den alten Trümmern. Aber das Eisen war unentbehrlich für den Männer- mord. Gerade in der bluttriefenden Zeit, die man mit dem harmlosen Namen der Völkerwanderung bezeichnet, bewährte es seine Überlegen- heit gegenüber allen anderen Metallen. Die goldschimmernden Re- nomierschwerter der vornehmen Römer wurden zur Lächerlichkeit gegenüber dem Stahlschwert und der eisernen Streitaxt der Germanen, dem Skramasax und der Franziska. So hat denn auch die Eisen- industrie im grossen und ganzen durch die Völkerwanderung doch bei weitem weniger gelitten als alle anderen Metallindustrieen, ja sie hat den Sieg davon getragen. Namentlich blieben die eigentlichen Er- zeugungsplätze "im einsamen Waldthal" meist unberührt von dem Kriegsgetümmel und es verdoppelte sich daselbst infolge des grösseren Bedarfs die Thätigkeit.
In den Gewinnungsmethoden, in dem technischen Verfahren, trat zunächst keine Änderung ein und wir könnten in unserer Darstellung der Entwickelung der Eisenindustrie ohne weiteres, an die römische Zeit an- knüpfend, fortfahren, wenn wir durch diese für Europa grundlegende, bestimmende, formgebende Umwälzung der Völkerwanderung nicht veranlasst würden, auch auf die Vorgeschichte der europäischen Völkerfamilien, die von da ab bestimmend für die Geschichte des Erdteils und danach auch für die Geschichte der ganzen Erde wurde, an welche sich auch die ganze weitere Fortbildung der Eisenindustrie knüpft, einen Blick zu werfen.
Direkte Überlieferungen haben uns diese alten Bewohner Europas nicht hinterlassen. Sie verstanden noch nicht die Kunst der Schrift und waren in ihrer Bildung nicht bis zur Aufzeichnung ihrer Erleb- nisse vorgeschritten. Was wir über sie wissen, müssen wir kombinieren aus den spärlichen Überlieferungen der Schriftsteller des klassischen Altertums und aus archäologischen Funden. So tritt für diese sogenannte "prähistorische Zeit" die Archäologie in den Vordergrund, die bekanntlich noch eine sehr junge Wissenschaft ist. Sie führt uns in ein nebelhaftes Land, wo feste Anhaltspunkte fehlen, wo infolgedessen der Phantasie, der Hypothese Thür und Thor geöffnet sind. Da wir auf praktischem Boden stehen und Thatsachen suchen, wollen wir auf die- sem Gebiete nicht allzuweit vordringen.
Dass es eine Zeit gegeben hat, wo die Menschen den Gebrauch der Metalle noch nicht kannten, sondern sich zu ihren Waffen und Werk- zeugen der von der Natur direkt gebotenen Hilfsmittel, der Steine, des Holzes, der Knochen bedienen mussten, ist a priori klar und konnte nur von verschrobenen Theologen, welche daraus, dass Adam nach
Einleitung zum Mittelalter.
den alten Trümmern. Aber das Eisen war unentbehrlich für den Männer- mord. Gerade in der bluttriefenden Zeit, die man mit dem harmlosen Namen der Völkerwanderung bezeichnet, bewährte es seine Überlegen- heit gegenüber allen anderen Metallen. Die goldschimmernden Re- nomierschwerter der vornehmen Römer wurden zur Lächerlichkeit gegenüber dem Stahlschwert und der eisernen Streitaxt der Germanen, dem Skramasax und der Franziska. So hat denn auch die Eisen- industrie im groſsen und ganzen durch die Völkerwanderung doch bei weitem weniger gelitten als alle anderen Metallindustrieen, ja sie hat den Sieg davon getragen. Namentlich blieben die eigentlichen Er- zeugungsplätze „im einsamen Waldthal“ meist unberührt von dem Kriegsgetümmel und es verdoppelte sich daselbst infolge des gröſseren Bedarfs die Thätigkeit.
