Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

hatten eine Erfrischung eingenommen, sie traten rasch aus dem Hause, stiegen ebenso rasch ein, -- Ludwig war ehrerbietig zur Seite getreten. Als Anges folgte, drückte er ihr noch einmal mit allem Gefühle die Hand, und sagte ihr nichts, als: Anges! Wir sehen uns wieder! Der alte Kammerdiener, seinen Sitz einnehmend, sprach noch aus dem Wagen heraus: Leben Sie recht wohl, mein Herr Leonardus! Es hat mich sehr gefreut, Sie so wohl zu sehen! -- Dort rollten die Wagen hin, der Prinz bog sich tief in den Grund zurück, Anges grüßte ihn noch einmal aus dem Schlage mit dem wehenden Tuche. Ludwig stand wie betäubt.

Am Abende dieses Tages saß er noch lange und schrieb mehrere Briefe, einen an die Großmutter, in welchem er ihr Nachricht ertheilte über seine jüngsten Erlebnisse; einen anderen an Windt, einen dritten nach Amsterdam an Leonardus Mutter -- eine für ihn doppelt schmerzliche Aufgabe, als deren Sohn die Erlebnisse seiner Reise im Sinne und Geist des verklärten Freundes ihr zu schildern. Einen schmerzlichen tiefempfundenen Brief schrieb er ferner an seine mütterliche Freundin in England, die jetzt auf dem Lande, zu Castle Chatsworth wohnte. Eine Stelle in diesem Briefe lautete: "Mein Leben, o meine innigstverehrte Freundin, ist fast nichts als eine Kette der schmerzlichsten Trennungsstunden, deren jede einzelne mir, ich fühle es, ein Stück vom Herzen reißt. Und was bleibt mir zuletzt? Muß ich nicht fürchten, am Ende ganz einsam zu werden? Wie soll ich dem Leben und den Menschen ein Herz bieten, wenn das Leben und die Menschen mir mein Herz so grausam nehmen? Ist es nicht hart, in so jungen Jahren schon so viel Leid tragen zu müssen? Meine Kindheit, meine Knaben- und Jünglingsjahre flossen ungetrübt dahin; auf einmal nahte mir, ein Blitz aus heiterem Himmel, die Bitterkeit der Welt, ihr Wehrmuthbecher war so mit herber Säure gemischt, daß ihre Wirkung mir das Herz zusammenschnürte. Im Paradiese war ich und wußte es nicht, eine einzige böse Stunde, und ich war aus ihm, verstoßen, nicht ohne meine Schuld! O, wie jener Gedanke an meinen unseligen Fluch mich quält, der mir selbst zum Fluche wird! Immer stehen vor meiner Seele jene drei Gemälde Wouwermann's, welche das Wohnzimmer der Großmutter in ihrem Hause zu Hamburg schmücken. Das eine, Schloß Varel, mit

hatten eine Erfrischung eingenommen, sie traten rasch aus dem Hause, stiegen ebenso rasch ein, — Ludwig war ehrerbietig zur Seite getreten. Als Angés folgte, drückte er ihr noch einmal mit allem Gefühle die Hand, und sagte ihr nichts, als: Angés! Wir sehen uns wieder! Der alte Kammerdiener, seinen Sitz einnehmend, sprach noch aus dem Wagen heraus: Leben Sie recht wohl, mein Herr Leonardus! Es hat mich sehr gefreut, Sie so wohl zu sehen! — Dort rollten die Wagen hin, der Prinz bog sich tief in den Grund zurück, Angés grüßte ihn noch einmal aus dem Schlage mit dem wehenden Tuche. Ludwig stand wie betäubt.

