Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.nur jetzt um Gottes Willen keine Ungerechtigkeit! Hier steht der junge Held, dem du es dankst, daß du mich noch hast, daß unsere Kinder noch eine Mutter haben, daß unser Mariechen noch athmet. Ich habe ihm meinen Dank dargebracht nach altritterlicher Frauen Weise, wie du ihm danken wirst, muß ich deinem Gefühl überlassen. Ich weiß, du wirst so danken, wie es deiner würdig ist. -- Der Erbgraf faßte sich mühsam, aber er faßte sich, und trat einige Schritte näher zu Ludwig, indem er das Wort nahm: Der Herr Vetter hört hier ein Echo der letzten guten Lehre, welche mir die Frau Großmutter gab; hätte ich doch kaum geglaubt, daß ein Schall von Varel bis zu Schloß Kniphausen reiche. Bin ich in der That so hoch verpflichteter Schuldner geworden, so will ich jetzt nicht mit Worten danken, sondern später durch Thaten. Niemand soll sagen, Schloß Kniphausen sei ein ungastliches Haus geworden, also bis auf Weiteres einstweilen zwischen uns -- Waffenstillstand. Froh bewegt, Thränen der Rührung und Freude in den Augen, eilte Ottoline zum Tische und ergriff den kunstvollen Becher, füllte ihn auf's Neue, hob ihn gegen den Gemahl und sprach: Ich habe den Pokal dem Retter meines Lebens, dem theuern Gaste, kredenzt. Jetzt trinke auch du mit uns, mein Wilhelm, und sei eingedenk, daß dieser Pokal ein Denkmal ist erneuter Eintracht, die auf Zwietracht folgte, ein Symbol für friedliche und wohlwollende Gesinnung, daß die Stunde, die sein Entstehen aus Künstlerhand hervorrief, eine wichtigere, feierlichere nicht sein konnte, als diese, die wir so eben feiern -- denn jene Versöhnung streitender Glieder einer getrennten Familie, die wieder zu einer einzigen werden wollten, galt doch nur dem Mein und Dein des irdischen Besitzthums, während wir ungleich inniger danken sollten für ein höheres neugeschenktes Besitzthum. Darum nicht Waffenstillstand, sondern -- Versöhnung! Hochgnädige Frau Gräfin, nahm Ludwig das Wort: Ihre Güte beschämt mich zu tief. Lassen Sie mich scheiden mit der Versicherung, daß Sie mir mehr als verdient, ja überschwänglich gedankt! Die junge, im Jahre 1773 geborene, mithin erst im 21sten Lebensjahre stehende liebliche und anmuthvolle Frau, erst seit dem Monat October 1791 mit dem Erbgrafen vermählt, hatte keine Ahnung davon, wie sehr und wie tief sie den Stolz ihres Gemahls durch nur jetzt um Gottes Willen keine Ungerechtigkeit! Hier steht der junge Held, dem du es dankst, daß du mich noch hast, daß unsere Kinder noch eine Mutter haben, daß unser Mariechen noch athmet. Ich habe ihm meinen Dank dargebracht nach altritterlicher Frauen Weise, wie du ihm danken wirst, muß ich deinem Gefühl überlassen. Ich weiß, du wirst so danken, wie es deiner würdig ist. — Der Erbgraf faßte sich mühsam, aber er faßte sich, und trat einige Schritte näher zu Ludwig, indem er das Wort nahm: Der Herr Vetter hört hier ein Echo der letzten guten Lehre, welche mir die Frau Großmutter gab; hätte ich doch kaum geglaubt, daß ein Schall von Varel bis zu Schloß Kniphausen reiche. Bin ich in der That so hoch verpflichteter Schuldner geworden, so will ich jetzt nicht mit Worten danken, sondern später durch Thaten. Niemand soll sagen, Schloß Kniphausen sei ein ungastliches Haus geworden, also bis auf Weiteres einstweilen zwischen uns — Waffenstillstand. Froh bewegt, Thränen der Rührung und Freude in den Augen, eilte Ottoline zum Tische und ergriff den kunstvollen Becher, füllte ihn auf’s Neue, hob ihn gegen den Gemahl und sprach: Ich habe den Pokal dem Retter meines Lebens, dem theuern Gaste, kredenzt. Jetzt trinke auch du mit uns, mein Wilhelm, und sei eingedenk, daß dieser Pokal ein Denkmal ist erneuter Eintracht, die auf Zwietracht folgte, ein Symbol für friedliche und wohlwollende Gesinnung, daß die Stunde, die sein Entstehen aus Künstlerhand hervorrief, eine wichtigere, feierlichere nicht sein konnte, als diese, die wir so eben feiern — denn jene Versöhnung streitender Glieder einer getrennten Familie, die wieder zu einer einzigen werden wollten, galt doch nur dem Mein und Dein des irdischen Besitzthums, während wir ungleich inniger danken sollten für ein höheres neugeschenktes Besitzthum. Darum nicht Waffenstillstand, sondern — Versöhnung! Hochgnädige Frau Gräfin, nahm Ludwig das Wort: Ihre Güte beschämt mich zu tief. Lassen Sie mich scheiden mit der Versicherung, daß Sie mir mehr als verdient, ja überschwänglich gedankt! Die junge, im Jahre 1773 geborene, mithin erst im 21sten Lebensjahre stehende liebliche und anmuthvolle Frau, erst seit dem Monat October 1791 mit