In den Gewinnungsmethoden, in dem technischen Verfahren, trat zunächst keine Änderung ein und wir könnten in unserer Darstellung der Entwickelung der Eisenindustrie ohne weiteres, an die römische Zeit an- knüpfend, fortfahren, wenn wir durch diese für Europa grundlegende, bestimmende, formgebende Umwälzung der Völkerwanderung nicht veranlaſst würden, auch auf die Vorgeschichte der europäischen Völkerfamilien, die von da ab bestimmend für die Geschichte des Erdteils und danach auch für die Geschichte der ganzen Erde wurde, an welche sich auch die ganze weitere Fortbildung der Eisenindustrie knüpft, einen Blick zu werfen.
Direkte Überlieferungen haben uns diese alten Bewohner Europas nicht hinterlassen. Sie verstanden noch nicht die Kunst der Schrift und waren in ihrer Bildung nicht bis zur Aufzeichnung ihrer Erleb- nisse vorgeschritten. Was wir über sie wissen, müssen wir kombinieren aus den spärlichen Überlieferungen der Schriftsteller des klassischen Altertums und aus archäologischen Funden. So tritt für diese sogenannte „prähistorische Zeit“ die Archäologie in den Vordergrund, die bekanntlich noch eine sehr junge Wissenschaft ist. Sie führt uns in ein nebelhaftes Land, wo feste Anhaltspunkte fehlen, wo infolgedessen der Phantasie, der Hypothese Thür und Thor geöffnet sind. Da wir auf praktischem Boden stehen und Thatsachen suchen, wollen wir auf die- sem Gebiete nicht allzuweit vordringen.
Daſs es eine Zeit gegeben hat, wo die Menschen den Gebrauch der Metalle noch nicht kannten, sondern sich zu ihren Waffen und Werk- zeugen der von der Natur direkt gebotenen Hilfsmittel, der Steine, des Holzes, der Knochen bedienen muſsten, ist a priori klar und konnte nur von verschrobenen Theologen, welche daraus, daſs Adam nach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0608"n="586"/><fwplace="top"type="header">Einleitung zum Mittelalter.</fw><lb/>
den alten Trümmern. Aber das Eisen war unentbehrlich für den Männer-<lb/>
mord. Gerade in der bluttriefenden Zeit, die man mit dem harmlosen<lb/>
Namen der Völkerwanderung bezeichnet, bewährte es seine Überlegen-<lb/>
heit gegenüber allen anderen Metallen. Die goldschimmernden Re-<lb/>
nomierschwerter der vornehmen Römer wurden zur Lächerlichkeit<lb/>
gegenüber dem Stahlschwert und der eisernen Streitaxt der Germanen,<lb/>
dem Skramasax und der Franziska. So hat denn auch die Eisen-<lb/>
industrie im groſsen und ganzen durch die Völkerwanderung doch bei<lb/>
weitem weniger gelitten als alle anderen Metallindustrieen, ja sie hat<lb/>
den Sieg davon getragen. Namentlich blieben die eigentlichen Er-<lb/>
zeugungsplätze „im einsamen Waldthal“ meist unberührt von dem<lb/>
Kriegsgetümmel und es verdoppelte sich daselbst infolge des gröſseren<lb/>
Bedarfs die Thätigkeit.</p><lb/><p>In den Gewinnungsmethoden, in dem technischen Verfahren, trat<lb/>
zunächst keine Änderung ein und wir könnten in unserer Darstellung der<lb/>
Entwickelung der Eisenindustrie ohne weiteres, an die römische Zeit an-<lb/>
knüpfend, fortfahren, wenn wir durch diese für Europa grundlegende,<lb/>
bestimmende, formgebende Umwälzung der Völkerwanderung nicht<lb/>
veranlaſst würden, auch auf die <hirendition="#g">Vorgeschichte der europäischen<lb/>
Völkerfamilien</hi>, die von da ab bestimmend für die Geschichte des<lb/>
Erdteils und danach auch für die Geschichte der ganzen Erde wurde,<lb/>
an welche sich auch die ganze weitere Fortbildung der Eisenindustrie<lb/>
knüpft, einen Blick zu werfen.</p><lb/><p>Direkte Überlieferungen haben uns diese alten Bewohner Europas<lb/>
nicht hinterlassen. Sie verstanden noch nicht die Kunst der Schrift<lb/>
und waren in ihrer Bildung nicht bis zur Aufzeichnung ihrer Erleb-<lb/>
nisse vorgeschritten. Was wir über sie wissen, müssen wir kombinieren<lb/>
aus den spärlichen Überlieferungen der Schriftsteller des klassischen<lb/>
Altertums und aus archäologischen Funden. So tritt für diese sogenannte<lb/>„<hirendition="#g">prähistorische Zeit</hi>“ die Archäologie in den Vordergrund, die<lb/>
bekanntlich noch eine sehr junge Wissenschaft ist. Sie führt uns in ein<lb/>
nebelhaftes Land, wo feste Anhaltspunkte fehlen, wo infolgedessen der<lb/>
Phantasie, der Hypothese Thür und Thor geöffnet sind. Da wir auf<lb/>
praktischem Boden stehen und Thatsachen suchen, wollen wir auf die-<lb/>
sem Gebiete nicht allzuweit vordringen.</p><lb/><p>Daſs es eine Zeit gegeben hat, wo die Menschen den Gebrauch der<lb/>
Metalle noch nicht kannten, sondern sich zu ihren Waffen und Werk-<lb/>
zeugen der von der Natur direkt gebotenen Hilfsmittel, der Steine, des<lb/>
Holzes, der Knochen bedienen muſsten, ist a priori klar und konnte<lb/>
nur von verschrobenen Theologen, welche daraus, daſs Adam nach<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[586/0608]
Einleitung zum Mittelalter.