Am Abende dieses Tages saß er noch lange und schrieb mehrere Briefe, einen an die Großmutter, in welchem er ihr Nachricht ertheilte über seine jüngsten Erlebnisse; einen anderen an Windt, einen dritten nach Amsterdam an Leonardus Mutter — eine für ihn doppelt schmerzliche Aufgabe, als deren Sohn die Erlebnisse seiner Reise im Sinne und Geist des verklärten Freundes ihr zu schildern. Einen schmerzlichen tiefempfundenen Brief schrieb er ferner an seine mütterliche Freundin in England, die jetzt auf dem Lande, zu Castle Chatsworth wohnte. Eine Stelle in diesem Briefe lautete: „Mein Leben, o meine innigstverehrte Freundin, ist fast nichts als eine Kette der schmerzlichsten Trennungsstunden, deren jede einzelne mir, ich fühle es, ein Stück vom Herzen reißt. Und was bleibt mir zuletzt? Muß ich nicht fürchten, am Ende ganz einsam zu werden? Wie soll ich dem Leben und den Menschen ein Herz bieten, wenn das Leben und die Menschen mir mein Herz so grausam nehmen? Ist es nicht hart, in so jungen Jahren schon so viel Leid tragen zu müssen? Meine Kindheit, meine Knaben- und Jünglingsjahre flossen ungetrübt dahin; auf einmal nahte mir, ein Blitz aus heiterem Himmel, die Bitterkeit der Welt, ihr Wehrmuthbecher war so mit herber Säure gemischt, daß ihre Wirkung mir das Herz zusammenschnürte. Im Paradiese war ich und wußte es nicht, eine einzige böse Stunde, und ich war aus ihm, verstoßen, nicht ohne meine Schuld! O, wie jener Gedanke an meinen unseligen Fluch mich quält, der mir selbst zum Fluche wird! Immer stehen vor meiner Seele jene drei Gemälde Wouwermann’s, welche das Wohnzimmer der Großmutter in ihrem Hause zu Hamburg schmücken. Das eine, Schloß Varel, mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0336" n="332"/>
hatten eine Erfrischung eingenommen, sie traten rasch aus dem Hause, stiegen ebenso rasch ein, &#x2014; Ludwig war ehrerbietig zur Seite getreten. Als Angés folgte, drückte er ihr noch einmal mit allem Gefühle die Hand, und sagte ihr nichts, als: Angés! Wir sehen uns wieder! Der alte Kammerdiener, seinen Sitz einnehmend, sprach noch aus dem Wagen heraus: Leben Sie recht wohl, mein Herr Leonardus! Es hat mich sehr gefreut, Sie so wohl zu sehen! &#x2014; Dort rollten die Wagen hin, der Prinz bog sich tief in den Grund zurück, Angés grüßte ihn noch einmal aus dem Schlage mit dem wehenden Tuche. Ludwig stand wie betäubt.</p>
          <p>Am Abende dieses Tages saß er noch lange und schrieb mehrere Briefe, einen an die Großmutter, in welchem er ihr Nachricht ertheilte über seine jüngsten Erlebnisse; einen anderen an Windt, einen dritten nach Amsterdam an Leonardus Mutter &#x2014; eine für ihn doppelt schmerzliche Aufgabe, als deren Sohn die Erlebnisse seiner Reise im Sinne und Geist des verklärten Freundes ihr zu schildern. Einen schmerzlichen tiefempfundenen Brief schrieb er ferner an seine mütterliche Freundin in England, die jetzt auf dem Lande, zu Castle Chatsworth wohnte. Eine Stelle in diesem Briefe lautete: &#x201E;Mein Leben, o meine innigstverehrte Freundin, ist fast nichts als eine Kette der schmerzlichsten Trennungsstunden, deren jede einzelne mir, ich fühle es, ein Stück vom Herzen reißt. Und was bleibt mir zuletzt? Muß ich nicht fürchten, am Ende ganz einsam zu werden? Wie soll ich dem Leben und den Menschen ein Herz bieten, wenn das Leben und die Menschen mir mein Herz so grausam nehmen? Ist es nicht hart, in so jungen Jahren schon so viel Leid tragen zu müssen? Meine Kindheit, meine Knaben- und Jünglingsjahre flossen ungetrübt dahin; auf einmal nahte mir, ein Blitz aus heiterem Himmel, die Bitterkeit der Welt, ihr Wehrmuthbecher war so mit herber Säure gemischt, daß ihre Wirkung mir das Herz zusammenschnürte. Im Paradiese war ich und wußte es nicht, eine einzige böse Stunde, und ich war aus ihm, verstoßen, nicht ohne meine Schuld! O, wie jener Gedanke an meinen unseligen Fluch mich quält, der mir selbst zum Fluche wird! Immer stehen vor meiner Seele jene drei Gemälde Wouwermann&#x2019;s, welche das Wohnzimmer der Großmutter in ihrem Hause zu Hamburg schmücken. Das eine, Schloß Varel, mit
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0336] hatten eine Erfrischung eingenommen, sie traten rasch aus dem Hause, stiegen ebenso rasch ein, — Ludwig war ehrerbietig zur Seite getreten. Als Angés folgte, drückte er ihr noch einmal mit allem Gefühle die Hand, und sagte ihr nichts, als: Angés! Wir sehen uns wieder! Der alte Kammerdiener, seinen Sitz einnehmend, sprach noch aus dem Wagen heraus: Leben Sie recht wohl, mein Herr Leonardus! Es hat mich sehr gefreut, Sie so wohl zu sehen! — Dort rollten die Wagen hin, der Prinz bog sich tief in den Grund zurück, Angés grüßte ihn noch einmal aus dem Schlage mit dem wehenden Tuche. Ludwig stand wie betäubt. Am Abende dieses Tages saß er noch lange und schrieb mehrere Briefe, einen an die Großmutter, in welchem er ihr Nachricht ertheilte über seine jüngsten Erlebnisse; einen anderen an Windt, einen dritten nach Amsterdam an Leonardus Mutter — eine für ihn doppelt schmerzliche Aufgabe, als deren Sohn die Erlebnisse seiner Reise im Sinne und Geist des verklärten Freundes ihr zu schildern. Einen schmerzlichen tiefempfundenen Brief schrieb er ferner an seine mütterliche Freundin in England, die jetzt auf dem Lande, zu Castle Chatsworth wohnte. Eine Stelle in diesem Briefe lautete: „Mein Leben, o meine innigstverehrte Freundin, ist fast nichts als eine Kette der schmerzlichsten Trennungsstunden, deren jede einzelne mir, ich fühle es, ein Stück vom Herzen reißt. Und was bleibt mir zuletzt? Muß ich nicht fürchten, am Ende ganz einsam zu werden? Wie soll ich dem Leben und den Menschen ein Herz bieten, wenn das Leben und die Menschen mir mein Herz so grausam nehmen? Ist es nicht hart, in so jungen Jahren schon so viel Leid tragen zu müssen? Meine Kindheit, meine Knaben- und Jünglingsjahre flossen ungetrübt dahin; auf einmal nahte mir, ein Blitz aus heiterem Himmel, die Bitterkeit der Welt, ihr Wehrmuthbecher war so mit herber Säure gemischt, daß ihre Wirkung mir das Herz zusammenschnürte. Im Paradiese war ich und wußte es nicht, eine einzige böse Stunde, und ich war aus ihm, verstoßen, nicht ohne meine Schuld! O, wie jener Gedanke an meinen unseligen Fluch mich quält, der mir selbst zum Fluche wird! Immer stehen vor meiner Seele jene drei Gemälde Wouwermann’s, welche das Wohnzimmer der Großmutter in ihrem Hause zu Hamburg schmücken. Das eine, Schloß Varel, mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/336
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/336>, abgerufen am 24.11.2024.