fabrikanten von London und andern Städten an das Parlament im Jahre 1483 hervorgeht. Dieselben beklagten sich über den grossen Schaden, den sie durch die Einfuhr der Artikel, die sie fabrizierten, erlitten und sie erwirkten einen Parlamentsbeschluss gegen die Einführung von "Messern, Gehenke, Schneiderscheren, Handscheren und Eisen, Feuerzangen, Bratroste, Schlösser, Schlüssel, Thür- angeln und Haken, Sporen, Gebisse, Steigbügel, Schutzketten, Blechnägel mit Eisenstift, Schuhschnallen, Tuchscheren, Eisendraht, eiserne Leuchter, Gitter und andere Erzeugnisse der heimischen Gewerbe".
1417 hatten die Messerschmiede Londons von König Heinrich V. Zunftrechte erhalten, die Sheffielder besassen dieselben angeblich schon hundert Jahre früher 1). Der Dichter Chaucer (um 1360) sagt schon: "a Shefield thwytel bare he in his hose". Thwytel war das Messer, das der gewöhnliche Mann in einer Scheide an der Seite trug und wo- mit er auch seine Nahrung zerteilte. Aber trotzdem kommen deutsche, französische und kölnische Messer (knyves of Almagne, knyves of France, knyves of Collagne) unter den in den Zollrollen aus der Zeit Heinrichs VIII. eingeführten Waren vor. Einen grossen Aufschwung erfuhr die Sheffielder Eisenindustrie durch den Zuzug niederländi- scher Messerschmiede um 1570. Auch in Salisbury und Woodstock blühte das Messergewerbe.
Die Angabe O'Reillys in den Annales des arts et manufactures (t. VI, p. 226), dass es in der Mitte des 15. Jahrhunderts in England Hochöfen gegeben habe, welche gross genug waren, um mit Holz- kohlen in 24 Stunden 40 bis 60 Ctr. Roheisen zu schmelzen, ist ohne Zweifel falsch und wird durch nichts bestätigt. Ebenso erscheint die Nachricht, dass im Jahre 1475 unter Eduard IV. durch dessen Bruder Richard, Herzog von Gloster, in dem Forest of Dean Hoch- öfen von Niederländern errichtet worden seien, zweifelhaft. Aller- dings wurde die Bewegung, die Privilegien der fremden Kaufleute zu vernichten, sich von deren herrschendem Einfluss zu befreien und die einheimische Industrie zu fördern, gegen Ende des 15. Jahrhunderts immer mächtiger. Insbesondere war es der immer einflussreicher werdende Verband englischer Grosshändler, der merchant adventurers, welche dieses Ziel mit allen Mitteln anstrebten und auch den ver- räterischen Überfall des Stahlhofes im Jahre 1493 veranlasst hatten.
1) Nach Jeans (Steel) wäre die Zunft der Messerschmiede in Sheffield erst 1648 incorporiert worden.
Beck, Geschichte des Eisens. 56
England.
fabrikanten von London und andern Städten an das Parlament im Jahre 1483 hervorgeht. Dieselben beklagten sich über den groſsen Schaden, den sie durch die Einfuhr der Artikel, die sie fabrizierten, erlitten und sie erwirkten einen Parlamentsbeschluſs gegen die Einführung von „Messern, Gehenke, Schneiderscheren, Handscheren und Eisen, Feuerzangen, Bratroste, Schlösser, Schlüssel, Thür- angeln und Haken, Sporen, Gebisse, Steigbügel, Schutzketten, Blechnägel mit Eisenstift, Schuhschnallen, Tuchscheren, Eisendraht, eiserne Leuchter, Gitter und andere Erzeugnisse der heimischen Gewerbe“.
1417 hatten die Messerschmiede Londons von König Heinrich V. Zunftrechte erhalten, die Sheffielder besaſsen dieselben angeblich schon hundert Jahre früher 1). Der Dichter Chaucer (um 1360) sagt schon: „a Shefield thwytel bare he in his hose“. Thwytel war das Messer, das der gewöhnliche Mann in einer Scheide an der Seite trug und wo- mit er auch seine Nahrung zerteilte. Aber trotzdem kommen deutsche, französische und kölnische Messer (knyves of Almagne, knyves of France, knyves of Collagne) unter den in den Zollrollen aus der Zeit Heinrichs VIII. eingeführten Waren vor. Einen groſsen Aufschwung erfuhr die Sheffielder Eisenindustrie durch den Zuzug niederländi- scher Messerschmiede um 1570. Auch in Salisbury und Woodstock blühte das Messergewerbe.