den alten Trümmern. Aber das Eisen war unentbehrlich für den Männer-
mord. Gerade in der bluttriefenden Zeit, die man mit dem harmlosen
Namen der Völkerwanderung bezeichnet, bewährte es seine Überlegen-
heit gegenüber allen anderen Metallen. Die goldschimmernden Re-
nomierschwerter der vornehmen Römer wurden zur Lächerlichkeit
gegenüber dem Stahlschwert und der eisernen Streitaxt der Germanen,
dem Skramasax und der Franziska. So hat denn auch die Eisen-
industrie im groſsen und ganzen durch die Völkerwanderung doch bei
weitem weniger gelitten als alle anderen Metallindustrieen, ja sie hat
den Sieg davon getragen. Namentlich blieben die eigentlichen Er-
zeugungsplätze „im einsamen Waldthal“ meist unberührt von dem
Kriegsgetümmel und es verdoppelte sich daselbst infolge des gröſseren
Bedarfs die Thätigkeit.
In den Gewinnungsmethoden, in dem technischen Verfahren, trat
zunächst keine Änderung ein und wir könnten in unserer Darstellung der
Entwickelung der Eisenindustrie ohne weiteres, an die römische Zeit an-
knüpfend, fortfahren, wenn wir durch diese für Europa grundlegende,
bestimmende, formgebende Umwälzung der Völkerwanderung nicht
veranlaſst würden, auch auf die Vorgeschichte der europäischen
Völkerfamilien, die von da ab bestimmend für die Geschichte des
Erdteils und danach auch für die Geschichte der ganzen Erde wurde,
an welche sich auch die ganze weitere Fortbildung der Eisenindustrie
knüpft, einen Blick zu werfen.
Direkte Überlieferungen haben uns diese alten Bewohner Europas
nicht hinterlassen. Sie verstanden noch nicht die Kunst der Schrift
und waren in ihrer Bildung nicht bis zur Aufzeichnung ihrer Erleb-
nisse vorgeschritten. Was wir über sie wissen, müssen wir kombinieren
aus den spärlichen Überlieferungen der Schriftsteller des klassischen
Altertums und aus archäologischen Funden. So tritt für diese sogenannte
„prähistorische Zeit“ die Archäologie in den Vordergrund, die
bekanntlich noch eine sehr junge Wissenschaft ist. Sie führt uns in ein
nebelhaftes Land, wo feste Anhaltspunkte fehlen, wo infolgedessen der
Phantasie, der Hypothese Thür und Thor geöffnet sind. Da wir auf
praktischem Boden stehen und Thatsachen suchen, wollen wir auf die-
sem Gebiete nicht allzuweit vordringen.
Daſs es eine Zeit gegeben hat, wo die Menschen den Gebrauch der
Metalle noch nicht kannten, sondern sich zu ihren Waffen und Werk-
zeugen der von der Natur direkt gebotenen Hilfsmittel, der Steine, des
Holzes, der Knochen bedienen muſsten, ist a priori klar und konnte
nur von verschrobenen Theologen, welche daraus, daſs Adam nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/608>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.