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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Vaterlandsliebe, keine Aufopferungsfähigkeit; ihnen schlägt nie das Herz in der Brust unruhiger beim Unglück ihres Volkes, beim Jammerruf der geknechteten Menschheit, sie verschließen ihr Ohr der Wehklage um die hingemordete Freiheit und dem Rufe der Sturmglocken bei der Noth des Vaterlandes!

Mit Absicht verschließe ich nie mein Ohr, hochgeschätzter Herr College, versetzte Melchers mit heiterer Ruhe; aber ich frage Sie, war etwa unser Vaterland in Noth, als die Unterthanen in den hiesigen Herrlichkeiten keine Steuern mehr geben wollten? War das Volk unglücklich, daß es in toller Nachäfferei Frankreichs sich von seiner Herrschaft lossagen und diese womöglich fortjagen wollte? Waren es Weise Griechenlands oder waren es Affen Frankreichs, die im Casino zu Varel auf einmal ihre Hüte auf den Köpfen behielten und einander den Titel Bürger beilegten? Doch genug, bester Herr College, über dieses in der That affreuse Kapitel.

Ich bitte, meine Herren, nach dieser interessanten Abschweifung wieder zurück und auf unser Hauptthema zu kommen, ermahnte Windt die Streitenden mit ironischem Lächeln. Wir werden hier am friedlichen Jahdebusen nimmermehr auskämpfen, was im Weltmeer der Geschichte gährt und streitet. Wir Deutsche sind überhaupt niemals unpolitischer, als wenn wir ins Politisiren hineingerathen. Herr Kammerrath Melchers also sind der Ansicht, daß des regierenden Herrn Grafen Excellenz nicht die Mittel finden werde, zur rechten Zeit oder überhaupt jemals Zahlung leisten zu können?

Die Sache steht so, erwiederte Melchers: die an Ihre Excellenz die Frau Reichsgräfin zu zahlende Summe beträgt einhundertundfünfzigtausend Gulden, davon sollen im ersten Termine acht Wochen nach Unterzeichnung und Austausch der Contracte, fünfzigtausend Gulden angezahlt werden, mit Ingebriff der bereits angezahlten zwanzigtausend Mark Hamburger Banco. Acht Wochen später und zwar nach erfolgter Uebergabe der Herrlichkeit Doorwerth soll der zweite Termin nicht mit der gleichen Summe, sondern mit hunderttausend Gulden erfolgen, und außerdem soll der Erbherr, innerhalb der ersten acht Tage, in denen er im Besitz der Herrlichkeit ist, der hochgräflichen Frau Großmutter eine bündige Obligation auf fünfundzwanzigtausend Reichsthaler in Gold behändigen.

Vaterlandsliebe, keine Aufopferungsfähigkeit; ihnen schlägt nie das Herz in der Brust unruhiger beim Unglück ihres Volkes, beim Jammerruf der geknechteten Menschheit, sie verschließen ihr Ohr der Wehklage um die hingemordete Freiheit und dem Rufe der Sturmglocken bei der Noth des Vaterlandes!

Mit Absicht verschließe ich nie mein Ohr, hochgeschätzter Herr College, versetzte Melchers mit heiterer Ruhe; aber ich frage Sie, war etwa unser Vaterland in Noth, als die Unterthanen in den hiesigen Herrlichkeiten keine Steuern mehr geben wollten? War das Volk unglücklich, daß es in toller Nachäfferei Frankreichs sich von seiner Herrschaft lossagen und diese womöglich fortjagen wollte? Waren es Weise Griechenlands oder waren es Affen Frankreichs, die im Casino zu Varel auf einmal ihre Hüte auf den Köpfen behielten und einander den Titel Bürger beilegten? Doch genug, bester Herr College, über dieses in der That affreuse Kapitel.

