Wo dieselbe stark genug war, dem Widerstande der Zünfte erfolgreich gegenüber zu treten, bildete sich immer bestimmter die Vorstellung aus, dass die Zunftrechte vom Staat verliehene Privilegien seien. Sowohl einzelne Fürsten als der Reichsschluss von 1731 erwogen ernstlich die Aufhebung der Zünfte. Auch privilegierte der Staat unzünftige Handwerker als Freimeister und die Zunft musste sich diese unzünftigen Meister gefallen lassen. Durch eingehende, weit- läufige Gesetze wurden die Zünfte reglementiert und einer ständigen Überwachung unterstellt. Von Obrigkeits wegen wurden jetzt die Bedingungen für die Aufnahme in die Zunft festgesetzt und das Lehrlingswesen geordnet; in gleicher Weise wurde das Gesellenwesen gesetzlich geregelt und die Meisterprüfungen wurden unter Kontrolle der Staatsbehörde abgehalten.
Neben dem zünftigen Handwerk entwickelten sich immer neue nicht zünftige Gewerbe, welche namentlich die industriellen Arbeiter, die Fabriken umfassten. Die merkantilistischen Grundsätze, nach welchen die Regierungen das Gewerbewesen leiteten, bezweckten die Industrie des eigenen Landes von der des Auslandes unabhängig zu machen, ihr den inländischen Markt zu sichern und die Ausfuhr der einheimischen Erzeugnisse zu befördern. Um ersteres zu erreichen, gründeten die Fürsten Staatsfabriken und zogen fremde Künstler in das Land. Die Einfuhr fremder Produkte wurde durch Zölle erschwert. Diese Bevormundung führte aber besonders bei der Zersplitterung Deutschlands und der Kleinstaaterei zu einer Unterdrückung der Bewegungsfreiheit und zur Hemmnis des gewerblichen Fortschritts, namentlich der Grossindustrie, und so fand dann der Ruf nach Gewerbefreiheit, welchen Adam Smith in England laut und mit überzeugender Begründung erhoben hatte, in allen industriellen Staaten Anklang.
In Österreich suchten Maria Theresia und Joseph II. den Gewerbefleiss und das aufkeimende Fabrikwesen durch zahlreiche Specialbestimmungen von den Fesseln der Zunft zu befreien. Viele unzünftige Gewerbe wurden zugelassen. Die Hof-Verordnung von Nieder-Österreich zählt bereits 37 Gewerbe auf, welche für unbedingt frei erklärt worden waren. Ganz allgemein wurden aber die Fabriken von dem Zunftzwange befreit.
In Frankreich ging man noch entschiedener vor. Dort hatte im 17. Jahrhundert der grosse Minister Colbert zugleich mit der Volkswirtschaft das ganze Gewerbewesen reformiert. Als er die Leitung der Regierung übernahm (1661), war die französische Industrie
Die gewerblichen Verhältnisse.
Wo dieselbe stark genug war, dem Widerstande der Zünfte erfolgreich gegenüber zu treten, bildete sich immer bestimmter die Vorstellung aus, daſs die Zunftrechte vom Staat verliehene Privilegien seien. Sowohl einzelne Fürsten als der Reichsschluſs von 1731 erwogen ernstlich die Aufhebung der Zünfte. Auch privilegierte der Staat unzünftige Handwerker als Freimeister und die Zunft muſste sich diese unzünftigen Meister gefallen lassen. Durch eingehende, weit- läufige Gesetze wurden die Zünfte reglementiert und einer ständigen Überwachung unterstellt. Von Obrigkeits wegen wurden jetzt die Bedingungen für die Aufnahme in die Zunft festgesetzt und das Lehrlingswesen geordnet; in gleicher Weise wurde das Gesellenwesen gesetzlich geregelt und die Meisterprüfungen wurden unter Kontrolle der Staatsbehörde abgehalten.
