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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Westfalen und die Rheinlande.
folgedessen waren in Remscheid viele Arbeiter müssig. Die Ein-
wohnerzahl von Remscheid sank von 1792 bis 1807 von 6653 auf
5509. Nochmals begann 1797 ein allgemeiner Sturmlauf gegen das
Privilegium der Schleifer, und endlich wurde am 9. April 1798 die For-
derung der Schmiede und Kaufleute, die in dem Privilegium nicht
benannten Waren schleifen lassen zu dürfen, wo sie wollten, be-
willigt. 1803 wurde das Privilegium mit allen übrigen ganz aufge-
hoben. Die Aufhebung der Zünfte wurde hier deshalb mit Freuden
begrüsst.

Erwähnenswert ist auch, dass ausländische Regierungen wiederholt
Agenten schickten, um bergische und märkische Eisenarbeiter heim-
lich anzuwerben und zu entführen. Dies gelang namentlich dem von
König Gustav III. von Schweden entsendeten Direktor Wadström,
obgleich derselbe zweimal, 1772 und 1774, als Verführer einge-
schworener Unterthanen ertappt wurde.

Der Aufschwung der bergischen Kleineisenindustrie im 18. Jahr-
hundert war ein bedeutender. 1763 zählte man schon 300, 1803 600
verschiedene Sorten von fabrizierten Stahl- und Eisenwaren. Ihr
Wert betrug 2 bis 3 Millionen Thaler bergisch. 1762 gab es
96 Schleifer und 1500 bis 2000 Kleinschmiede, 1803: 190 bis 230
Schleifer, 2700 bis 3000 Kleinschmiede und 300 Hammerschmiede.
Das Kirchspiel Remscheid wuchs von 1689 bis 1789 von 1400 bis
8072 Einwohner. Das Hauptverdienst an diesem Aufschwung gebührte
den Kaufleuten. Diese Kaufleute, deren es im Anfang des vorigen
Jahrhunderts nur 3 oder 4 gegeben hatte, betrieben ursprünglich alle
selbst das Schmiedehandwerk, wie dies Peter Hasenclever anschau-
lich geschildert hat. Ganz besonders verdankt Remscheid seinen
Absatz und seinen Aufschwung diesen Kaufleuten durch ihre Art zu
reisen. Sie besuchten mit kleinen Mustervorlagen alle Länder der
Welt, dehnten dadurch ihr Absatzgebiet überallhin aus und grün-
deten, wo dies möglich und vorteilhaft war, Zweigniederlassungen.
Sie reisten dabei nicht für das eigene Geschäft allein, sondern ge-
wissermassen für ganz Remscheid, indem sie in ihre Preiscourante
alle Artikel mit aufnahmen, die am Platze gemacht wurden.

Ein wichtiger Industriezweig Remscheids wurde im vorigen Jahr-
hundert die Feilenfabrikation. Gegen Ende des Jahrhunderts traten
65 Feilenhauer von Remscheid und Wermelskirchen zusammen und
trafen, "um allen Brotneid unter sich abzuschaffen", am 23. Februar
1797 die Vereinbarung, dass, wer Feilen von einem Schmied oder
Kaufmann nach Hause bekäme, dafür den Lohn von 5 Thlr. für

Westfalen und die Rheinlande.
folgedessen waren in Remscheid viele Arbeiter müſsig. Die Ein-
wohnerzahl von Remscheid sank von 1792 bis 1807 von 6653 auf
5509. Nochmals begann 1797 ein allgemeiner Sturmlauf gegen das
Privilegium der Schleifer, und endlich wurde am 9. April 1798 die For-
derung der Schmiede und Kaufleute, die in dem Privilegium nicht
benannten Waren schleifen lassen zu dürfen, wo sie wollten, be-
willigt. 1803 wurde das Privilegium mit allen übrigen ganz aufge-
hoben. Die Aufhebung der Zünfte wurde hier deshalb mit Freuden
begrüſst.

Erwähnenswert ist auch, daſs ausländische Regierungen wiederholt
Agenten schickten, um bergische und märkische Eisenarbeiter heim-
lich anzuwerben und zu entführen. Dies gelang namentlich dem von
König Gustav III. von Schweden entsendeten Direktor Wadström,
obgleich derselbe zweimal, 1772 und 1774, als Verführer einge-
schworener Unterthanen ertappt wurde.

