Der Scramasax zeigt einen hochaltertümlichen Charakter, es ist die Hiebwaffe, die jeder Schmied ohne grosse Geschicklichkeit dar- stellen kann, da sie nicht aus einer Verbindung von Stahl und Eisen wie das gladius besteht, sondern aus jedem schmiedbaren Eisen her- gestellt werden kann, und die mehr durch ihre Wucht, als durch ihre geschickte Führung, oder ihre harte Schneide wirkt. Wahrscheinlich sind
[Abbildung]
Fig. 236.
[Abbildung]
Fig. 237.
die breves gladii (die Kurzschwerter), welche Tacitus den Nordgermanen zuschreibt, ebenso wie die mucrones, die Spitzschwerter der Quaden, welche Ammianus Mar- cellinus beschreibt 1), Scramasaxen ge- wesen.
Der Scramasax war schon wegen seiner grösseren Billigkeit im Vergleich mit dem zweischneidigen Stahlschwert die verbreitetere Waffe. Er konnte nur beim Kampfe in nächster Nähe benutzt werden. Wenn Hengist deshalb seinen Sachsen bei dem Kampfe gegen die Briten nach der Erzählung des Nennius 2): "Eu Saxonis nimitt eure saxas" zuruft, so ist dies gleichbedeutend mit der Aufforderung, sofort zum Handgemenge überzugehen, den Kampf Mann gegen Mann zu führen. Auch die Helden führten bei ihrer vollständigen Ausrüstung das Hiebmesser neben dem Schwerte. Wenn das Schwert zerbricht und alle Fechtkunst vergeblich ist, dann hilft oft noch der plumpe, aber zuverlässige Scramasax, der mit zwei Händen geführt, durch seine Wucht in den Armen des Helden alles zerbricht. Dies bezeugt die schöne Stelle im Beowulflied, als sein be- rühmtes Langschwert an dem felsenfesten Haupt des Drachen zerbarst, da ergreift er sein einschneidiges Kurzschwert:
"Doch ,Negelin' zerbarst Und versagt im Kampf, die Klinge Beowulfs, Die gute Grauhelle. Nicht gegeben war es ihm, Dass des Schwertes Schneiden durften im Handgemenge helfen u. s. w."
1) Amm. Marc. XVII, 12.
2) Nennius hist. Brit. cap. 46.
Die Germanen.
Der Scramasax zeigt einen hochaltertümlichen Charakter, es ist die Hiebwaffe, die jeder Schmied ohne groſse Geschicklichkeit dar- stellen kann, da sie nicht aus einer Verbindung von Stahl und Eisen wie das gladius besteht, sondern aus jedem schmiedbaren Eisen her- gestellt werden kann, und die mehr durch ihre Wucht, als durch ihre geschickte Führung, oder ihre harte Schneide wirkt. Wahrscheinlich sind
[Abbildung]
Fig. 236.
[Abbildung]
Fig. 237.
die breves gladii (die Kurzschwerter), welche Tacitus den Nordgermanen zuschreibt, ebenso wie die mucrones, die Spitzschwerter der Quaden, welche Ammianus Mar- cellinus beschreibt 1), Scramasaxen ge- wesen.
Der Scramasax war schon wegen seiner gröſseren Billigkeit im Vergleich mit dem zweischneidigen Stahlschwert die verbreitetere Waffe. Er konnte nur beim Kampfe in nächster Nähe benutzt werden. Wenn Hengist deshalb seinen Sachsen bei dem Kampfe gegen die Briten nach der Erzählung des Nennius 2): „Eu Saxonis nimitt eure saxas“ zuruft, so ist dies gleichbedeutend mit der Aufforderung, sofort zum Handgemenge überzugehen, den Kampf Mann gegen Mann zu führen. Auch die Helden führten bei ihrer vollständigen Ausrüstung das Hiebmesser neben dem Schwerte. Wenn das Schwert zerbricht und alle Fechtkunst vergeblich ist, dann hilft oft noch der plumpe, aber zuverlässige Scramasax, der mit zwei Händen geführt, durch seine Wucht in den Armen des Helden alles zerbricht. Dies bezeugt die schöne Stelle im Beowulflied, als sein be- rühmtes Langschwert an dem felsenfesten Haupt des Drachen zerbarst, da ergreift er sein einschneidiges Kurzschwert:
„Doch ‚Negelin‛ zerbarst Und versagt im Kampf, die Klinge Beowulfs, Die gute Grauhelle. Nicht gegeben war es ihm, Daſs des Schwertes Schneiden durften im Handgemenge helfen u. s. w.“
1) Amm. Marc. XVII, 12.
