Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

vorüber, bis fast nahe zu den Deichdämmen des Jahdebusens, in die Herrlichkeit (soviel als Herrschaft) Gödens hinein und hindurch und endlich in die Herrlichkeit Kniphausen.

Schon erhob sich vor den Blicken des Reiters das stattliche alterthümliche und feste Herrenschloß. Ludwig dachte nicht daran, auf dasselbe, das Besitzthum des Mannes zuzureiten, der sein einziger, aber auch zugleich sein bitterster Feind war, sondern wollte dasselbe rechts liegen lassen, mit seinem Diener noch bis Jever reiten, und dort Nachtrast halten. Ludwig kannte jenes Schloß; die Großmutter hatte mit ihm auch dort bisweilen gewohnt, da der Vetter meist sich in den Niederlanden aufhielt, es war groß und reich ausgestattet. Die Gedanken des jungen Grafen konnten sich, so lange er in dem Bereiche der Besitzungen der Familie sich befand, in der er sich selbst von den ersten Jugenderinnerungen an gefunden und heimisch gefühlt, von dieser nicht losreißen. Er dachte beim Anblick des Schlosses auch an den jüngern Vetter, den Grafen Johann Carl, der sein Vaterland verlassen hatte, um in England Kriegsdienste zu nehmen. Dieser hatte sich mit dem älteren Bruder nie recht vertragen. Ebenso war der Oheim, der zweite Sohn der Großmutter, in englischen Seedienst gegangen, hatte sich dort vermählt und eine jüngere Linie begründet. Diesen hatte Ludwig nicht gekannt; er war vor des Letzteren Geburt bereits im Jahre 1775 verstorben. --

Als am Morgen dieses Tages der Erbherr mißmuthig und schweigsam aus dem Schlosse Varel fuhr, war es seine Absicht, nur bis zum Strande zu fahren, und sich auf seiner Jacht einzuschiffen, seine Dienerschaft aber, bis auf die nöthigste, wieder zurückzusenden. Mit aufgeregtem und grollendem Gemüth, und weit mehr von Haß und Aerger gegen die Großmutter, als gegen den ihm im Wege stehenden Verwandten erfüllt, sehnte er sich wieder auf das Meer, dessen stürmisch bewegte Wellen zu dem unruhevollen Wogen seines Gemüthes paßten. Er wollte dann in rascher Fahrt aus dem Jahdebusen steuern und längs der Inselkette der Nordseeküste, von Wangerooge bis Norderney und Ameland segeln, dann durch die Watten in die Zuyder-See einlaufen und Amsterdam gewinnen, wo jetzt der Schauplatz seiner politischen Thätigkeit war. Vor der Einschiffung aber wollte der Graf einen Weg, den seine Vorfahren um die Mitte des Jahrhunderts angelegt hatten, der in Abfall gekommen und durch ihn erneut worden

vorüber, bis fast nahe zu den Deichdämmen des Jahdebusens, in die Herrlichkeit (soviel als Herrschaft) Gödens hinein und hindurch und endlich in die Herrlichkeit Kniphausen.

Schon erhob sich vor den Blicken des Reiters das stattliche alterthümliche und feste Herrenschloß. Ludwig dachte nicht daran, auf dasselbe, das Besitzthum des Mannes zuzureiten, der sein einziger, aber auch zugleich sein bitterster Feind war, sondern wollte dasselbe rechts liegen lassen, mit seinem Diener noch bis Jever reiten, und dort Nachtrast halten. Ludwig kannte jenes Schloß; die Großmutter hatte mit ihm auch dort bisweilen gewohnt, da der Vetter meist sich in den Niederlanden aufhielt, es war groß und reich ausgestattet. Die Gedanken des jungen Grafen konnten sich, so lange er in dem Bereiche der Besitzungen der Familie sich befand, in der er sich selbst von den ersten Jugenderinnerungen an gefunden und heimisch gefühlt, von dieser nicht losreißen. Er dachte beim Anblick des Schlosses auch an den jüngern Vetter, den Grafen Johann Carl, der sein Vaterland verlassen hatte, um in England Kriegsdienste zu nehmen. Dieser hatte sich mit dem älteren Bruder nie recht vertragen. Ebenso war der Oheim, der zweite Sohn der Großmutter, in englischen Seedienst gegangen, hatte sich dort vermählt und eine jüngere Linie begründet. Diesen hatte Ludwig nicht gekannt; er war vor des Letzteren Geburt bereits im Jahre 1775 verstorben. —

