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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Der Eisenhandel und die deutsche Hansa.
ihren Abschluss dadurch fanden, dass die Privilegien des Stahlhofes
durch act of Parliament bestätigt wurden.

Ein schwerer Schlag traf den hanseatischen Handel im Osten
durch die Unterwerfung Nowgorods durch den Zar Iwan Wassilje-
witsch. Nowgorod war eins der grössten und gewinnbringendsten
Kontore der Hansa. Der unter dem Schutze von St. Peter in Now-
gorod hausende deutsche Kaufmann erfreute sich grösserer Freiheiten
als seine Landsleute in den Kaufhöfen von London, Brügge und
Bergen.

Nowgorod kann in gewissem Sinne als der Ausgangspunkt des
russischen Staates betrachtet werden. Bis Ende des 9. Jahrhunderts
selbständiger Herrschersitz, wurde es von da ab eine Statthalterei
der Grossfürsten von Kiew, behielt aber eine verhältnismässig selb-
ständige Stellung. Die Bürger führten ihre Verwaltung selbst und
überliessen dem Statthalter nur die Führung im Kriege; Jaroslaw 1.
gab der Stadt die umfassendsten Freiheiten. Später machten sie sich
ganz unabhängig, gründeten einen eigenen Freistaat, erwarben aus-
gedehntes Gebiet, das sich im 12. Jahrhundert bis zur Ostsee er-
streckte, und wurde der Mittelpunkt des ganzen russischen Handels.
Wisby trat mit ihm in lebhafte Handelsverbindung und die Got-
länder hatten lange vor den Deutschen ihren eigenen Kaufhof.
Lübeck und Riga schlossen mit Nowgorod Handelsbündnisse, welche
dann auf die deutsche Hansa übertragen wurden. Die deutsche
Faktorei entstand bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Der Hof von St. Peter, dessen Mittelpunkt die 1184 erbaute Peters-
kirche war, bildete das deutsche Quartier. In der Nähe der deutschen
Niederlassung befand sich der Hof der Gotländer mit der Olafskirche,
die älteste Ansiedlung von Ausländern in der Stadt. Nowgorod
wurde immer reicher und mächtiger, dehnte sein Gebiet bis an das
Weisse Meer aus, wo sie die Stadt Archangel gründeten. Weit und
breit war die mächtige Stadt gefürchtet und aus den schweren
Kämpfen ging es meist siegreich hervor, so dass der Ruf aufkam:
Wer kann wider Gott und Gross-Nowgorod? In diesem grossen
Handelsstaate war der Bund der deutschen Kaufleute die stärkste
Macht geworden. Riga, welches um 1200 von Deutschen gegründet
war, vermittelte hauptsächlich den Handel mit dem Westen, doch
waren auch viele lübische Häuser in Nowgorod vertreten. Man unter-
schied Wasserfahrer und Landfahrer 1). Die Wasserfahrer hatten in

1) Vergl. A. Winckler, Die deutsche Hansa in Russland 1886.

Der Eisenhandel und die deutsche Hansa.
ihren Abschluſs dadurch fanden, daſs die Privilegien des Stahlhofes
durch act of Parliament bestätigt wurden.

Ein schwerer Schlag traf den hanseatischen Handel im Osten
durch die Unterwerfung Nowgorods durch den Zar Iwan Wassilje-
witsch. Nowgorod war eins der gröſsten und gewinnbringendsten
Kontore der Hansa. Der unter dem Schutze von St. Peter in Now-
gorod hausende deutsche Kaufmann erfreute sich gröſserer Freiheiten
als seine Landsleute in den Kaufhöfen von London, Brügge und
Bergen.

