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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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ging durch ganz Europa über diese rasche blutige That auf Verdächtigungen hin, die jeder Wahrheit entbehrten.

Mit stets erneutem Schmerz vernahm Graf Ludwig auf der Fortsetzung seiner Reise immer und immer wieder diese Nachricht, und mußte auf das Sorgsamste Alles aufbieten, um dieselbe vor seiner holden Begleiterin zu verbergen, die er in ruhigerer Stimmung und vielleicht erst dann, wenn er einen Brief der Herzogin in Händen hatte, von dem schrecklichen Vorfall unterrichten wollte.

Die Freunde in der Weinstube des Apothekers zu Ingelfingen wurden einige Zeit nach der Abreise der Fremden auf's Neue und sehr lebhaft an den geheimnißvollen Herrn erinnert, als eines Abends der Postmeister ernster als gewöhnlich eintrat und ein Zeitungsblatt hervorzog. Wir haben gewissermaßen Trauer bekommen, sagte er nach einer Pause bewegt. Da bringt unser Schwäbischer Merkur eine merkwürdige Nachricht, welche im Auszug lautet, daß sicherem Vernehmen nach ein französischer Emigrant von Bedeutung, der sich vor einigen Monaten längere Zeit zu Ingelfingen aufgehalten haben solle, zu Mainz mit Tode abgegangen sei. Es war, so wird gemeldet, ein Mann von ungemein viel Liebenswürdigkeit im Charakter und Benehmen, auch wissenschaftlich gebildet und vielseitig bekannt mit hervorragenden Persönlichkeiten. Seiner äußern Gestalt nach war er von Mittelgröße, hatte schwarzes Haar und dergleichen Bart, erschien stets auf das Feinste, dabei sehr einfach gekleidet; seine Sprache war meist die französische, doch ließ er bisweilen niederländische Accente durch den Strom seiner lebhaften und geistvollen Unterhaltung klingen. In der deutschen Sprache drückte er sich mit vollkommener Reinheit aus. Dieser Fremde, der durch nichts auffiel, als durch sein vornehmes und gebildetes Wesen und seinen Ernst im geselligen Umgang, scheint seinen nahenden Tod gefühlt, und kurz vor demselben alle seine Papiere vernichtet zu haben, denn es fand sich nicht das Mindeste bei ihm vor, was irgend einen Aufschluß über seine Persönlichkeit hätte geben können. -- Der Postmeister schwieg und die Theilnahme der guten Bürger zu Ingelfingen wurde laut:

Es ist unser Mann, daran ist gar kein Zweifel! O weh! -- Schade um den Mann! -- Er hätte hier bei uns bleiben sollen, so wäre er vielleicht nicht gestorben! -- Zu Ingelfingen ist gut wohnen.

ging durch ganz Europa über diese rasche blutige That auf Verdächtigungen hin, die jeder Wahrheit entbehrten.

Mit stets erneutem Schmerz vernahm Graf Ludwig auf der Fortsetzung seiner Reise immer und immer wieder diese Nachricht, und mußte auf das Sorgsamste Alles aufbieten, um dieselbe vor seiner holden Begleiterin zu verbergen, die er in ruhigerer Stimmung und vielleicht erst dann, wenn er einen Brief der Herzogin in Händen hatte, von dem schrecklichen Vorfall unterrichten wollte.

