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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Physik.
Reaumur flüssiger Metallbäder von geschmolzenem Blei, Zinn oder
Gusseisen, in welche die Probestäbchen gleichzeitig und gleichlang
eingetaucht werden.

Ist dies geschehen, so bestimmt er den Zerreissungspunkt. Statt
der Gewichte bedient er sich hierfür des Apparates Fig. 1 1). Der
Draht, dessen eines Ende in einen kleinen Schraubstock eingespannt
ist, wird von einer Gabel gefasst, deren Stiel ein Schraubengewinde
besitzt. Durch die Drehung der Gabel wird der Stahl bis zur
Elastizitätsgrenze und bis zum Zerreissen gespannt. Das Mass
dieser Spannung wird an einem Massstabe, über den sich die Gabel
hinbewegt, abgelesen. Mit diesem Apparat hätte Reaumur ganz
wohl Werte für die absolute Festigkeit ermitteln können, während er
sich nur auf vergleichende Zerreissversuche beschränkte. Eine andere
Probe zu demselben Zwecke besteht darin, dass man den Stahl als
Meissel ausschmiedet, ihm eine bestimmte Härtung giebt und dann
an einem Stahlstab, den man nur am Ende erhitzt und dann ge-
härtet hat, in bestimmten abgemessenen Abständen von diesem Ende
die Tiefe und Schärfe der Einschnitte bei gleich starkem Hieb,
welcher durch ein herabfallendes Gewicht bewirkt werden kann, be-
obachtet. "Dies ist ein einfaches, zweckmässiges Verfahren, um zu
sehen, ob der Stahl "gut steht"."

Die Härtefähigkeit ist die Eigenschaft, welche dem Stahl
seinen Hauptwert giebt. Reaumur hat zahlreiche Versuche darüber
angestellt. Erhitzt man den Stahl, so wird er ausgedehnt, löscht man
ihn plötzlich in kaltem Wasser ab, so behält er diese Ausdehnung.
Sein Korn erscheint grösser, weil die Zwischenräume zwischen den
Molekülen sich erweitert haben. Man sollte nun glauben, dass der
Stahl dadurch weicher geworden sei, dass eine Feile leichter ein-
dringen könnte, aber das Gegenteil ist der Fall, er ist viel härter
geworden, die Feile greift ihn nicht mehr an. Reaumurs geistreiche
Erklärung dieser Erscheinung beruht auf seiner Theorie der chemi-
schen Zusammensetzung von Eisen und Stahl, die wir bei der Chemie
des Eisens bereits auseinandergesetzt haben. Dass der gehärtete Stahl
ein grösseres Volumen einnimmt als der weiche, lässt sich leicht be-
weisen. Ein gehärtetes Stück Stahldraht geht nicht mehr durch das
Ziehloch, welches er zuvor im ungehärteten Zustande passiert hat 2).
Reaumur hat diese Volumvermehrung durch genaue Versuche ge-

1) Reaumur, loc. cit. Tab. 10, Fig. 1.
2) Hierauf hatte schon Perrault 1680 hingewiesen, siehe Oeuvres diverses
de physique et de mechanique de Mrs. E. und P. Perrault I, p. 17.

Physik.
Reaumur flüssiger Metallbäder von geschmolzenem Blei, Zinn oder
Guſseisen, in welche die Probestäbchen gleichzeitig und gleichlang
eingetaucht werden.

Ist dies geschehen, so bestimmt er den Zerreiſsungspunkt. Statt
der Gewichte bedient er sich hierfür des Apparates Fig. 1 1). Der
Draht, dessen eines Ende in einen kleinen Schraubstock eingespannt
ist, wird von einer Gabel gefaſst, deren Stiel ein Schraubengewinde
besitzt. Durch die Drehung der Gabel wird der Stahl bis zur
Elastizitätsgrenze und bis zum Zerreiſsen gespannt. Das Maſs
dieser Spannung wird an einem Maſsstabe, über den sich die Gabel
hinbewegt, abgelesen. Mit diesem Apparat hätte Reaumur ganz
wohl Werte für die absolute Festigkeit ermitteln können, während er
sich nur auf vergleichende Zerreiſsversuche beschränkte. Eine andere
Probe zu demselben Zwecke besteht darin, daſs man den Stahl als
Meiſsel ausschmiedet, ihm eine bestimmte Härtung giebt und dann
an einem Stahlstab, den man nur am Ende erhitzt und dann ge-
härtet hat, in bestimmten abgemessenen Abständen von diesem Ende
die Tiefe und Schärfe der Einschnitte bei gleich starkem Hieb,
welcher durch ein herabfallendes Gewicht bewirkt werden kann, be-
obachtet. „Dies ist ein einfaches, zweckmäſsiges Verfahren, um zu
sehen, ob der Stahl „gut steht“.“