Als am Morgen dieses Tages der Erbherr mißmuthig und schweigsam aus dem Schlosse Varel fuhr, war es seine Absicht, nur bis zum Strande zu fahren, und sich auf seiner Jacht einzuschiffen, seine Dienerschaft aber, bis auf die nöthigste, wieder zurückzusenden. Mit aufgeregtem und grollendem Gemüth, und weit mehr von Haß und Aerger gegen die Großmutter, als gegen den ihm im Wege stehenden Verwandten erfüllt, sehnte er sich wieder auf das Meer, dessen stürmisch bewegte Wellen zu dem unruhevollen Wogen seines Gemüthes paßten. Er wollte dann in rascher Fahrt aus dem Jahdebusen steuern und längs der Inselkette der Nordseeküste, von Wangerooge bis Norderney und Ameland segeln, dann durch die Watten in die Zuyder-See einlaufen und Amsterdam gewinnen, wo jetzt der Schauplatz seiner politischen Thätigkeit war. Vor der Einschiffung aber wollte der Graf einen Weg, den seine Vorfahren um die Mitte des Jahrhunderts angelegt hatten, der in Abfall gekommen und durch ihn erneut worden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="50"/>
vorüber, bis fast nahe zu den Deichdämmen des Jahdebusens, in die Herrlichkeit (soviel als Herrschaft) Gödens hinein und hindurch und endlich in die Herrlichkeit Kniphausen.</p>
          <p>Schon erhob sich vor den Blicken des Reiters das stattliche alterthümliche und feste Herrenschloß. Ludwig dachte nicht daran, auf dasselbe, das Besitzthum des Mannes zuzureiten, der sein einziger, aber auch zugleich sein bitterster Feind war, sondern wollte dasselbe rechts liegen lassen, mit seinem Diener noch bis Jever reiten, und dort Nachtrast halten. Ludwig kannte jenes Schloß; die Großmutter hatte mit ihm auch dort bisweilen gewohnt, da der Vetter meist sich in den Niederlanden aufhielt, es war groß und reich ausgestattet. Die Gedanken des jungen Grafen konnten sich, so lange er in dem Bereiche der Besitzungen der Familie sich befand, in der er sich selbst von den ersten Jugenderinnerungen an gefunden und heimisch gefühlt, von dieser nicht losreißen. Er dachte beim Anblick des Schlosses auch an den jüngern Vetter, den Grafen Johann Carl, der sein Vaterland verlassen hatte, um in England Kriegsdienste zu nehmen. Dieser hatte sich mit dem älteren Bruder nie recht vertragen. Ebenso war der Oheim, der zweite Sohn der Großmutter, in englischen Seedienst gegangen, hatte sich dort vermählt und eine jüngere Linie begründet. Diesen hatte Ludwig nicht gekannt; er war vor des Letzteren Geburt bereits im Jahre 1775 verstorben. &#x2014;</p>
          <p>Als am Morgen dieses Tages der Erbherr mißmuthig und schweigsam aus dem Schlosse Varel fuhr, war es seine Absicht, nur bis zum Strande zu fahren, und sich auf seiner Jacht einzuschiffen, seine Dienerschaft aber, bis auf die nöthigste, wieder zurückzusenden. Mit aufgeregtem und grollendem Gemüth, und weit mehr von Haß und Aerger gegen die Großmutter, als gegen den ihm im Wege stehenden Verwandten erfüllt, sehnte er sich wieder auf das Meer, dessen stürmisch bewegte Wellen zu dem unruhevollen Wogen seines Gemüthes paßten. Er wollte dann in rascher Fahrt aus dem Jahdebusen steuern und längs der Inselkette der Nordseeküste, von Wangerooge bis Norderney und Ameland segeln, dann durch die Watten in die Zuyder-See einlaufen und Amsterdam gewinnen, wo jetzt der Schauplatz seiner politischen Thätigkeit war. Vor der Einschiffung aber wollte der Graf einen Weg, den seine Vorfahren um die Mitte des Jahrhunderts angelegt hatten, der in Abfall gekommen und durch ihn erneut worden
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0054] vorüber, bis fast nahe zu den Deichdämmen des Jahdebusens, in die Herrlichkeit (soviel als Herrschaft) Gödens hinein und hindurch und endlich in die Herrlichkeit Kniphausen. Schon erhob sich vor den Blicken des Reiters das stattliche alterthümliche und feste Herrenschloß. Ludwig dachte nicht daran, auf dasselbe, das Besitzthum des Mannes zuzureiten, der sein einziger, aber auch zugleich sein bitterster Feind war, sondern wollte dasselbe rechts liegen lassen, mit seinem Diener noch bis Jever reiten, und dort Nachtrast halten. Ludwig kannte jenes Schloß; die Großmutter hatte mit ihm auch dort bisweilen gewohnt, da der Vetter meist sich in den Niederlanden aufhielt, es war groß und reich ausgestattet. Die Gedanken des jungen Grafen konnten sich, so lange er in dem Bereiche der Besitzungen der Familie sich befand, in der er sich selbst von den ersten Jugenderinnerungen an gefunden und heimisch gefühlt, von dieser nicht losreißen. Er dachte beim Anblick des Schlosses auch an den jüngern Vetter, den Grafen Johann Carl, der sein Vaterland verlassen hatte, um in England Kriegsdienste zu nehmen. Dieser hatte sich mit dem älteren Bruder nie recht vertragen. Ebenso war der Oheim, der zweite Sohn der Großmutter, in englischen Seedienst gegangen, hatte sich dort vermählt und eine jüngere Linie begründet. Diesen hatte Ludwig nicht gekannt; er war vor des Letzteren Geburt bereits im Jahre 1775 verstorben. — Als am Morgen dieses Tages der Erbherr mißmuthig und schweigsam aus dem Schlosse Varel fuhr, war es seine Absicht, nur bis zum Strande zu fahren, und sich auf seiner Jacht einzuschiffen, seine Dienerschaft aber, bis auf die nöthigste, wieder zurückzusenden. Mit aufgeregtem und grollendem Gemüth, und weit mehr von Haß und Aerger gegen die Großmutter, als gegen den ihm im Wege stehenden Verwandten erfüllt, sehnte er sich wieder auf das Meer, dessen stürmisch bewegte Wellen zu dem unruhevollen Wogen seines Gemüthes paßten. Er wollte dann in rascher Fahrt aus dem Jahdebusen steuern und längs der Inselkette der Nordseeküste, von Wangerooge bis Norderney und Ameland segeln, dann durch die Watten in die Zuyder-See einlaufen und Amsterdam gewinnen, wo jetzt der Schauplatz seiner politischen Thätigkeit war. Vor der Einschiffung aber wollte der Graf einen Weg, den seine Vorfahren um die Mitte des Jahrhunderts angelegt hatten, der in Abfall gekommen und durch ihn erneut worden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/54
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/54>, abgerufen am 22.11.2024.