Der Aufschwung der bergischen Kleineisenindustrie im 18. Jahr-
hundert war ein bedeutender. 1763 zählte man schon 300, 1803 600
verschiedene Sorten von fabrizierten Stahl- und Eisenwaren. Ihr
Wert betrug 2 bis 3 Millionen Thaler bergisch. 1762 gab es
96 Schleifer und 1500 bis 2000 Kleinschmiede, 1803: 190 bis 230
Schleifer, 2700 bis 3000 Kleinschmiede und 300 Hammerschmiede.
Das Kirchspiel Remscheid wuchs von 1689 bis 1789 von 1400 bis
8072 Einwohner. Das Hauptverdienst an diesem Aufschwung gebührte
den Kaufleuten. Diese Kaufleute, deren es im Anfang des vorigen
Jahrhunderts nur 3 oder 4 gegeben hatte, betrieben ursprünglich alle
selbst das Schmiedehandwerk, wie dies Peter Hasenclever anschau-
lich geschildert hat. Ganz besonders verdankt Remscheid seinen
Absatz und seinen Aufschwung diesen Kaufleuten durch ihre Art zu
reisen. Sie besuchten mit kleinen Mustervorlagen alle Länder der
Welt, dehnten dadurch ihr Absatzgebiet überallhin aus und grün-
deten, wo dies möglich und vorteilhaft war, Zweigniederlassungen.
Sie reisten dabei nicht für das eigene Geschäft allein, sondern ge-
wissermaſsen für ganz Remscheid, indem sie in ihre Preiscourante
alle Artikel mit aufnahmen, die am Platze gemacht wurden.

Ein wichtiger Industriezweig Remscheids wurde im vorigen Jahr-
hundert die Feilenfabrikation. Gegen Ende des Jahrhunderts traten
65 Feilenhauer von Remscheid und Wermelskirchen zusammen und
trafen, „um allen Brotneid unter sich abzuschaffen“, am 23. Februar
1797 die Vereinbarung, daſs, wer Feilen von einem Schmied oder
Kaufmann nach Hause bekäme, dafür den Lohn von 5 Thlr. für

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[976/0990] Westfalen und die Rheinlande. folgedessen waren in Remscheid viele Arbeiter müſsig. Die Ein- wohnerzahl von Remscheid sank von 1792 bis 1807 von 6653 auf 5509. Nochmals begann 1797 ein allgemeiner Sturmlauf gegen das Privilegium der Schleifer, und endlich wurde am 9. April 1798 die For- derung der Schmiede und Kaufleute, die in dem Privilegium nicht benannten Waren schleifen lassen zu dürfen, wo sie wollten, be- willigt. 1803 wurde das Privilegium mit allen übrigen ganz aufge- hoben. Die Aufhebung der Zünfte wurde hier deshalb mit Freuden begrüſst. Erwähnenswert ist auch, daſs ausländische Regierungen wiederholt Agenten schickten, um bergische und märkische Eisenarbeiter heim- lich anzuwerben und zu entführen. Dies gelang namentlich dem von König Gustav III. von Schweden entsendeten Direktor Wadström, obgleich derselbe zweimal, 1772 und 1774, als Verführer einge- schworener Unterthanen ertappt wurde. Der Aufschwung der bergischen Kleineisenindustrie im 18. Jahr- hundert war ein bedeutender. 1763 zählte man schon 300, 1803 600 verschiedene Sorten von fabrizierten Stahl- und Eisenwaren. Ihr Wert betrug 2 bis 3 Millionen Thaler bergisch. 1762 gab es 96 Schleifer und 1500 bis 2000 Kleinschmiede, 1803: 190 bis 230 Schleifer, 2700 bis 3000 Kleinschmiede und 300 Hammerschmiede. Das Kirchspiel Remscheid wuchs von 1689 bis 1789 von 1400 bis 8072 Einwohner. Das Hauptverdienst an diesem Aufschwung gebührte den Kaufleuten. Diese Kaufleute, deren es im Anfang des vorigen Jahrhunderts nur 3 oder 4 gegeben hatte, betrieben ursprünglich alle selbst das Schmiedehandwerk, wie dies Peter Hasenclever anschau- lich geschildert hat. Ganz besonders verdankt Remscheid seinen Absatz und seinen Aufschwung diesen Kaufleuten durch ihre Art zu reisen. Sie besuchten mit kleinen Mustervorlagen alle Länder der Welt, dehnten dadurch ihr Absatzgebiet überallhin aus und grün- deten, wo dies möglich und vorteilhaft war, Zweigniederlassungen. Sie reisten dabei nicht für das eigene Geschäft allein, sondern ge- wissermaſsen für ganz Remscheid, indem sie in ihre Preiscourante alle Artikel mit aufnahmen, die am Platze gemacht wurden. Ein wichtiger Industriezweig Remscheids wurde im vorigen Jahr- hundert die Feilenfabrikation. Gegen Ende des Jahrhunderts traten 65 Feilenhauer von Remscheid und Wermelskirchen zusammen und trafen, „um allen Brotneid unter sich abzuschaffen“, am 23. Februar 1797 die Vereinbarung, daſs, wer Feilen von einem Schmied oder Kaufmann nach Hause bekäme, dafür den Lohn von 5 Thlr. für

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 976. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/990>, abgerufen am 29.06.2024.