Die Härtefähigkeit ist die Eigenschaft, welche dem Stahl
seinen Hauptwert giebt. Reaumur hat zahlreiche Versuche darüber
angestellt. Erhitzt man den Stahl, so wird er ausgedehnt, löscht man
ihn plötzlich in kaltem Wasser ab, so behält er diese Ausdehnung.
Sein Korn erscheint gröſser, weil die Zwischenräume zwischen den
Molekülen sich erweitert haben. Man sollte nun glauben, daſs der
Stahl dadurch weicher geworden sei, daſs eine Feile leichter ein-
dringen könnte, aber das Gegenteil ist der Fall, er ist viel härter
geworden, die Feile greift ihn nicht mehr an. Reaumurs geistreiche
Erklärung dieser Erscheinung beruht auf seiner Theorie der chemi-
schen Zusammensetzung von Eisen und Stahl, die wir bei der Chemie
des Eisens bereits auseinandergesetzt haben. Daſs der gehärtete Stahl
ein gröſseres Volumen einnimmt als der weiche, läſst sich leicht be-
weisen. Ein gehärtetes Stück Stahldraht geht nicht mehr durch das
Ziehloch, welches er zuvor im ungehärteten Zustande passiert hat 2).
Reaumur hat diese Volumvermehrung durch genaue Versuche ge-

1) Reaumur, loc. cit. Tab. 10, Fig. 1.
2) Hierauf hatte schon Perrault 1680 hingewiesen, siehe Oeuvres diverses
de physique et de mechanique de Mrs. E. und P. Perrault I, p. 17.
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[79/0093] Physik. Reaumur flüssiger Metallbäder von geschmolzenem Blei, Zinn oder Guſseisen, in welche die Probestäbchen gleichzeitig und gleichlang eingetaucht werden. Ist dies geschehen, so bestimmt er den Zerreiſsungspunkt. Statt der Gewichte bedient er sich hierfür des Apparates Fig. 1 1). Der Draht, dessen eines Ende in einen kleinen Schraubstock eingespannt ist, wird von einer Gabel gefaſst, deren Stiel ein Schraubengewinde besitzt. Durch die Drehung der Gabel wird der Stahl bis zur Elastizitätsgrenze und bis zum Zerreiſsen gespannt. Das Maſs dieser Spannung wird an einem Maſsstabe, über den sich die Gabel hinbewegt, abgelesen. Mit diesem Apparat hätte Reaumur ganz wohl Werte für die absolute Festigkeit ermitteln können, während er sich nur auf vergleichende Zerreiſsversuche beschränkte. Eine andere Probe zu demselben Zwecke besteht darin, daſs man den Stahl als Meiſsel ausschmiedet, ihm eine bestimmte Härtung giebt und dann an einem Stahlstab, den man nur am Ende erhitzt und dann ge- härtet hat, in bestimmten abgemessenen Abständen von diesem Ende die Tiefe und Schärfe der Einschnitte bei gleich starkem Hieb, welcher durch ein herabfallendes Gewicht bewirkt werden kann, be- obachtet. „Dies ist ein einfaches, zweckmäſsiges Verfahren, um zu sehen, ob der Stahl „gut steht“.“ Die Härtefähigkeit ist die Eigenschaft, welche dem Stahl seinen Hauptwert giebt. Reaumur hat zahlreiche Versuche darüber angestellt. Erhitzt man den Stahl, so wird er ausgedehnt, löscht man ihn plötzlich in kaltem Wasser ab, so behält er diese Ausdehnung. Sein Korn erscheint gröſser, weil die Zwischenräume zwischen den Molekülen sich erweitert haben. Man sollte nun glauben, daſs der Stahl dadurch weicher geworden sei, daſs eine Feile leichter ein- dringen könnte, aber das Gegenteil ist der Fall, er ist viel härter geworden, die Feile greift ihn nicht mehr an. Reaumurs geistreiche Erklärung dieser Erscheinung beruht auf seiner Theorie der chemi- schen Zusammensetzung von Eisen und Stahl, die wir bei der Chemie des Eisens bereits auseinandergesetzt haben. Daſs der gehärtete Stahl ein gröſseres Volumen einnimmt als der weiche, läſst sich leicht be- weisen. Ein gehärtetes Stück Stahldraht geht nicht mehr durch das Ziehloch, welches er zuvor im ungehärteten Zustande passiert hat 2). Reaumur hat diese Volumvermehrung durch genaue Versuche ge- 1) Reaumur, loc. cit. Tab. 10, Fig. 1. 2) Hierauf hatte schon Perrault 1680 hingewiesen, siehe Oeuvres diverses de physique et de mechanique de Mrs. E. und P. Perrault I, p. 17.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/93>, abgerufen am 28.11.2024.