Nowgorod kann in gewissem Sinne als der Ausgangspunkt des
russischen Staates betrachtet werden. Bis Ende des 9. Jahrhunderts
selbständiger Herrschersitz, wurde es von da ab eine Statthalterei
der Groſsfürsten von Kiew, behielt aber eine verhältnismäſsig selb-
ständige Stellung. Die Bürger führten ihre Verwaltung selbst und
überlieſsen dem Statthalter nur die Führung im Kriege; Jaroslaw 1.
gab der Stadt die umfassendsten Freiheiten. Später machten sie sich
ganz unabhängig, gründeten einen eigenen Freistaat, erwarben aus-
gedehntes Gebiet, das sich im 12. Jahrhundert bis zur Ostsee er-
streckte, und wurde der Mittelpunkt des ganzen russischen Handels.
Wisby trat mit ihm in lebhafte Handelsverbindung und die Got-
länder hatten lange vor den Deutschen ihren eigenen Kaufhof.
Lübeck und Riga schlossen mit Nowgorod Handelsbündnisse, welche
dann auf die deutsche Hansa übertragen wurden. Die deutsche
Faktorei entstand bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Der Hof von St. Peter, dessen Mittelpunkt die 1184 erbaute Peters-
kirche war, bildete das deutsche Quartier. In der Nähe der deutschen
Niederlassung befand sich der Hof der Gotländer mit der Olafskirche,
die älteste Ansiedlung von Ausländern in der Stadt. Nowgorod
wurde immer reicher und mächtiger, dehnte sein Gebiet bis an das
Weiſse Meer aus, wo sie die Stadt Archangel gründeten. Weit und
breit war die mächtige Stadt gefürchtet und aus den schweren
Kämpfen ging es meist siegreich hervor, so daſs der Ruf aufkam:
Wer kann wider Gott und Groſs-Nowgorod? In diesem groſsen
Handelsstaate war der Bund der deutschen Kaufleute die stärkste
Macht geworden. Riga, welches um 1200 von Deutschen gegründet
war, vermittelte hauptsächlich den Handel mit dem Westen, doch
waren auch viele lübische Häuser in Nowgorod vertreten. Man unter-
schied Wasserfahrer und Landfahrer 1). Die Wasserfahrer hatten in

1) Vergl. A. Winckler, Die deutsche Hansa in Ruſsland 1886.
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[578/0598] Der Eisenhandel und die deutsche Hansa. ihren Abschluſs dadurch fanden, daſs die Privilegien des Stahlhofes durch act of Parliament bestätigt wurden. Ein schwerer Schlag traf den hanseatischen Handel im Osten durch die Unterwerfung Nowgorods durch den Zar Iwan Wassilje- witsch. Nowgorod war eins der gröſsten und gewinnbringendsten Kontore der Hansa. Der unter dem Schutze von St. Peter in Now- gorod hausende deutsche Kaufmann erfreute sich gröſserer Freiheiten als seine Landsleute in den Kaufhöfen von London, Brügge und Bergen. Nowgorod kann in gewissem Sinne als der Ausgangspunkt des russischen Staates betrachtet werden. Bis Ende des 9. Jahrhunderts selbständiger Herrschersitz, wurde es von da ab eine Statthalterei der Groſsfürsten von Kiew, behielt aber eine verhältnismäſsig selb- ständige Stellung. Die Bürger führten ihre Verwaltung selbst und überlieſsen dem Statthalter nur die Führung im Kriege; Jaroslaw 1. gab der Stadt die umfassendsten Freiheiten. Später machten sie sich ganz unabhängig, gründeten einen eigenen Freistaat, erwarben aus- gedehntes Gebiet, das sich im 12. Jahrhundert bis zur Ostsee er- streckte, und wurde der Mittelpunkt des ganzen russischen Handels. Wisby trat mit ihm in lebhafte Handelsverbindung und die Got- länder hatten lange vor den Deutschen ihren eigenen Kaufhof. Lübeck und Riga schlossen mit Nowgorod Handelsbündnisse, welche dann auf die deutsche Hansa übertragen wurden. Die deutsche Faktorei entstand bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der Hof von St. Peter, dessen Mittelpunkt die 1184 erbaute Peters- kirche war, bildete das deutsche Quartier. In der Nähe der deutschen Niederlassung befand sich der Hof der Gotländer mit der Olafskirche, die älteste Ansiedlung von Ausländern in der Stadt. Nowgorod wurde immer reicher und mächtiger, dehnte sein Gebiet bis an das Weiſse Meer aus, wo sie die Stadt Archangel gründeten. Weit und breit war die mächtige Stadt gefürchtet und aus den schweren Kämpfen ging es meist siegreich hervor, so daſs der Ruf aufkam: Wer kann wider Gott und Groſs-Nowgorod? In diesem groſsen Handelsstaate war der Bund der deutschen Kaufleute die stärkste Macht geworden. Riga, welches um 1200 von Deutschen gegründet war, vermittelte hauptsächlich den Handel mit dem Westen, doch waren auch viele lübische Häuser in Nowgorod vertreten. Man unter- schied Wasserfahrer und Landfahrer 1). Die Wasserfahrer hatten in 1) Vergl. A. Winckler, Die deutsche Hansa in Ruſsland 1886.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/598>, abgerufen am 02.05.2024.