Ich bitte, meine Herren, nach dieser interessanten Abschweifung wieder zurück und auf unser Hauptthema zu kommen, ermahnte Windt die Streitenden mit ironischem Lächeln. Wir werden hier am friedlichen Jahdebusen nimmermehr auskämpfen, was im Weltmeer der Geschichte gährt und streitet. Wir Deutsche sind überhaupt niemals unpolitischer, als wenn wir ins Politisiren hineingerathen. Herr Kammerrath Melchers also sind der Ansicht, daß des regierenden Herrn Grafen Excellenz nicht die Mittel finden werde, zur rechten Zeit oder überhaupt jemals Zahlung leisten zu können?

Die Sache steht so, erwiederte Melchers: die an Ihre Excellenz die Frau Reichsgräfin zu zahlende Summe beträgt einhundertundfünfzigtausend Gulden, davon sollen im ersten Termine acht Wochen nach Unterzeichnung und Austausch der Contracte, fünfzigtausend Gulden angezahlt werden, mit Ingebriff der bereits angezahlten zwanzigtausend Mark Hamburger Banco. Acht Wochen später und zwar nach erfolgter Uebergabe der Herrlichkeit Doorwerth soll der zweite Termin nicht mit der gleichen Summe, sondern mit hunderttausend Gulden erfolgen, und außerdem soll der Erbherr, innerhalb der ersten acht Tage, in denen er im Besitz der Herrlichkeit ist, der hochgräflichen Frau Großmutter eine bündige Obligation auf fünfundzwanzigtausend Reichsthaler in Gold behändigen.

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[343/0347] Vaterlandsliebe, keine Aufopferungsfähigkeit; ihnen schlägt nie das Herz in der Brust unruhiger beim Unglück ihres Volkes, beim Jammerruf der geknechteten Menschheit, sie verschließen ihr Ohr der Wehklage um die hingemordete Freiheit und dem Rufe der Sturmglocken bei der Noth des Vaterlandes! Mit Absicht verschließe ich nie mein Ohr, hochgeschätzter Herr College, versetzte Melchers mit heiterer Ruhe; aber ich frage Sie, war etwa unser Vaterland in Noth, als die Unterthanen in den hiesigen Herrlichkeiten keine Steuern mehr geben wollten? War das Volk unglücklich, daß es in toller Nachäfferei Frankreichs sich von seiner Herrschaft lossagen und diese womöglich fortjagen wollte? Waren es Weise Griechenlands oder waren es Affen Frankreichs, die im Casino zu Varel auf einmal ihre Hüte auf den Köpfen behielten und einander den Titel Bürger beilegten? Doch genug, bester Herr College, über dieses in der That affreuse Kapitel. Ich bitte, meine Herren, nach dieser interessanten Abschweifung wieder zurück und auf unser Hauptthema zu kommen, ermahnte Windt die Streitenden mit ironischem Lächeln. Wir werden hier am friedlichen Jahdebusen nimmermehr auskämpfen, was im Weltmeer der Geschichte gährt und streitet. Wir Deutsche sind überhaupt niemals unpolitischer, als wenn wir ins Politisiren hineingerathen. Herr Kammerrath Melchers also sind der Ansicht, daß des regierenden Herrn Grafen Excellenz nicht die Mittel finden werde, zur rechten Zeit oder überhaupt jemals Zahlung leisten zu können? Die Sache steht so, erwiederte Melchers: die an Ihre Excellenz die Frau Reichsgräfin zu zahlende Summe beträgt einhundertundfünfzigtausend Gulden, davon sollen im ersten Termine acht Wochen nach Unterzeichnung und Austausch der Contracte, fünfzigtausend Gulden angezahlt werden, mit Ingebriff der bereits angezahlten zwanzigtausend Mark Hamburger Banco. Acht Wochen später und zwar nach erfolgter Uebergabe der Herrlichkeit Doorwerth soll der zweite Termin nicht mit der gleichen Summe, sondern mit hunderttausend Gulden erfolgen, und außerdem soll der Erbherr, innerhalb der ersten acht Tage, in denen er im Besitz der Herrlichkeit ist, der hochgräflichen Frau Großmutter eine bündige Obligation auf fünfundzwanzigtausend Reichsthaler in Gold behändigen.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/347>, abgerufen am 15.06.2024.