Die Freunde in der Weinstube des Apothekers zu Ingelfingen wurden einige Zeit nach der Abreise der Fremden auf’s Neue und sehr lebhaft an den geheimnißvollen Herrn erinnert, als eines Abends der Postmeister ernster als gewöhnlich eintrat und ein Zeitungsblatt hervorzog. Wir haben gewissermaßen Trauer bekommen, sagte er nach einer Pause bewegt. Da bringt unser Schwäbischer Merkur eine merkwürdige Nachricht, welche im Auszug lautet, daß sicherem Vernehmen nach ein französischer Emigrant von Bedeutung, der sich vor einigen Monaten längere Zeit zu Ingelfingen aufgehalten haben solle, zu Mainz mit Tode abgegangen sei. Es war, so wird gemeldet, ein Mann von ungemein viel Liebenswürdigkeit im Charakter und Benehmen, auch wissenschaftlich gebildet und vielseitig bekannt mit hervorragenden Persönlichkeiten. Seiner äußern Gestalt nach war er von Mittelgröße, hatte schwarzes Haar und dergleichen Bart, erschien stets auf das Feinste, dabei sehr einfach gekleidet; seine Sprache war meist die französische, doch ließ er bisweilen niederländische Accente durch den Strom seiner lebhaften und geistvollen Unterhaltung klingen. In der deutschen Sprache drückte er sich mit vollkommener Reinheit aus. Dieser Fremde, der durch nichts auffiel, als durch sein vornehmes und gebildetes Wesen und seinen Ernst im geselligen Umgang, scheint seinen nahenden Tod gefühlt, und kurz vor demselben alle seine Papiere vernichtet zu haben, denn es fand sich nicht das Mindeste bei ihm vor, was irgend einen Aufschluß über seine Persönlichkeit hätte geben können. — Der Postmeister schwieg und die Theilnahme der guten Bürger zu Ingelfingen wurde laut:

Es ist unser Mann, daran ist gar kein Zweifel! O weh! — Schade um den Mann! — Er hätte hier bei uns bleiben sollen, so wäre er vielleicht nicht gestorben! — Zu Ingelfingen ist gut wohnen.

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[389/0393] ging durch ganz Europa über diese rasche blutige That auf Verdächtigungen hin, die jeder Wahrheit entbehrten. Mit stets erneutem Schmerz vernahm Graf Ludwig auf der Fortsetzung seiner Reise immer und immer wieder diese Nachricht, und mußte auf das Sorgsamste Alles aufbieten, um dieselbe vor seiner holden Begleiterin zu verbergen, die er in ruhigerer Stimmung und vielleicht erst dann, wenn er einen Brief der Herzogin in Händen hatte, von dem schrecklichen Vorfall unterrichten wollte. Die Freunde in der Weinstube des Apothekers zu Ingelfingen wurden einige Zeit nach der Abreise der Fremden auf’s Neue und sehr lebhaft an den geheimnißvollen Herrn erinnert, als eines Abends der Postmeister ernster als gewöhnlich eintrat und ein Zeitungsblatt hervorzog. Wir haben gewissermaßen Trauer bekommen, sagte er nach einer Pause bewegt. Da bringt unser Schwäbischer Merkur eine merkwürdige Nachricht, welche im Auszug lautet, daß sicherem Vernehmen nach ein französischer Emigrant von Bedeutung, der sich vor einigen Monaten längere Zeit zu Ingelfingen aufgehalten haben solle, zu Mainz mit Tode abgegangen sei. Es war, so wird gemeldet, ein Mann von ungemein viel Liebenswürdigkeit im Charakter und Benehmen, auch wissenschaftlich gebildet und vielseitig bekannt mit hervorragenden Persönlichkeiten. Seiner äußern Gestalt nach war er von Mittelgröße, hatte schwarzes Haar und dergleichen Bart, erschien stets auf das Feinste, dabei sehr einfach gekleidet; seine Sprache war meist die französische, doch ließ er bisweilen niederländische Accente durch den Strom seiner lebhaften und geistvollen Unterhaltung klingen. In der deutschen Sprache drückte er sich mit vollkommener Reinheit aus. Dieser Fremde, der durch nichts auffiel, als durch sein vornehmes und gebildetes Wesen und seinen Ernst im geselligen Umgang, scheint seinen nahenden Tod gefühlt, und kurz vor demselben alle seine Papiere vernichtet zu haben, denn es fand sich nicht das Mindeste bei ihm vor, was irgend einen Aufschluß über seine Persönlichkeit hätte geben können. — Der Postmeister schwieg und die Theilnahme der guten Bürger zu Ingelfingen wurde laut: Es ist unser Mann, daran ist gar kein Zweifel! O weh! — Schade um den Mann! — Er hätte hier bei uns bleiben sollen, so wäre er vielleicht nicht gestorben! — Zu Ingelfingen ist gut wohnen.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/393>, abgerufen am 23.07.2024.