Neben dem zünftigen Handwerk entwickelten sich immer neue nicht zünftige Gewerbe, welche namentlich die industriellen Arbeiter, die Fabriken umfaſsten. Die merkantilistischen Grundsätze, nach welchen die Regierungen das Gewerbewesen leiteten, bezweckten die Industrie des eigenen Landes von der des Auslandes unabhängig zu machen, ihr den inländischen Markt zu sichern und die Ausfuhr der einheimischen Erzeugnisse zu befördern. Um ersteres zu erreichen, gründeten die Fürsten Staatsfabriken und zogen fremde Künstler in das Land. Die Einfuhr fremder Produkte wurde durch Zölle erschwert. Diese Bevormundung führte aber besonders bei der Zersplitterung Deutschlands und der Kleinstaaterei zu einer Unterdrückung der Bewegungsfreiheit und zur Hemmnis des gewerblichen Fortschritts, namentlich der Groſsindustrie, und so fand dann der Ruf nach Gewerbefreiheit, welchen Adam Smith in England laut und mit überzeugender Begründung erhoben hatte, in allen industriellen Staaten Anklang.
In Österreich suchten Maria Theresia und Joseph II. den Gewerbefleiſs und das aufkeimende Fabrikwesen durch zahlreiche Specialbestimmungen von den Fesseln der Zunft zu befreien. Viele unzünftige Gewerbe wurden zugelassen. Die Hof-Verordnung von Nieder-Österreich zählt bereits 37 Gewerbe auf, welche für unbedingt frei erklärt worden waren. Ganz allgemein wurden aber die Fabriken von dem Zunftzwange befreit.
In Frankreich ging man noch entschiedener vor. Dort hatte im 17. Jahrhundert der groſse Minister Colbert zugleich mit der Volkswirtschaft das ganze Gewerbewesen reformiert. Als er die Leitung der Regierung übernahm (1661), war die französische Industrie
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Die gewerblichen Verhältnisse.
Wo dieselbe stark genug war, dem Widerstande der Zünfte erfolgreich
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aus, daſs die Zunftrechte vom Staat verliehene Privilegien seien.
Sowohl einzelne Fürsten als der Reichsschluſs von 1731 erwogen
ernstlich die Aufhebung der Zünfte. Auch privilegierte der Staat
unzünftige Handwerker als Freimeister und die Zunft muſste sich
diese unzünftigen Meister gefallen lassen. Durch eingehende, weit-
läufige Gesetze wurden die Zünfte reglementiert und einer ständigen
Überwachung unterstellt. Von Obrigkeits wegen wurden jetzt die
Bedingungen für die Aufnahme in die Zunft festgesetzt und das
Lehrlingswesen geordnet; in gleicher Weise wurde das Gesellenwesen
gesetzlich geregelt und die Meisterprüfungen wurden unter Kontrolle
der Staatsbehörde abgehalten.
Neben dem zünftigen Handwerk entwickelten sich immer neue
nicht zünftige Gewerbe, welche namentlich die industriellen Arbeiter,
die Fabriken umfaſsten. Die merkantilistischen Grundsätze, nach
welchen die Regierungen das Gewerbewesen leiteten, bezweckten die
Industrie des eigenen Landes von der des Auslandes unabhängig zu
machen, ihr den inländischen Markt zu sichern und die Ausfuhr der
einheimischen Erzeugnisse zu befördern. Um ersteres zu erreichen,
gründeten die Fürsten Staatsfabriken und zogen fremde Künstler in
das Land. Die Einfuhr fremder Produkte wurde durch Zölle erschwert.
Diese Bevormundung führte aber besonders bei der Zersplitterung
Deutschlands und der Kleinstaaterei zu einer Unterdrückung der
Bewegungsfreiheit und zur Hemmnis des gewerblichen Fortschritts,
namentlich der Groſsindustrie, und so fand dann der Ruf nach
Gewerbefreiheit, welchen Adam Smith in England laut und mit
überzeugender Begründung erhoben hatte, in allen industriellen
Staaten Anklang.
In Österreich suchten Maria Theresia und Joseph II. den
Gewerbefleiſs und das aufkeimende Fabrikwesen durch zahlreiche
Specialbestimmungen von den Fesseln der Zunft zu befreien. Viele
unzünftige Gewerbe wurden zugelassen. Die Hof-Verordnung von
Nieder-Österreich zählt bereits 37 Gewerbe auf, welche für unbedingt
frei erklärt worden waren. Ganz allgemein wurden aber die Fabriken
von dem Zunftzwange befreit.
In Frankreich ging man noch entschiedener vor. Dort hatte
im 17. Jahrhundert der groſse Minister Colbert zugleich mit der
Volkswirtschaft das ganze Gewerbewesen reformiert. Als er die
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/793>, abgerufen am 23.11.2024.
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