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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Eisenguss.
werksmässig, wahrscheinlich aus Thon angefertigt gewesen, die Form
war zweiteilig, also mit abhebbarem Kasten eingestampft, aber die
Gussnaht ganz versetzt. Herr Baurat Mothes, der ebenfalls bei der
Besichtigung anwesend war, erwähnte, dass sich in Leipzig ein oder
zwei dieser eigentümlichen Löwen aus Eisen gefunden haben. Er hielt
sie für eine heraldische Dekoration etwa an einem Thor, und wenn
ich mich nicht irre, bemerkte er, dass man ein Exemplar der Art auf
einen Thorpfeiler gesetzt habe. Durch meinen Freund Dr. Hermann
aus Hanau habe ich untenstehende Abbildung (Fig. 302) eines Tieres
der Art erhalten, welches in der unmittelbaren Nähe von Hanau aus-
gegraben worden ist. Ich kann der oben angeführten Ansicht von
Mothes nicht beistimmen, schon der rohen, unkünstlerischen Ausfüh-
rung wegen, vielmehr bin ich durch Vergleichung von Abbildungen u. s. w.
zu der Überzeugung gelangt, dass diese rätselhaften Tiere nichts
anderes waren, als die Füsse grosser Kachelöfen mit eiserner Platten-
[Abbildung] Fig. 302.
bekleidung. Es wäre deshalb
wohl möglich, dass die angeführ-
ten gusseisernen Löwen -- wie die
ältesten Plattenöfen selbst --
dem Ende des 15. Jahrhunderts
entstammten.

Haben wir in dem Vorher-
gehenden die Grenzen der Zeit
zu bestimmen gesucht, bis zu
der die Anwendung des Guss-
eisens hinaufreicht, so wenden
wir uns jetzt zu der Frage, wie
ist diese Erfindung gemacht, wo-
durch ist dieser grosse Umschwung herbeigeführt worden und wie kam
es, dass eine scheinbar so naheliegende, einfache Erfindung erst so
spät in die Welt trat?

Wie alle wichtigen Erfindungen im Gebiete der Technik nicht mit
einem Male als fertige That eines genialen Kopfes zur Erscheinung traten,
sondern aus kleinen Anfängen beginnend, Schritt vor Schritt, oft
unbeachtet sich entwickelten, bis sie dann zu einer gewissen Reife
gelangt als glänzender Fortschritt vor aller Welt erschienen, so war
dies auch mit der Erfindung des Eisengusses der Fall. Keine Über-
lieferung nennt uns den Mann, der hier als Erfinder zu bezeichnen
wäre. Mit Recht, denn einen solchen hat es nicht gegeben. So all-
mählich, schrittweise und von selbst entwickelte sich die Kunst des

Eisenguſs.
werksmäſsig, wahrscheinlich aus Thon angefertigt gewesen, die Form
war zweiteilig, also mit abhebbarem Kasten eingestampft, aber die
Guſsnaht ganz versetzt. Herr Baurat Mothes, der ebenfalls bei der
Besichtigung anwesend war, erwähnte, daſs sich in Leipzig ein oder
zwei dieser eigentümlichen Löwen aus Eisen gefunden haben. Er hielt
sie für eine heraldische Dekoration etwa an einem Thor, und wenn
ich mich nicht irre, bemerkte er, daſs man ein Exemplar der Art auf
einen Thorpfeiler gesetzt habe. Durch meinen Freund Dr. Hermann
aus Hanau habe ich untenstehende Abbildung (Fig. 302) eines Tieres
der Art erhalten, welches in der unmittelbaren Nähe von Hanau aus-
gegraben worden ist. Ich kann der oben angeführten Ansicht von
Mothes nicht beistimmen, schon der rohen, unkünstlerischen Ausfüh-
rung wegen, vielmehr bin ich durch Vergleichung von Abbildungen u. s. w.
zu der Überzeugung gelangt, daſs diese rätselhaften Tiere nichts
anderes waren, als die Füſse groſser Kachelöfen mit eiserner Platten-
[Abbildung] Fig. 302.
bekleidung. Es wäre deshalb
wohl möglich, daſs die angeführ-
ten guſseisernen Löwen — wie die
ältesten Plattenöfen selbst —
dem Ende des 15. Jahrhunderts
entstammten.