2) Nennius hist. Brit. cap. 46.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0734"n="712"/><fwplace="top"type="header">Die Germanen.</fw><lb/><p>Der Scramasax zeigt einen hochaltertümlichen Charakter, es ist<lb/>
die Hiebwaffe, die jeder Schmied ohne groſse Geschicklichkeit dar-<lb/>
stellen kann, da sie nicht aus einer Verbindung von Stahl und Eisen<lb/>
wie das gladius besteht, sondern aus jedem schmiedbaren Eisen her-<lb/>
gestellt werden kann, und die mehr durch ihre Wucht, als durch ihre<lb/>
geschickte Führung, oder ihre harte Schneide wirkt. Wahrscheinlich sind<lb/><figure><head>Fig. 236.</head></figure><lb/><figure><head>Fig. 237.</head></figure><lb/>
die breves gladii (die Kurzschwerter), welche<lb/>
Tacitus den Nordgermanen zuschreibt,<lb/>
ebenso wie die mucrones, die Spitzschwerter<lb/>
der Quaden, welche Ammianus Mar-<lb/>
cellinus beschreibt <noteplace="foot"n="1)">Amm. Marc. XVII, 12.</note>, Scramasaxen ge-<lb/>
wesen.</p><lb/><p>Der Scramasax war schon wegen<lb/>
seiner gröſseren Billigkeit im Vergleich<lb/>
mit dem zweischneidigen Stahlschwert die<lb/>
verbreitetere Waffe. Er konnte nur beim<lb/>
Kampfe in nächster Nähe benutzt werden.<lb/>
Wenn Hengist deshalb seinen Sachsen bei<lb/>
dem Kampfe gegen die Briten nach der<lb/>
Erzählung des Nennius <noteplace="foot"n="2)">Nennius hist. Brit. cap. 46.</note>: „Eu Saxonis<lb/>
nimitt eure saxas“ zuruft, so ist dies<lb/>
gleichbedeutend mit der Aufforderung,<lb/>
sofort zum Handgemenge überzugehen, den<lb/>
Kampf Mann gegen Mann zu führen. Auch<lb/>
die Helden führten bei ihrer vollständigen<lb/>
Ausrüstung das Hiebmesser neben dem<lb/>
Schwerte. Wenn das Schwert zerbricht<lb/>
und alle Fechtkunst vergeblich ist, dann<lb/>
hilft oft noch der plumpe, aber zuverlässige<lb/>
Scramasax, der mit zwei Händen geführt,<lb/>
durch seine Wucht in den Armen des<lb/>
Helden alles zerbricht. Dies bezeugt die<lb/>
schöne Stelle im Beowulflied, als sein be-<lb/>
rühmtes Langschwert an dem felsenfesten Haupt des Drachen zerbarst,<lb/>
da ergreift er sein einschneidiges Kurzschwert:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Doch ‚Negelin‛ zerbarst</l><lb/><l>Und versagt im Kampf, die Klinge Beowulfs,</l><lb/><l>Die gute Grauhelle. Nicht gegeben war es ihm,</l><lb/><l>Daſs des Schwertes Schneiden durften im Handgemenge</l><lb/><l>helfen u. s. w.“</l></lg><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[712/0734]
Die Germanen.
Der Scramasax zeigt einen hochaltertümlichen Charakter, es ist
die Hiebwaffe, die jeder Schmied ohne groſse Geschicklichkeit dar-
stellen kann, da sie nicht aus einer Verbindung von Stahl und Eisen
wie das gladius besteht, sondern aus jedem schmiedbaren Eisen her-
gestellt werden kann, und die mehr durch ihre Wucht, als durch ihre
geschickte Führung, oder ihre harte Schneide wirkt. Wahrscheinlich sind
[Abbildung Fig. 236.]
[Abbildung Fig. 237.]
die breves gladii (die Kurzschwerter), welche
Tacitus den Nordgermanen zuschreibt,
ebenso wie die mucrones, die Spitzschwerter
der Quaden, welche Ammianus Mar-
cellinus beschreibt 1), Scramasaxen ge-
wesen.
Der Scramasax war schon wegen
seiner gröſseren Billigkeit im Vergleich
mit dem zweischneidigen Stahlschwert die
verbreitetere Waffe. Er konnte nur beim
Kampfe in nächster Nähe benutzt werden.
Wenn Hengist deshalb seinen Sachsen bei
dem Kampfe gegen die Briten nach der
Erzählung des Nennius 2): „Eu Saxonis
nimitt eure saxas“ zuruft, so ist dies
gleichbedeutend mit der Aufforderung,
sofort zum Handgemenge überzugehen, den
Kampf Mann gegen Mann zu führen. Auch
die Helden führten bei ihrer vollständigen
Ausrüstung das Hiebmesser neben dem
Schwerte. Wenn das Schwert zerbricht
und alle Fechtkunst vergeblich ist, dann
hilft oft noch der plumpe, aber zuverlässige
Scramasax, der mit zwei Händen geführt,
durch seine Wucht in den Armen des
Helden alles zerbricht. Dies bezeugt die
schöne Stelle im Beowulflied, als sein be-
rühmtes Langschwert an dem felsenfesten Haupt des Drachen zerbarst,
da ergreift er sein einschneidiges Kurzschwert:
„Doch ‚Negelin‛ zerbarst
Und versagt im Kampf, die Klinge Beowulfs,
Die gute Grauhelle. Nicht gegeben war es ihm,
Daſs des Schwertes Schneiden durften im Handgemenge
helfen u. s. w.“
1) Amm. Marc. XVII, 12.
2) Nennius hist. Brit. cap. 46.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/734>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.