dem Erbgrafen vermählt, hatte keine Ahnung davon, wie sehr und wie tief sie den Stolz ihres Gemahls durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="62"/> nur jetzt um Gottes Willen keine Ungerechtigkeit! Hier steht der junge Held, dem du es dankst, daß du mich noch hast, daß unsere Kinder noch eine Mutter haben, daß unser Mariechen noch athmet. Ich habe ihm meinen Dank dargebracht nach altritterlicher Frauen Weise, wie du ihm danken wirst, muß ich deinem Gefühl überlassen. Ich weiß, du wirst so danken, wie es deiner würdig ist. — Der Erbgraf faßte sich mühsam, aber er faßte sich, und trat einige Schritte näher zu Ludwig, indem er das Wort nahm: Der Herr Vetter hört hier ein Echo der letzten guten Lehre, welche mir die Frau Großmutter gab; hätte ich doch kaum geglaubt, daß ein Schall von Varel bis zu Schloß Kniphausen reiche. Bin ich in der That so hoch verpflichteter Schuldner geworden, so will ich jetzt nicht mit Worten danken, sondern später durch Thaten. Niemand soll sagen, Schloß Kniphausen sei ein ungastliches Haus geworden, also bis auf Weiteres einstweilen zwischen uns — Waffenstillstand.</p> <p>Froh bewegt, Thränen der Rührung und Freude in den Augen, eilte Ottoline zum Tische und ergriff den kunstvollen Becher, füllte ihn auf’s Neue, hob ihn gegen den Gemahl und sprach: <hi rendition="#g">Ich</hi> habe den Pokal dem Retter meines Lebens, dem theuern Gaste, kredenzt. Jetzt trinke auch du mit uns, mein Wilhelm, und sei eingedenk, daß dieser Pokal ein Denkmal ist erneuter Eintracht, die auf Zwietracht folgte, ein Symbol für friedliche und wohlwollende Gesinnung, daß die Stunde, die sein Entstehen aus Künstlerhand hervorrief, eine wichtigere, feierlichere nicht sein konnte, als diese, die wir so eben feiern — denn jene Versöhnung streitender Glieder einer getrennten Familie, die wieder zu einer einzigen werden wollten, galt doch nur dem Mein und Dein des irdischen Besitzthums, während wir ungleich inniger danken sollten für ein höheres neugeschenktes Besitzthum. Darum nicht Waffenstillstand, sondern — Versöhnung!</p> <p>Hochgnädige Frau Gräfin, nahm Ludwig das Wort: Ihre Güte beschämt mich zu tief. 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nur jetzt um Gottes Willen keine Ungerechtigkeit! Hier steht der junge Held, dem du es dankst, daß du mich noch hast, daß unsere Kinder noch eine Mutter haben, daß unser Mariechen noch athmet. Ich habe ihm meinen Dank dargebracht nach altritterlicher Frauen Weise, wie du ihm danken wirst, muß ich deinem Gefühl überlassen. Ich weiß, du wirst so danken, wie es deiner würdig ist. — Der Erbgraf faßte sich mühsam, aber er faßte sich, und trat einige Schritte näher zu Ludwig, indem er das Wort nahm: Der Herr Vetter hört hier ein Echo der letzten guten Lehre, welche mir die Frau Großmutter gab; hätte ich doch kaum geglaubt, daß ein Schall von Varel bis zu Schloß Kniphausen reiche. Bin ich in der That so hoch verpflichteter Schuldner geworden, so will ich jetzt nicht mit Worten danken, sondern später durch Thaten. Niemand soll sagen, Schloß Kniphausen sei ein ungastliches Haus geworden, also bis auf Weiteres einstweilen zwischen uns — Waffenstillstand.
Froh bewegt, Thränen der Rührung und Freude in den Augen, eilte Ottoline zum Tische und ergriff den kunstvollen Becher, füllte ihn auf’s Neue, hob ihn gegen den Gemahl und sprach: Ich habe den Pokal dem Retter meines Lebens, dem theuern Gaste, kredenzt. Jetzt trinke auch du mit uns, mein Wilhelm, und sei eingedenk, daß dieser Pokal ein Denkmal ist erneuter Eintracht, die auf Zwietracht folgte, ein Symbol für friedliche und wohlwollende Gesinnung, daß die Stunde, die sein Entstehen aus Künstlerhand hervorrief, eine wichtigere, feierlichere nicht sein konnte, als diese, die wir so eben feiern — denn jene Versöhnung streitender Glieder einer getrennten Familie, die wieder zu einer einzigen werden wollten, galt doch nur dem Mein und Dein des irdischen Besitzthums, während wir ungleich inniger danken sollten für ein höheres neugeschenktes Besitzthum. Darum nicht Waffenstillstand, sondern — Versöhnung!
Hochgnädige Frau Gräfin, nahm Ludwig das Wort: Ihre Güte beschämt mich zu tief. Lassen Sie mich scheiden mit der Versicherung, daß Sie mir mehr als verdient, ja überschwänglich gedankt!
Die junge, im Jahre 1773 geborene, mithin erst im 21sten Lebensjahre stehende liebliche und anmuthvolle Frau, erst seit dem Monat October 1791 mit dem Erbgrafen vermählt, hatte keine Ahnung davon, wie sehr und wie tief sie den Stolz ihres Gemahls durch
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