kunstvollen Trinkgeräten in Silber, mit Augen von Edelsteinen und schenkt sie Nidungs schlauem Weibe. Aus den Zähnen macht er ein kunstvolles Halsgehänge für Bathilde. Bathildens grösster Stolz ist ihr herrlicher Ring, aber er zerbricht und nun bringt sie ihn heimlich zu dem rachedürstenden Wieland. Dieser benutzt die Gelegenheit, betäubt sie mit starkem Tranke und entehrt sie. Dann schwingt er sich empor auf seinem Zauberross und erzählt höhnend aus den Lüften dem verzweifelnden Nidung seine Rachethaten. Dies ist die Erzählung des Edda.
Weit ausgeschmückter und farbenprächtiger ist die Sage von Wieland dem Schmied im Amelungenlied 1). Auch hier spielt der Hauptteil der Handlung im Norden. Doch umfasst sie den Rhein, Frankenland und den Berg Glockensachsen, d. h. den Kaukasus, wo Elbrich, der König der Zwerge wohnt. Die Sage geht viel weiter zurück als die kurze Erzählung der Edda, indem Wieland, der un- bekannt in einem selbstgezimmerten Boote in das Land des Königs Neiding, eines norwegischen Fürsten, der sich gegen die Wickinger- könige aufgelehnt hatte, gelangt war, diesem, der ihn infolge seiner wunderbaren Schmiedearbeiten zum Hofmundschenk ernannt hatte, nicht nur die Geschichte seiner eigenen Jugend, sondern auch viele Erlebnisse erzählt. Neiding aber war der Anstifter der Räuber, die Wieland überfallen und beraubt, sein Weib und Kind geschlachtet hatten. Noch ahnt dies Wieland nicht, als er rückhaltslos die Ge- schichte seiner Jugend erzählt. Die Veranlassung zu dieser Erzählung gab Neidings Frage, warum er das wunderbare Schwert, mit dem er den Hofschmied Amilius getötet, Mimur genannt habe? Da erzählt Wieland, dass er, der älteste Sohn des Riesen Wate, der Enkel König Wikings, in das Land der Franken geschickt worden sei, wo der beste der Schmiede lebte, Mime genannt. Wate, der ungeschlachte, aber biedere, gutmütige Recke folgte darin dem Beispiele seines Bruders Nordian, Nordlands König, der seinen Sohn, den "getreuen Eckart", ebenfalls zu Mime in die Lehre geschickt hatte. So erscheint hier Mime in der späten Fassung als kunstvoller Schmied, während er in der Edda eine viel höhere Stellung einnimmt, denn da ist er der Wächter des Brunnens der Wahrheit und des klugen Sinnes; wer aus Mimirs Quelle trinkt, weiss alle Dinge. Mimir war eine Naturgottheit, weit älter als das Asengeschlecht. Auch in den Amelungen erscheint er noch als ein Abkömmling der bösen Riesen, denn er ist ein Bruder des verderb-
1) Übersetzt von Karl Simrock, Stuttgart 1863.
Die Germanen.
kunstvollen Trinkgeräten in Silber, mit Augen von Edelsteinen und schenkt sie Nidungs schlauem Weibe. Aus den Zähnen macht er ein kunstvolles Halsgehänge für Bathilde. Bathildens gröſster Stolz ist ihr herrlicher Ring, aber er zerbricht und nun bringt sie ihn heimlich zu dem rachedürstenden Wieland. Dieser benutzt die Gelegenheit, betäubt sie mit starkem Tranke und entehrt sie. Dann schwingt er sich empor auf seinem Zauberroſs und erzählt höhnend aus den Lüften dem verzweifelnden Nidung seine Rachethaten. Dies ist die Erzählung des Edda.