Die Angabe O’Reillys in den Annales des arts et manufactures (t. VI, p. 226), daſs es in der Mitte des 15. Jahrhunderts in England Hochöfen gegeben habe, welche groſs genug waren, um mit Holz- kohlen in 24 Stunden 40 bis 60 Ctr. Roheisen zu schmelzen, ist ohne Zweifel falsch und wird durch nichts bestätigt. Ebenso erscheint die Nachricht, daſs im Jahre 1475 unter Eduard IV. durch dessen Bruder Richard, Herzog von Gloster, in dem Forest of Dean Hoch- öfen von Niederländern errichtet worden seien, zweifelhaft. Aller- dings wurde die Bewegung, die Privilegien der fremden Kaufleute zu vernichten, sich von deren herrschendem Einfluſs zu befreien und die einheimische Industrie zu fördern, gegen Ende des 15. Jahrhunderts immer mächtiger. Insbesondere war es der immer einfluſsreicher werdende Verband englischer Groſshändler, der merchant adventurers, welche dieses Ziel mit allen Mitteln anstrebten und auch den ver- räterischen Überfall des Stahlhofes im Jahre 1493 veranlaſst hatten.
1) Nach Jeans (Steel) wäre die Zunft der Messerschmiede in Sheffield erst 1648 incorporiert worden.
Beck, Geschichte des Eisens. 56
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England.
fabrikanten von London und andern Städten an das Parlament im
Jahre 1483 hervorgeht. Dieselben beklagten sich über den groſsen
Schaden, den sie durch die Einfuhr der Artikel, die sie fabrizierten,
erlitten und sie erwirkten einen Parlamentsbeschluſs gegen die
Einführung von „Messern, Gehenke, Schneiderscheren, Handscheren
und Eisen, Feuerzangen, Bratroste, Schlösser, Schlüssel, Thür-
angeln und Haken, Sporen, Gebisse, Steigbügel, Schutzketten,
Blechnägel mit Eisenstift, Schuhschnallen, Tuchscheren, Eisendraht,
eiserne Leuchter, Gitter und andere Erzeugnisse der heimischen
Gewerbe“.
1417 hatten die Messerschmiede Londons von König Heinrich V.
Zunftrechte erhalten, die Sheffielder besaſsen dieselben angeblich schon
hundert Jahre früher 1). Der Dichter Chaucer (um 1360) sagt schon:
„a Shefield thwytel bare he in his hose“. Thwytel war das Messer, das
der gewöhnliche Mann in einer Scheide an der Seite trug und wo-
mit er auch seine Nahrung zerteilte. Aber trotzdem kommen deutsche,
französische und kölnische Messer (knyves of Almagne, knyves of
France, knyves of Collagne) unter den in den Zollrollen aus der Zeit
Heinrichs VIII. eingeführten Waren vor. Einen groſsen Aufschwung
erfuhr die Sheffielder Eisenindustrie durch den Zuzug niederländi-
scher Messerschmiede um 1570. Auch in Salisbury und Woodstock
blühte das Messergewerbe.
Die Angabe O’Reillys in den Annales des arts et manufactures
(t. VI, p. 226), daſs es in der Mitte des 15. Jahrhunderts in England
Hochöfen gegeben habe, welche groſs genug waren, um mit Holz-
kohlen in 24 Stunden 40 bis 60 Ctr. Roheisen zu schmelzen, ist
ohne Zweifel falsch und wird durch nichts bestätigt. Ebenso erscheint
die Nachricht, daſs im Jahre 1475 unter Eduard IV. durch dessen
Bruder Richard, Herzog von Gloster, in dem Forest of Dean Hoch-
öfen von Niederländern errichtet worden seien, zweifelhaft. Aller-
dings wurde die Bewegung, die Privilegien der fremden Kaufleute zu
vernichten, sich von deren herrschendem Einfluſs zu befreien und die
einheimische Industrie zu fördern, gegen Ende des 15. Jahrhunderts
immer mächtiger. Insbesondere war es der immer einfluſsreicher
werdende Verband englischer Groſshändler, der merchant adventurers,
welche dieses Ziel mit allen Mitteln anstrebten und auch den ver-
räterischen Überfall des Stahlhofes im Jahre 1493 veranlaſst hatten.
1) Nach Jeans (Steel) wäre die Zunft der Messerschmiede in Sheffield erst
1648 incorporiert worden.
Beck, Geschichte des Eisens. 56
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 881. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/901>, abgerufen am 22.11.2024.
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