Die Nagelfabrikation im Lütticher Lande war von Alters her sehr bedeutend und bildete einen Hauptzweig der Lütticher Eisen- industrie. Sie versorgte Belgien und Holland, lieferte nach Spanien und Deutschland, aber auch nach überseeischen Ländern, besonders Indien und Amerika. -- Diese Fabrikation beschäftigte besonders im Winter zahlreiche Familien in den Dorfschaften der Umgegend von Lüttich. Die Nagelschmiede hatten hier eine Handfertigkeit erlangt, die jede Konkurrenz ausschloss. Die Lütticher Nägel waren gesucht, wegen ihrer Gleichmässigkeit und Sauberkeit. Die Landesregierung wendete von jeher diesem Betriebszweige besondere Fürsorge zu, weil es die wichtigste Hausindustrie der ärmeren Bewohner war. Die Nägel waren allein von allen Eisenwaren zollfrei. Es wurden besondere Verordnungen erlassen, um die Arbeiter vor der Ausbeutung durch die Meister zu schützen und um diese Industrie zu erhalten, deren Blüte für den allgemeinen Wohlstand des Landes unentbehrlich war.
Den Nagelhändlern, welche eine besondere Genossenschaft bilde- ten, war nur der auswärtige Handel gestattet. Sie kauften das Grob- eisen in der Grafschaft Namur, lieferten es den Zainhämmern oder Schneidwerken, die es in Nageleisen verwandelten, das alsdann in die Hände der Nagelschmiede (marchotais) gelangte.
Die Stahlbereitung spielte in Lüttich nur eine untergeordnete Rolle, da die Erze hierfür nicht geeignet waren. Man bezog seit alter Zeit her deutschen Schweissstahl. Es ist deshalb wohl nur eine von Francquoys patriotischen Phantasien, wenn er aus einem Privileg, welches bereits am 19. Januar 1613 von Ferdinand an einen Waffen- schmied Pier de Coutraye und an Jean van Beulhe verliehen wurde, Eisen in Stahl zu verwandeln, sofort den Schluss zieht, die Lütticher hätten schon damals die Cementstahlfabrikation gekannt und betrieben. Über das Verfahren der Genannten wissen wir gar nichts und es ist nicht einmal bekannt, ob sie ihr Privileg jemals ausgenutzt haben. Übrigens war ja die Einsatzhärtung damals schon längst bekannt.
Die Anfänge der luxemburgischen Hochofenindustrie sollen in das Jahr 1612 fallen. Vordem wurde das Eisen in Rennwerken ge- wonnen, wie dies auch in Belgien noch vielfach der Fall war. Die Eisengewinnung aus den Erzen blühte besonders im Gebiete von Namur.
1)
1) Siehe Jars, Metallurgische Reisen, II, S. 784.
Belgien im 17. Jahrhundert.
Die Nagelfabrikation im Lütticher Lande war von Alters her sehr bedeutend und bildete einen Hauptzweig der Lütticher Eisen- industrie. Sie versorgte Belgien und Holland, lieferte nach Spanien und Deutschland, aber auch nach überseeischen Ländern, besonders Indien und Amerika. — Diese Fabrikation beschäftigte besonders im Winter zahlreiche Familien in den Dorfschaften der Umgegend von Lüttich. Die Nagelschmiede hatten hier eine Handfertigkeit erlangt, die jede Konkurrenz ausschloſs. Die Lütticher Nägel waren gesucht, wegen ihrer Gleichmäſsigkeit und Sauberkeit. Die Landesregierung wendete von jeher diesem Betriebszweige besondere Fürsorge zu, weil es die wichtigste Hausindustrie der ärmeren Bewohner war. Die Nägel waren allein von allen Eisenwaren zollfrei. Es wurden besondere Verordnungen erlassen, um die Arbeiter vor der Ausbeutung durch die Meister zu schützen und um diese Industrie zu erhalten, deren Blüte für den allgemeinen Wohlstand des Landes unentbehrlich war.
Den Nagelhändlern, welche eine besondere Genossenschaft bilde- ten, war nur der auswärtige Handel gestattet. Sie kauften das Grob- eisen in der Grafschaft Namur, lieferten es den Zainhämmern oder Schneidwerken, die es in Nageleisen verwandelten, das alsdann in die Hände der Nagelschmiede (marchotais) gelangte.