Haben wir in dem Vorher-
gehenden die Grenzen der Zeit
zu bestimmen gesucht, bis zu
der die Anwendung des Guſs-
eisens hinaufreicht, so wenden
wir uns jetzt zu der Frage, wie
ist diese Erfindung gemacht, wo-
durch ist dieser groſse Umschwung herbeigeführt worden und wie kam
es, daſs eine scheinbar so naheliegende, einfache Erfindung erst so
spät in die Welt trat?

Wie alle wichtigen Erfindungen im Gebiete der Technik nicht mit
einem Male als fertige That eines genialen Kopfes zur Erscheinung traten,
sondern aus kleinen Anfängen beginnend, Schritt vor Schritt, oft
unbeachtet sich entwickelten, bis sie dann zu einer gewissen Reife
gelangt als glänzender Fortschritt vor aller Welt erschienen, so war
dies auch mit der Erfindung des Eisengusses der Fall. Keine Über-
lieferung nennt uns den Mann, der hier als Erfinder zu bezeichnen
wäre. Mit Recht, denn einen solchen hat es nicht gegeben. So all-
mählich, schrittweise und von selbst entwickelte sich die Kunst des

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[951/0973] Eisenguſs. werksmäſsig, wahrscheinlich aus Thon angefertigt gewesen, die Form war zweiteilig, also mit abhebbarem Kasten eingestampft, aber die Guſsnaht ganz versetzt. Herr Baurat Mothes, der ebenfalls bei der Besichtigung anwesend war, erwähnte, daſs sich in Leipzig ein oder zwei dieser eigentümlichen Löwen aus Eisen gefunden haben. Er hielt sie für eine heraldische Dekoration etwa an einem Thor, und wenn ich mich nicht irre, bemerkte er, daſs man ein Exemplar der Art auf einen Thorpfeiler gesetzt habe. Durch meinen Freund Dr. Hermann aus Hanau habe ich untenstehende Abbildung (Fig. 302) eines Tieres der Art erhalten, welches in der unmittelbaren Nähe von Hanau aus- gegraben worden ist. Ich kann der oben angeführten Ansicht von Mothes nicht beistimmen, schon der rohen, unkünstlerischen Ausfüh- rung wegen, vielmehr bin ich durch Vergleichung von Abbildungen u. s. w. zu der Überzeugung gelangt, daſs diese rätselhaften Tiere nichts anderes waren, als die Füſse groſser Kachelöfen mit eiserner Platten- [Abbildung Fig. 302.] bekleidung. Es wäre deshalb wohl möglich, daſs die angeführ- ten guſseisernen Löwen — wie die ältesten Plattenöfen selbst — dem Ende des 15. Jahrhunderts entstammten. Haben wir in dem Vorher- gehenden die Grenzen der Zeit zu bestimmen gesucht, bis zu der die Anwendung des Guſs- eisens hinaufreicht, so wenden wir uns jetzt zu der Frage, wie ist diese Erfindung gemacht, wo- durch ist dieser groſse Umschwung herbeigeführt worden und wie kam es, daſs eine scheinbar so naheliegende, einfache Erfindung erst so spät in die Welt trat? Wie alle wichtigen Erfindungen im Gebiete der Technik nicht mit einem Male als fertige That eines genialen Kopfes zur Erscheinung traten, sondern aus kleinen Anfängen beginnend, Schritt vor Schritt, oft unbeachtet sich entwickelten, bis sie dann zu einer gewissen Reife gelangt als glänzender Fortschritt vor aller Welt erschienen, so war dies auch mit der Erfindung des Eisengusses der Fall. Keine Über- lieferung nennt uns den Mann, der hier als Erfinder zu bezeichnen wäre. Mit Recht, denn einen solchen hat es nicht gegeben. So all- mählich, schrittweise und von selbst entwickelte sich die Kunst des

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 951. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/973>, abgerufen am 22.11.2024.