Weit ausgeschmückter und farbenprächtiger ist die Sage von Wieland dem Schmied im Amelungenlied 1). Auch hier spielt der Hauptteil der Handlung im Norden. Doch umfaſst sie den Rhein, Frankenland und den Berg Glockensachsen, d. h. den Kaukasus, wo Elbrich, der König der Zwerge wohnt. Die Sage geht viel weiter zurück als die kurze Erzählung der Edda, indem Wieland, der un- bekannt in einem selbstgezimmerten Boote in das Land des Königs Neiding, eines norwegischen Fürsten, der sich gegen die Wickinger- könige aufgelehnt hatte, gelangt war, diesem, der ihn infolge seiner wunderbaren Schmiedearbeiten zum Hofmundschenk ernannt hatte, nicht nur die Geschichte seiner eigenen Jugend, sondern auch viele Erlebnisse erzählt. Neiding aber war der Anstifter der Räuber, die Wieland überfallen und beraubt, sein Weib und Kind geschlachtet hatten. Noch ahnt dies Wieland nicht, als er rückhaltslos die Ge- schichte seiner Jugend erzählt. Die Veranlassung zu dieser Erzählung gab Neidings Frage, warum er das wunderbare Schwert, mit dem er den Hofschmied Amilius getötet, Mimur genannt habe? Da erzählt Wieland, daſs er, der älteste Sohn des Riesen Wate, der Enkel König Wikings, in das Land der Franken geschickt worden sei, wo der beste der Schmiede lebte, Mime genannt. Wate, der ungeschlachte, aber biedere, gutmütige Recke folgte darin dem Beispiele seines Bruders Nordian, Nordlands König, der seinen Sohn, den „getreuen Eckart“, ebenfalls zu Mime in die Lehre geschickt hatte. So erscheint hier Mime in der späten Fassung als kunstvoller Schmied, während er in der Edda eine viel höhere Stellung einnimmt, denn da ist er der Wächter des Brunnens der Wahrheit und des klugen Sinnes; wer aus Mimirs Quelle trinkt, weiſs alle Dinge. Mimir war eine Naturgottheit, weit älter als das Asengeschlecht. Auch in den Amelungen erscheint er noch als ein Abkömmling der bösen Riesen, denn er ist ein Bruder des verderb-
1) Übersetzt von Karl Simrock, Stuttgart 1863.
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Die Germanen.
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schenkt sie Nidungs schlauem Weibe. Aus den Zähnen macht er ein
kunstvolles Halsgehänge für Bathilde. Bathildens gröſster Stolz ist
ihr herrlicher Ring, aber er zerbricht und nun bringt sie ihn heimlich
zu dem rachedürstenden Wieland. Dieser benutzt die Gelegenheit,
betäubt sie mit starkem Tranke und entehrt sie. Dann schwingt er
sich empor auf seinem Zauberroſs und erzählt höhnend aus den Lüften
dem verzweifelnden Nidung seine Rachethaten. Dies ist die Erzählung
des Edda.
Weit ausgeschmückter und farbenprächtiger ist die Sage von
Wieland dem Schmied im Amelungenlied 1). Auch hier spielt der
Hauptteil der Handlung im Norden. Doch umfaſst sie den Rhein,
Frankenland und den Berg Glockensachsen, d. h. den Kaukasus, wo
Elbrich, der König der Zwerge wohnt. Die Sage geht viel weiter
zurück als die kurze Erzählung der Edda, indem Wieland, der un-
bekannt in einem selbstgezimmerten Boote in das Land des Königs
Neiding, eines norwegischen Fürsten, der sich gegen die Wickinger-
könige aufgelehnt hatte, gelangt war, diesem, der ihn infolge seiner
wunderbaren Schmiedearbeiten zum Hofmundschenk ernannt hatte,
nicht nur die Geschichte seiner eigenen Jugend, sondern auch viele
Erlebnisse erzählt. Neiding aber war der Anstifter der Räuber, die
Wieland überfallen und beraubt, sein Weib und Kind geschlachtet
hatten. Noch ahnt dies Wieland nicht, als er rückhaltslos die Ge-
schichte seiner Jugend erzählt. Die Veranlassung zu dieser Erzählung
gab Neidings Frage, warum er das wunderbare Schwert, mit dem er
den Hofschmied Amilius getötet, Mimur genannt habe? Da erzählt
Wieland, daſs er, der älteste Sohn des Riesen Wate, der Enkel König
Wikings, in das Land der Franken geschickt worden sei, wo der beste der
Schmiede lebte, Mime genannt. Wate, der ungeschlachte, aber biedere,
gutmütige Recke folgte darin dem Beispiele seines Bruders Nordian,
Nordlands König, der seinen Sohn, den „getreuen Eckart“, ebenfalls zu
Mime in die Lehre geschickt hatte. So erscheint hier Mime in der
späten Fassung als kunstvoller Schmied, während er in der Edda eine
viel höhere Stellung einnimmt, denn da ist er der Wächter des Brunnens
der Wahrheit und des klugen Sinnes; wer aus Mimirs Quelle trinkt,
weiſs alle Dinge. Mimir war eine Naturgottheit, weit älter als das
Asengeschlecht. Auch in den Amelungen erscheint er noch als ein
Abkömmling der bösen Riesen, denn er ist ein Bruder des verderb-
1) Übersetzt von Karl Simrock, Stuttgart 1863.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/708>, abgerufen am 22.11.2024.
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