Die Stahlbereitung spielte in Lüttich nur eine untergeordnete Rolle, da die Erze hierfür nicht geeignet waren. Man bezog seit alter Zeit her deutschen Schweiſsstahl. Es ist deshalb wohl nur eine von Francquoys patriotischen Phantasien, wenn er aus einem Privileg, welches bereits am 19. Januar 1613 von Ferdinand an einen Waffen- schmied Pier de Coutraye und an Jean van Beulhe verliehen wurde, Eisen in Stahl zu verwandeln, sofort den Schluſs zieht, die Lütticher hätten schon damals die Cementstahlfabrikation gekannt und betrieben. Über das Verfahren der Genannten wissen wir gar nichts und es ist nicht einmal bekannt, ob sie ihr Privileg jemals ausgenutzt haben. Übrigens war ja die Einsatzhärtung damals schon längst bekannt.
Die Anfänge der luxemburgischen Hochofenindustrie sollen in das Jahr 1612 fallen. Vordem wurde das Eisen in Rennwerken ge- wonnen, wie dies auch in Belgien noch vielfach der Fall war. Die Eisengewinnung aus den Erzen blühte besonders im Gebiete von Namur.
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1) Siehe Jars, Metallurgische Reisen, II, S. 784.
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Belgien im 17. Jahrhundert.
Die Nagelfabrikation im Lütticher Lande war von Alters her
sehr bedeutend und bildete einen Hauptzweig der Lütticher Eisen-
industrie. Sie versorgte Belgien und Holland, lieferte nach Spanien
und Deutschland, aber auch nach überseeischen Ländern, besonders
Indien und Amerika. — Diese Fabrikation beschäftigte besonders im
Winter zahlreiche Familien in den Dorfschaften der Umgegend von
Lüttich. Die Nagelschmiede hatten hier eine Handfertigkeit erlangt,
die jede Konkurrenz ausschloſs. Die Lütticher Nägel waren gesucht,
wegen ihrer Gleichmäſsigkeit und Sauberkeit. Die Landesregierung
wendete von jeher diesem Betriebszweige besondere Fürsorge zu, weil
es die wichtigste Hausindustrie der ärmeren Bewohner war. Die Nägel
waren allein von allen Eisenwaren zollfrei. Es wurden besondere
Verordnungen erlassen, um die Arbeiter vor der Ausbeutung durch
die Meister zu schützen und um diese Industrie zu erhalten, deren
Blüte für den allgemeinen Wohlstand des Landes unentbehrlich war.
Den Nagelhändlern, welche eine besondere Genossenschaft bilde-
ten, war nur der auswärtige Handel gestattet. Sie kauften das Grob-
eisen in der Grafschaft Namur, lieferten es den Zainhämmern oder
Schneidwerken, die es in Nageleisen verwandelten, das alsdann in
die Hände der Nagelschmiede (marchotais) gelangte.
Die Stahlbereitung spielte in Lüttich nur eine untergeordnete
Rolle, da die Erze hierfür nicht geeignet waren. Man bezog seit alter
Zeit her deutschen Schweiſsstahl. Es ist deshalb wohl nur eine von
Francquoys patriotischen Phantasien, wenn er aus einem Privileg,
welches bereits am 19. Januar 1613 von Ferdinand an einen Waffen-
schmied Pier de Coutraye und an Jean van Beulhe verliehen
wurde, Eisen in Stahl zu verwandeln, sofort den Schluſs zieht, die
Lütticher hätten schon damals die Cementstahlfabrikation gekannt
und betrieben. Über das Verfahren der Genannten wissen wir gar
nichts und es ist nicht einmal bekannt, ob sie ihr Privileg jemals
ausgenutzt haben. Übrigens war ja die Einsatzhärtung damals schon
längst bekannt.
Die Anfänge der luxemburgischen Hochofenindustrie sollen in
das Jahr 1612 fallen. Vordem wurde das Eisen in Rennwerken ge-
wonnen, wie dies auch in Belgien noch vielfach der Fall war. Die
Eisengewinnung aus den Erzen blühte besonders im Gebiete von
Namur.
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1) Siehe Jars, Metallurgische Reisen, II, S. 784.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 1216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/1238>, abgerufen am 28.11.2024.
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