Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.gefüttert hatte, heulte einige Tage und wimmerte, und eines Morgens lag er todt unter den Fenstern des Schlosses. Als der Frühling kam, die Auen neu ergrünten, da zog es den Grafen mehr denn einmal hin nach jenem Berggarten, nach jener Einsamkeit. Hier war die Stelle, die einst sein Jugendtraum ihm zeigte. Wie war doch dieser Traum zur Wahrheit geworden! Gesehen und gehört hatte Ludwig lebensvolles Gewühl der Straßen und Märkte großer Städte, Waffenlärm der Heerlager, berghohe Meereswogen, Stürme und ruhige See -- hohe Burgen und Schlösser, stille Thäler -- und zuletzt -- die Siedlerklause dort im stillen Schloß, hier die dunkelschattende Kastanienallee -- ein einsames Grab, und in dieses Grab hinabgesenkt alles Ringen und Streben, alles Jubeln und Bangen, alles Hoffen und Fürchten eines langen Erdendaseins -- all' sein Glück. Alles hatte sich erfüllt, Alles -- und er stand am Ziele. Sanft elegisch war seine Stimmung, und sie fand die verwandten Klänge im stillen Weben der Natur, durch deren hellste, sonnigste Lenzespracht doch bisweilen Ahnungen wehen, die des Menschen Herz mit Schauern durchrießeln. Die Neigung zum Wohlthun blieb ihm durch alle Jahre hindurch, die ihm noch zu leben vergönnt waren. Mit Geschenken an Arme feierte er Sophiens Todestag, mit Geschenken an Arme den Geburtstag des Landesherrn, ja, selbst als Leonardus van der Valck spendete er noch Liebesgaben nach verschiedenen Orten hin, von denen ihm immer noch Bitten zugingen. Auch Vincenz Martinus war nicht völlig in den Hintergrund getreten. Eine Stelle im letzten Briefe, den der Graf von ihm erhielt, lautete: "O mein geliebter Vetter! Wir werden alt, wie lange wollen wir noch mit einander Briefe wechseln? Deine letzte geehrte Zuschrift traf mich nicht mehr in Amsterdam, ich wohne seit Jahr und Tag hier in Leiden, allwo nach dem deutschen Scherzwort der König David geboren ist, vergleiche Psalm 38, Vers 18. Allhie bin ich Pfarrer, wohlbestallter, und bete täglich auf das Allerfleißigste zu den lieben Gottesheiligen auch für dich, geliebter Leonardus. Neues weiß ich dir aus Amsterdam nicht zu melden; daß dein alter Seekapitän Richart Fluit in der That und gegen menschliches Vermuthen von gefüttert hatte, heulte einige Tage und wimmerte, und eines Morgens lag er todt unter den Fenstern des Schlosses. Als der Frühling kam, die Auen neu ergrünten, da zog es den Grafen mehr denn einmal hin nach jenem Berggarten, nach jener Einsamkeit. Hier war die Stelle, die einst sein Jugendtraum ihm zeigte. Wie war doch dieser Traum zur Wahrheit geworden! Gesehen und gehört hatte Ludwig lebensvolles Gewühl der Straßen und Märkte großer Städte, Waffenlärm der Heerlager, berghohe Meereswogen, Stürme und ruhige See — hohe Burgen und Schlösser, stille Thäler — und zuletzt — die Siedlerklause dort im stillen Schloß, hier die dunkelschattende Kastanienallee — ein einsames Grab, und in dieses Grab hinabgesenkt alles Ringen und Streben, alles Jubeln und Bangen, alles Hoffen und Fürchten eines langen Erdendaseins — all’ sein Glück. Alles hatte sich erfüllt, Alles — und er stand am Ziele. Sanft elegisch war seine Stimmung, und sie fand die verwandten Klänge im stillen Weben der Natur, durch deren hellste, sonnigste Lenzespracht doch bisweilen Ahnungen wehen, die des Menschen Herz mit Schauern durchrießeln. Die Neigung zum Wohlthun blieb ihm durch alle Jahre hindurch, die ihm noch zu leben vergönnt waren. Mit Geschenken an Arme feierte er Sophiens Todestag, mit Geschenken an Arme den Geburtstag des Landesherrn, ja, selbst als Leonardus van der Valck spendete er noch Liebesgaben nach verschiedenen Orten hin, von denen ihm immer noch Bitten zugingen. Auch Vincenz Martinus war nicht völlig in den Hintergrund getreten. Eine Stelle im letzten Briefe, den der Graf von ihm erhielt, lautete: „O mein geliebter Vetter! Wir werden alt, wie lange wollen wir noch mit einander Briefe wechseln? Deine letzte geehrte Zuschrift traf mich nicht mehr in Amsterdam, ich wohne seit Jahr und Tag hier in Leiden, allwo nach dem deutschen Scherzwort der König David geboren ist, vergleiche Psalm 38, Vers 18. Allhie bin ich Pfarrer, wohlbestallter, und bete täglich auf das Allerfleißigste zu den lieben Gottesheiligen auch für dich, geliebter Leonardus. 