in derselben
Richtung auf und ab befördert werden muſsten, war dies nicht
anwendbar; in diesem Falle war eine möglichst ebene Bahn die
beste.

Obgleich Stephensons Lokomotive Jahr ein Jahr aus mit dem
besten Erfolge ununterbrochen ihre Lasten auf der Killingworth-Eisen-
bahn beförderte, erregte sie doch merkwürdigerweise nur wenig Inter-
esse, und es dauerte 8 Jahre, ehe eine zweite Dampfbahn für den
Kohlentransport gebaut wurde. Killingworth lag zu sehr auſser der
Welt, George Stephenson blieb der bescheidene Maschinist, und es
kam ihm nicht in den Sinn, für seine Erfindungen Reklame zu machen.
Dagegen dachte er damals zuweilen daran, nach Amerika auszuwandern,
um sich dort auf den Bau von Dampfschiffsmaschinen zu verlegen.
Glücklicherweise wurde hieraus nichts, und sein Verdienst fand seinen
Lohn im eigenen Vaterlande. 1819 beschlossen die Gewerke der
Hetton-Kohlengruben die Anlage einer 8 Meilen langen Eisenbahn
mit Maschinenbetrieb von ihren Bergwerken bei Houghton-le-
Spring in Durham nach dem Verladungsplatz am Flusse Wear. Das
Terrain war hügelig und die Anlage schwierig. George Stephen-
son
wurde mit ihrer Ausführung betraut und führte sie mit der
gröſsten Sorgfalt aus. Er legte fünf schiefe Ebenen mit stehenden
Maschinen an, den übrigen Betrieb sollten Lokomotiven besorgen.
Am 18. November 1822 wurde die Hetton-Eisenbahn eröffnet und
zwar mit fünf von Stephensons Lokomotiven oder „eisernen
Pferden“, wie sie vom Volke genannt wurden. Jede zog einen Zug

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[296/0312] Die Eisenbahnen bis 1830. bediente. Er stellte durch Experiment fest, was theoretisch schon lange bekannt war, daſs das Maſs der Reibung bei jeder Geschwindig- keit dasselbe bleibt. Er unterschied genau die drei Widerstände, die Achsenreibung, die Reibung an der Gleitfläche der Schienen und das Gewicht. Achsenreibung und Gewicht waren leicht zu ermitteln, die gleitende Reibung nicht, doch fand er, daſs dieselbe bei rauhen Flächen so rasch zunahm, daſs der Versuch auf gewöhnlichen Straſsen ihm ganz unausführbar erschien. Er fand, daſs eine Steigung von 1/100 schon mehr als 50 Proz. Kraft erforderte. Diese wichtigen That- sachen dienten ihm zur Richtschnur bei seinen späteren Bahnbauten. Er erkannte, wie notwendig eine ebene Bahn für den Lokomotivbetrieb sei. Diese Erkenntnis war sehr wichtig, denn bis dahin hatte man meist geneigte Bahnen von den Kohlengruben nach dem Fluſsufer gebaut und man betrachtete die schiefe Ebene als einen Vorteil, weil sie Gelegenheit bot, durch die abwärts laufenden beladenen Wagen die leeren in die Höhe zu ziehen. Wo aber die Lasten in derselben Richtung auf und ab befördert werden muſsten, war dies nicht anwendbar; in diesem Falle war eine möglichst ebene Bahn die beste. Obgleich Stephensons Lokomotive Jahr ein Jahr aus mit dem besten Erfolge ununterbrochen ihre Lasten auf der Killingworth-Eisen- bahn beförderte, erregte sie doch merkwürdigerweise nur wenig Inter- esse, und es dauerte 8 Jahre, ehe eine zweite Dampfbahn für den Kohlentransport gebaut wurde. Killingworth lag zu sehr auſser der Welt, George Stephenson blieb der bescheidene Maschinist, und es kam ihm nicht in den Sinn, für seine Erfindungen Reklame zu machen. Dagegen dachte er damals zuweilen daran, nach Amerika auszuwandern, um sich dort auf den Bau von Dampfschiffsmaschinen zu verlegen. Glücklicherweise wurde hieraus nichts, und sein Verdienst fand seinen Lohn im eigenen Vaterlande. 1819 beschlossen die Gewerke der Hetton-Kohlengruben die Anlage einer 8 Meilen langen Eisenbahn mit Maschinenbetrieb von ihren Bergwerken bei Houghton-le- Spring in Durham nach dem Verladungsplatz am Flusse Wear. Das Terrain war hügelig und die Anlage schwierig. George Stephen- son wurde mit ihrer Ausführung betraut und führte sie mit der gröſsten Sorgfalt aus. Er legte fünf schiefe Ebenen mit stehenden Maschinen an, den übrigen Betrieb sollten Lokomotiven besorgen. Am 18. November 1822 wurde die Hetton-Eisenbahn eröffnet und zwar mit fünf von Stephensons Lokomotiven oder „eisernen Pferden“, wie sie vom Volke genannt wurden. Jede zog einen Zug

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/312>, abgerufen am 24.11.2024.