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Gesehen und gehört hatte Ludwig lebensvolles Gewühl der Straßen und Märkte großer Städte, Waffenlärm der Heerlager, berghohe Meereswogen, Stürme und ruhige See — hohe Burgen und Schlösser, stille Thäler — und zuletzt — die Siedlerklause dort im stillen Schloß, hier die dunkelschattende Kastanienallee — ein einsames Grab, und in dieses Grab hinabgesenkt alles Ringen und Streben, alles Jubeln und Bangen, alles Hoffen und Fürchten eines langen Erdendaseins — all’ sein Glück.</p> <p>Alles hatte sich erfüllt, Alles — und er stand am Ziele. Sanft elegisch war seine Stimmung, und sie fand die verwandten Klänge im stillen Weben der Natur, durch deren hellste, sonnigste Lenzespracht doch bisweilen Ahnungen wehen, die des Menschen Herz mit Schauern durchrießeln.</p> <p>Die Neigung zum Wohlthun blieb ihm durch alle Jahre hindurch, die ihm noch zu leben vergönnt waren. Mit Geschenken an Arme feierte er Sophiens Todestag, mit Geschenken an Arme den Geburtstag des Landesherrn, ja, selbst als Leonardus van der Valck spendete er noch Liebesgaben nach verschiedenen Orten hin, von denen ihm immer noch Bitten zugingen. Auch Vincenz Martinus war nicht völlig in den Hintergrund getreten. Eine Stelle im letzten Briefe, den der Graf von ihm erhielt, lautete:</p> <p>„O mein geliebter Vetter! Wir werden alt, wie lange wollen wir noch mit einander Briefe wechseln? Deine letzte geehrte Zuschrift traf mich nicht mehr in Amsterdam, ich wohne seit Jahr und Tag hier in Leiden, allwo nach dem deutschen Scherzwort der König David geboren ist, vergleiche Psalm 38, Vers 18. Allhie bin ich Pfarrer, wohlbestallter, und bete täglich auf das Allerfleißigste zu den lieben Gottesheiligen auch für dich, geliebter Leonardus. 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gefüttert hatte, heulte einige Tage und wimmerte, und eines Morgens lag er todt unter den Fenstern des Schlosses.
Als der Frühling kam, die Auen neu ergrünten, da zog es den Grafen mehr denn einmal hin nach jenem Berggarten, nach jener Einsamkeit. Hier war die Stelle, die einst sein Jugendtraum ihm zeigte. Wie war doch dieser Traum zur Wahrheit geworden! Gesehen und gehört hatte Ludwig lebensvolles Gewühl der Straßen und Märkte großer Städte, Waffenlärm der Heerlager, berghohe Meereswogen, Stürme und ruhige See — hohe Burgen und Schlösser, stille Thäler — und zuletzt — die Siedlerklause dort im stillen Schloß, hier die dunkelschattende Kastanienallee — ein einsames Grab, und in dieses Grab hinabgesenkt alles Ringen und Streben, alles Jubeln und Bangen, alles Hoffen und Fürchten eines langen Erdendaseins — all’ sein Glück.
Alles hatte sich erfüllt, Alles — und er stand am Ziele. Sanft elegisch war seine Stimmung, und sie fand die verwandten Klänge im stillen Weben der Natur, durch deren hellste, sonnigste Lenzespracht doch bisweilen Ahnungen wehen, die des Menschen Herz mit Schauern durchrießeln.
Die Neigung zum Wohlthun blieb ihm durch alle Jahre hindurch, die ihm noch zu leben vergönnt waren. Mit Geschenken an Arme feierte er Sophiens Todestag, mit Geschenken an Arme den Geburtstag des Landesherrn, ja, selbst als Leonardus van der Valck spendete er noch Liebesgaben nach verschiedenen Orten hin, von denen ihm immer noch Bitten zugingen. Auch Vincenz Martinus war nicht völlig in den Hintergrund getreten. Eine Stelle im letzten Briefe, den der Graf von ihm erhielt, lautete:
„O mein geliebter Vetter! Wir werden alt, wie lange wollen wir noch mit einander Briefe wechseln? Deine letzte geehrte Zuschrift traf mich nicht mehr in Amsterdam, ich wohne seit Jahr und Tag hier in Leiden, allwo nach dem deutschen Scherzwort der König David geboren ist, vergleiche Psalm 38, Vers 18. Allhie bin ich Pfarrer, wohlbestallter, und bete täglich auf das Allerfleißigste zu den lieben Gottesheiligen auch für dich, geliebter Leonardus. Neues weiß ich dir aus Amsterdam nicht zu melden; daß dein alter Seekapitän Richart Fluit in der That und gegen menschliches Vermuthen von
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/465>, abgerufen am 23.07.2024. |